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Bundespräsident Köhler hat sich durch die Nasenstüber von seiten der SPD (Zusammenfassung 26) nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil: Obwohl seine allgemeine Kritik am Reformtempo der Koalition bereits empört zurückgewiesen worden war, hat das deutsche Staatsoberhaupt noch nachgesetzt.
Sein Urteil über die verunglückte "Gesundheitsreform" und überdies die ganze Arbeitsweise von Schwarz-Rot ist verheerend. "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit", schrieb er Schwarz-Rot ins Stammbuch. "Gesetze, die mit heißer Nadel gestrickt werden, schaffen mehr Probleme als sie lösen", sagte Köhler der "Bild"-Zeitung. Damit hat er der Koalition ohne diplomatisch e Umschweife ein "Mangelhaft" um die Ohren gehauen. Auf die Frage, ob die Große Koalition Erfolg haben werde, antwortete der Präsident entsprechend wenig diplomatisch: "Es ist noch zu früh, das zu beurteilen." Worte von solcher Deutlichkeit hatte man aus dem Schloß Bellevue lange nicht gehört.
Die Entgegnung, mit solchen Einlassungen überschreite der Bundespräsident die Grenzen seines Amtes, gehen fehl. Im Gegenteil: Horst Köhler ist nicht bloß dabei, sein 2005 angekratztes Profil wieder zu schärfen. Er tut dies, indem er gerade die Rolle offensiv spielt, die dem Staatsoberhaupt in der jungen bundesdeutschen Verfassungstradition zugedacht ist.
Darin spielt der Bundespräsident den Wächter des Gemeinwohls, der eingreift, wenn andere Kontrollmechanismen versagen. Im derzeitigen Bundestag verfügen die Regierungsfraktionen über eine satte Zweidrittelmehrheit, die der "parlamentarischen Kontrolle" durch die kleine Opposition kaum Entfaltungsraum läßt. In der Regierung selbst haben sich die Volksparteien derart ineinander verkeilt, daß statt Reformen nur mehr widersprüchliche Flickwerkmonstren möglich scheinen. Mittendrin laviert eine Kanzlerin, die sich willig hin und her stoßen läßt von schwarzen Länderchefs und roten Kabinettsmitgliedern, um nur ihre eigene Kanzlerschaft nicht zu gefährden. Eine Regierungschefin, die theoretisch "Richtlinienkompetenz" besitzt, in der Praxis aber jede sichtbare Linie vermissen läßt.
Das ist die Stunde des Präsidenten, die jeder Amtsinhaber auf seine Weise ausfüllt. Richrad von Weizsäcker liebte es eher intellektuell. Sein Diktum, "die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht", umriß zwar messerscharf die Konturen der strukturellen Misere, die sich heute abermals in Fehlleistungen der praktischen Politik niederschlägt. Doch konnten die Angegriffenen solch allgemeine Kritik offenkundig schrammenfrei überstehen. Roman Herzog verlegt sich gänzlich aufs Appellieren ("Ruckrede"), der alte Parteihase Johannes Rau schließlich wirkte nicht besonders glaubwürdig, wenn er sich über die Verkrustungen jenes Parteienstaates erhob, in dessen Gehäuse gerade er selbst so prächtig gediehen war.
Köhler, der Praktiker aus der Wirtschaft, scheut sich nicht, den Einzelheiten näherzukommen als seine Vorgänger. Als wiedererwachte "Stimme des Sachverstands" kann er, getragen vom neuen Vertrauen der Deutschen, zum gewichtigen Faktor der Politik reifen.
Für Angela Merkel kann der Mann im Präsidialamt zum gefährlichen Störenfried werden. Seine Autorität wächst in dem Maße, wie die ihre schwindet. Offensive Kritik an einem Staatsoberhaupt, das seine treuesten Gefolgsleute im Lager von Union und FDP weiß, würde zum Boommerang. Die von der Kanzlerin enttäuschten bürgerlichen Wähler würden Ausfälle der Regierungschefin gegen Köhler nur als weiteren Beleg dafür ansehen, wie weit sich Merkel bereits von den Linien marktwirtschaftlicher Reformpolitik entfernt hat.
Köhler indes wird aufpassen, daß er es mit seiner Kritik nicht so weit treibt, daß ihm die Gescholtenen vorwerfen können, er maße sich die Rolle des "Überkanzlers" an. Andererseits wird er sich wohl nie wieder, wie 2005, ins Kalkül der Parteitaktiker einspannen lassen. |
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