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Gutes Cholesterin als Hoffnungsträger

 
     
 
In den Industrienationen gilt die Arteriosklerose - also die langsam fortschreitende Verhärtung und Verengung der Arterien - als die häufigste Todesursache, noch vor dem Krebs in all seinen Varianten. Die Krankheit beeinträchtigt den Blutfluß in den Gefäßen bis hin zur vollständigen Verstopfung. Je nachdem, welche Arterien betroffen sind, ist die Folge ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall.

Ausgelöst wird die Atheriosklerose durch den Einbau von Fettsubstanzen in innere Schichten der Gefäßwand (Plaque). Hier ist vor allem das Cholesterin zu nennen, ein unersetzlicher Baustein
der Zellmembran, der neben zahlreichen weiteren Funktionen für die Steuerung von Hormonen wichtig ist, bei zu hoher Konzentration aber einen gravierenden Risikofaktor darstellt.

Rund 80 Prozent des Cholesterins im menschlichen Körper werden von der Leber produziert, 20 Prozent direkt mit der Nahrung aufgenommen, vor allem aus Fleisch, Eiern und Milchprodukten. Die Substanz tritt in zwei Varianten auf: dem "schlechten" Cholesterin (low-density-lipoprotein / LDL) und dem "guten" HDL (high-density-lipoprotein)-Cholesterin.

Im Kampf gegen schwere Gefäßkrankheiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall haben die Ärzte sich bisher vor allem darauf konzentriert, das "schlechte" Cholesterin zu senken. Dies läßt sich durch einen bewußten Lebensstil des Patienten, aber auch durch Medikamente erreichen. Wichtige Faktoren sind eine gesunde, fettarme Ernährung, der Verzicht auf das Rauchen, körperliche Bewegung und Reduzierung des Körpergewichts. Bei den Medikamenten gelten heute die sogenannten Statine als "erste Wahl".

Inzwischen gehen die Mediziner einen anderen Weg: Sie versuchen nicht nur, die "schlechten" Cholesterine zu reduzieren, sondern erhöhen gleichzeitig den Anteil des "guten" Cholesterins. Auf der Jahrestagung der American Heart Association Mitte November in New Orleans wurden jetzt die Ergebnisse einer Studie (ARBITER 2) vorgestellt, die eindeutig bestätigen: Bei Patienten, die über längere Zeit einer Kombi-Therapie unterzogen werden, vermindert sich das Infarkt- und Schlaganfallrisiko beträchtlich.

Auf einer vom deutschen Pharmakonzern Merck arrangierten Video-Livekonferenz - über Internet waren Journalistengruppen in Frankfurt / Main und London mit hochkarätigen Kardiologen in New Orleans und Washington zusammengeschaltet - hatten wir Gelegenheit, die Ergebnisse der Studie mit Dr. Allan Taylor (Washington), Prof. John Chapman (Hôpital de la Pitié, Paris) und Prof. Raimund Erbel (Uniklinikum Essen) zu diskutieren.

Die Studie wurde bei 167 Patienten mit Erkrankungen der Herzkranzgefäße durchgeführt; etwa die Hälfte von ihnen hatte bereits einen Herzinfarkt. Sie waren über mehrere Jahre mit Statinen zur Senkung des "schlechten" Cholesterins behandelt worden. Zwölf Monate lang erhielt die eine Gruppe dieser Patienten zusätzlich ein Medikament zur Anhebung des "guten" Cholesterins, die andere ein Scheinmedikament (Placebo).

Die Ergebnisse waren eindeutig: Der HDL-Cholesteringehalt im Körper stieg um bis zu 25 Prozent, zugleich sank durch die Kombitherapie das LDL-Cholesterin um bis zu 17 Prozent. Ferner wurden die Triglyze-ride, eine ebenfalls schädliche Fettgruppe, um bis zu 35 Prozent reduziert.

Besonders günstig schnitt bei allen bisherigen Untersuchungen, also auch bei der ARBITER-2-Studie, das von Merck entwickelte Medikament Niaspan ab. Es ist in den USA bereits seit 1997 zugelassen. In Deutschland, Österreich, England und Irland ist die Zulassung bereits erfolgt, in anderen EU-Staaten wird sie in Kürze erwartet.

Insbesondere Diabetiker - so die Erkenntnis der Forscher - profitieren in hohem Maße von der Kombitherapie mit Niaspan und einem Statin. Zumindest einer der zitierten Studien (HDL Atherosclerosic Treatment Study / HATS) ergab für diese Patientengruppe eine Minderung des Infarkt- und Schlaganfallrisikos um 60 bis 90 Prozent.

Die an der internationalen Video-Pressekonferenz teilnehmenden Experten - darunter auch der am Hamburger UKE tätige Prof. Eberhard Wissen und Prof. Elisabeth Steinhagen-Thiessen vom Stoffwechsel-Centrum der Charité in Berlin - konnten uns weitere erfreuliche Ergebnisse der Cholesterin-Studien mitteilen. So haben sich keine Hinweise auf schwerwiegende Nebenwirkungen ergeben. Vereinzelt kam es lediglich zu - eher harmlosen - Hautrötungen in den ersten Behandlungswochen. Dies ist insofern bemerkenswert, als zum Teil das Medikament deutlich länger als ein Jahr verabreicht wurde.

Für medizinische Laien etwas irritierend ist die Tatsache, das der Hauptwirkstoff des Medikaments Niaspan den keineswegs harmlos klingenden Namen Nikotinsäure trägt. Nikotin, also der wesentliche Schadstoff in Zigaretten und anderen Tabakwaren, ist schließlich bekannt als "Killer Nummer 1" unter den infarkt- und krebsauslösenden Substanzen.

Aber keine Sorge. Mit dem Nikotin, das leider immer noch viel zu viele Menschen, vor allem auch jüngere, beim Rauchen inhalieren, hat die Nikotinsäure außer der Namensähnlichkeit nichts zu tun. Es handelt sich um einen sogenannten Vitamin-B-3-Komplex, also ein natürlich vorkommendes Vitamin. Es fördert besser als jeder andere bislang bekannte Wirkstoff den Aufbau des "guten" Cholesterins.

Und das funktioniert so: Cholesterin kann sich im Blut nicht frei bewegen, sondern braucht als Trägerstoff Eiweiß (Lipoprotein). Die "gute" Sorte (HDL) hat die Eigenschaft, überwschüssiges Cholesterin aus den Gefäßwänden zu lösen und von den Arterien weg zur Leber zu transportieren, wo es abgebaut oder ausgeschieden wird. Das "schlechte" Lipoprotein (LDL) hingegen kann Cholesterin nicht abtransportieren, sondern lagert es ab, was schließlich zur Gefäßverengung und schlimmstenfalls zum Infarkt oder Schlaganfall führt.

Die uns jetzt von New Orleans und Washington aus übermittelten aktuellen Forschungs- und Testergebnisse bedeuten natürlich nicht, daß Herzinfarkt und Schlaganfall nunmehr besiegt wären. Der Einsatz nikotinsäurehaltiger Medikamente wie Niaspan kann zwar das Risiko deutlich senken, solange aber die hinlänglich bekannten Risikofaktoren, an erster Stelle das Rauchen, nicht wesentlich energischer bekämpft werden, ist alle Kunst der Ärzte und Forscher nur ein "Tropfen auf den heißen Stein".

Womit freilich die jüngsten Erfolge in der Herz- und Kreislauftherapie nicht kleingeredet werden sollen. Wenn durch intensiven Forschungsaufwand auch der deutschen Pharmaindustrie das Infarkt- und Schlaganfallrisiko um ein Viertel gesenkt werden konnte, so ist das zwar noch lange nicht genug, aber auf jeden Fall ein Erfolg, auf den man stolz sein kann.

Arteriosklerose - die meistverbreitete Krankheit: Herzpatient während Operation
 
     
     
 
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