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Ein Lied in allen Dingen

 
     
 
Das Leben der meisten ist eine immerwährende Geschäftsreise vom Büchermarkt zum Käsemarkt; das Leben der Poetischen dagegen ein freies, unendliches Reisen nach dem Himmelreich“, läßt Joseph Freiherr von Eichendorff eine seiner Figuren fabulieren. Wanderer zwischen Himmel und Erde war auch der Dichter des „Taugenichts“, mehr noch aber Schöpfer eines herausragenden lyrischen und epischen Gesamtwerkes, das unlängst Günther Schiwy, langjähriger Cheflektor mit jesuitischem Hintergrund aus dem Süddeutschen, unter die Lupe genommen hat, um mit einer verblüffend neuen Sicht über den schlesischen Romantiker aufzuwarten. Nicht ein jammernder, nörgelnder preußischer Beamte
r wird darin präsentiert, sondern ein beherzter Kämpfer, der seinen Überzeugungen von Recht und Freiheit die Treue hielt, was ihn in den Wirren der 48er Revolution zum satirischen Kritiker sowohl des Säbel- als auch des Pöbelparlamentes hat werden lassen ....

Vor allem aber will Schiwy mit seinem imposanten Werk klarstellen, daß es eine monströse Engführung sei, den Ratiborer mit seiner leicht erregbaren Natur nur als „zu spät“ gekommenen Romantiker zu werten. Eichendorff habe die literarische und weltanschauliche Revolution, die letztlich auch ihn prägte, anfänglich zunächst mitgetragen, dann überlebt und schließlich daraufhin abgeprüft, welchen Beitrag sie dem weiteren Gedeihen der Humanität leisten könne.

Prozeß der Dichterwerdung ließen sich dazu die ersten Kapitel überschreiben, in denen die Kindheit des 1788 auf Schloß Lubowitz in Oberschlesien geborenen Freiherrn im Blickpunkt steht. Neben einem Tagebuch nahm die literarische Laufbahn mit einem mehraktigen Trauerspiel ihren Anfang. Den Stoff entnahm der damals Elfjährige der römischen Geschichte. Ein Ansatz für den Autor, Eichendorff auch als historischen Schriftsteller gelten zu lassen. Lebensfreude als Grundstimmung des Pubertierenden, die im geselligen Umgang ihren nachhaltig prägenden Ausdruck fand, liest Schiwy dann heraus, wenn er in „Der Adel und die Revolution“ jene Sommernachmittage beschrieben findet, an denen man sich mit nachbarschaftlichem Besuch „in der desolaten Gartenlaube“ niederließ, um mit „hergebrachten Späßen und Neckereien gegen die Damen scharmützierte“. Doch Schatten auch hier: die Kindheit wird schnell überdeckt vom elterlichen Bankrott. Das von den Schwiegereltern erworbene Gut Lubowitz und die Einkünfte aus dem Ackerbaubetrieb Radoschau deckten nicht die Ausgaben, so daß im Jahre 1801 schließlich der Liquidationsprozeß er- öffnet wurde

Die Erweckung zum Dichter indes kam, wie es sich für einen richtigen Romantiker gehört, durch die Muse höchstselbst: Einmal ging sie im Lubowitzer Garten am Lusthause vorüber, um dem Kinde im Schatten der Mittagsschwüle zu begegnen. Doch freilich: „Ich war Ihr noch zu kindisch“, wie sich Eichendorff in dem autobiographischen Fragment „Idyll von Lubowitz“ erinnerte. Doch nicht nur dies, auch der stete materielle Mangel gesellte sich dem Heranwachsenden und begleitete ihn und seinen Bruder Wilhelm durch die Schul- und Studienzeit in Breslau, Halle, Heidelberg und Wien, die ohnehin nur durch die Zuwendungen des Onkels Johann ihren Fortgang finden konnte. In Heidelberg traf Eichendorff endlich auch auf die Romantiker; er verkehrte mit Görres, Creuzer, Greis, Graf Loeben, v. Arnim und v. Brentano.

Hier findet er auch sein Metier. Im Bunde, aber eben auch durchaus eigenständig und verschieden von seinen romantisch inspirierten Gefährten entwickelt er, wie Schiwy nachweist, fernab den schlichteren volksliedhaften Elementen, den gleichsam typischeren Arbeitsfeldern der Romantik, literaturkritisch geklügelte Essays, um komplexe historische, philosophische, theologische als auch poetische Phänomene in geradezu universalistischer Weise auszuloten. Gleichsam mit Eifer auf der Suche nach dem Ding an sich, glaubte der Katholik Eichendorff in der Reformation und ihren eigentlichen Philosophen Kant „einen durch alle Verwandlungen hindurchgehenden Faden“ gefunden zu haben („sie hat die revolutionäre Emanzipation der Subjektivität zu ihrem Prinzip erho- ben“).

Den bedeutungsvollsten unter den geistigen Ziehvätern aber sieht der Jesuit Schiwy neben Kant in Friedrich Schlegel. Nicht minder prägend wird Schleiermacher gewesen sein: Wenn Eichendorff in reiferen Tagen in seinen Essays Religion und Gemüt, Gefühl und Vernunft, Poesie und Phantasie, künstlerisches wie kirchliches Mittlertum zusammen nimmt als „poetische Religion“, standen Schleiermachers Reden „Über Religion“ und die „Weihnachtsfeier“ deutlich Pate. Schiwy pointiert hier gleichsam jesuitisch: Der Philosoph gestatte ihm guten Gewissens poetischer Pantheist zu sein - und zugleich überzeugter Katholik.

So lieferte auch Novalis, der „zu früh entschlafene Jüngling“, dem „alles Kunst ward“, mit „Heinrich von Ofterdingen“ nicht nur den Prototyp zu den „Einsiedlern“, die in Eichendorffs Werk leitmotivisch auf sein ganzes literarisches Leben fortwirkten, sondern prägten auch sein Urteil über die Romantik, „die keine bloße literarische Erscheinung“ offenbarte, sondern „vielmehr eine innere Regeneration des Gesamtlebens“ vornahm, wie Eichendorff in „Halle und Heidelberg“ bekannte.

Seinen endgültigen Entschluß, Dichter zu werden, datiert Schiwy dabei vielleicht allzu kühn auf das Jahr 1806/07 und glaubt mit einem fragmentarischen Ausspruch die komplizierten schöpferischen Prozesse dingfest machen zu können: „Fühlst du in deinem Innersten das heilige, unbezwingliche Sehnen, Dichter zu sein, so bist du es auch schon“.

Was aber wollte Poesie für diesen Romantiker? Nicht nur für Eichendorff eine zentrale Frage, sondern auch für Schiwy, um sich dem Schlesier anzunähern. Zur Antwort benutzt er die „Wünschelrute“. Die 1838 beschworene Zauberformel wertet der Autor nämlich als goldenen Schlüssel für das Werk schlechthin, denn den von Eichendorff hochverehrten spanischen Dichter Don Pedro Calderon, den er ab der zweiten Lebenshälfte übersetzte, hat der Dichter daran gemessen, wie er das Irdische im Diesseitigen abzubilden vermag. Dahin nämlich geht nach Eichendorff „alle Poesie“. Und keiner vermochte das in seinen Augen vollkommener als Calderon: „Wir fühlen, es schlummert unter dem irdischen Schleier ein unergründlich Lied in allen Dingen, die da sehnsüchtig träumen. Calderon aber hat das Zauberwort getroffen, und die Welt hebt an zu singen.“

Wie Schiwy unterstellt, will Eichendorff sein dichterisches Werk ebenso wie auch das von Calderon verstanden wissen als „Poesie des Unsichtbaren“. Wohl nicht zuletzt deshalb machte er sich an die deutsche Übersetzung der calderonschen Mysterienspiele, die „Autos sacramentales“, was bis dato noch keiner vor ihm riskiert hatte. Deren hoher textlicher Schwierigkeitsgrad und deren vermeintliche Unzumutbarkeit im Zeitalter der Aufklärung galten als wenig reizvoll, wie Schiwy mit einigem Grund vermutet.

Auch daß der gemeinhin eher als betulich geltende Dichter die Nähe zu Andreas Hofer, dem unerschrockenen Tiroler Freiheitskämpfer suchte und während der Deutschen Befreiungskriege alles daran setzte, eine militärische Karriere zur Beförderung der Wohlfahrt des deutschen Volkes aufzubauen, bleibt bei Schiwy nicht unerwähnt. Auch wenn Eichendorff es im Lützowschen Freicorps nur bis zum Landwehroffizier brachte, der fernab der politischen Zentren in Torgau und Glatz seinen Beitrag leistete, um dem Drang des „Franzmann“ zu hindern.

Die berufliche Karriere im engeren zivilen Sinne ging freilich nicht ohne Mühsal ab: Der preußische Beamte Eichendorff geriet rasch in die Fänge politischer Intrigen und mußte sich über ein Jahrzehnt in Berlin als ministerieller „Hilfsarbeiter“ verdingen. Auch später, als kommissarischer Verwalter der Stelle eines katholischen Kirchen- und Schulrats in Danzig unter dem Oberpräsidenten von Westpreußen, Theodor v. Schön, gab es Probleme. Nach Schiwys Urteil hatte die vermeintliche Freundschaft zwischen dem Oberpräsidenten eher zweckgebundenen Charakter: Von Schön benutzte Eichendorff als dichtenden Propagandisten für seinen Plan des Wiederaufbaus der Marienburg. Und Eichendorff hoffte, sich durch ihn von dem Aktenstaub der heiklen Kirchenprobleme befreien zu können. Immerhin unterstütze v. Schön Eichendorff bei seiner Flucht von Königsberg nach Berlin.

In den Berliner Ministerien saß er dann „am Schreibtisch bleich und krumm“, befaßt mit der spröden Materie juristischer Gutachten. Während dieser Zeit aber entstand - nach „Ahnung und Gegenwart“ aus dem Jahre 1815 - sein zweiter „romantischer Roman“: „Dichter und ihre Gesellen“. Darin sind die gesellschaftliche Ohnmacht der allmählich untergehenden romantischen Bewegung und Denkansätze zum Ausweg aus diesem Niedergang thematisiert. Er vermeinte, es sei Ausweg auf die alte Weise immer so zu dichten, daß es immer neu und ursprünglich erscheint. Mit der Person des Fortunat, der zwischen Dichter- und Beamtentum balanciert - einer Art alter ego also - räsoniert Eichendorff darüber, wie sich die ursprüngliche Utopie der Frühromantik hinüberretten ließe auch in die moderne Welt eines sich allmählich nihilistisch gebärdenden Materialismus. Schiwy widmet diesen Thesen breiten Raum, weil er so vor allem Eichendorffs eigene Position innerhalb der Romantik am ehesten nachvollziehbar zu konturieren vermag. Ähnlich übrigens auch der neun Gedichte umfassende Revolutionszyklus „1848“ und die politische Satire „Libertas und ihre Freier“, die im Schatten des populäreren „Taugenichts“ kaum Beachtung fanden, gaben Schiwy wohl spannenden Stoff und Grund genug, um das gängige Eichendorffsche Bild zu korrigieren: Ersterer belege, daß für den 60jährigen Eichendorff die Revolution vor allem ein Gottesgericht über die „hochmutstollen Schriftgelehrten“ in den Regierungen und über die „Stolzen“ auf ihren „Thronen“ darstellte, die vergessen hätten, daß sie zuerst Diener des einen göttlichen Königs sind. Denn, „das Pöbelregiment ist dumm“ und „das Säbelregiment noch dümmer“, was uns Heutigen so überholt nicht scheinen mag ...

Im Jahr 1847 kritisierte der Altersweise letztlich dann auch die Romantik in seiner Schrift „Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland“: Sie habe sich von ihrer eigentlichen Aufgabe, „die Kirche in Leben, Kunst und Wissenschaft wider frei und geltend zu machen“, entfernt. Jeder fange wieder an, sich anarchisch einen Katholizismus nach eigenen, poetischen Gelüsten zuzustutzen“. Dem Jesuiten Schiwy werden diese Zeilen wohl besondere Genugtuung verschaffen haben. So bleiben auch die erst 1911 und 1982 aus dem Nachlaß veröffentlichten Aufsätze gegen die Deutschkatholiken „Über die kirchlichen Wirren“ und „Gegen den Deutschkatholizismus“ nicht unerwähnt. Schiwy beurteilt den altersleisen Eichendorff als Gegner einer heiligen Allianz zwischen „Thron und Altar“, sucht mit Vehemenz den Katholiken durch einen ökumenisch orientierten Christen zu ersetzen.

Um seinen Thesen einen überaus soliden Unterbau zu verschaffen, hat der Autor eine kaum noch zu verfolgende Anzahl von Quellen sprudeln lassen, die sich aber allesamt in einem machtvollen Wissenstrom vereinigen und aus dem noch Generationen erfrischendes Wasser schöpfen dürften. n

inen Thesen einen soliden Unterbau zu verschaffen, hat Schiwy in seiner Biographie eine schier unendlich große Anzahl von Quellen sprudeln lassen. Zusammengetragen, was Tagebücher, Briefe, Abgelegenes und Vordergründiges hergaben und daraus eine für lange Zeit verbindlich bleibendes Werk geformt, das man sich als Baustein in vielen germanistischen Seminaren nur wünschen kann. Einen soliden Unterbau zu verschaffen, hat der ehemalige Lektor in seiner Biographie eine imponierende Vielzahl von Quellen sprudeln lassen, aus Tagebüchern, Briefen, aus Gedichten, Romanen und Erzählungen sowie den politischen und literarischen Streitschriften des Dichters. Allzu üppig übrigens, denn der Faktenreichtum erschlägt zuweilen. Aber selbstverständlich, es ist eine bemerkenswerte Biographie, die auf lange Zeit hin anregend und auch prägend wirken dürfte, die einen Eichendorff präsentiert, den man sich als Baustein in vielen germanistischen Seminaren unserer leider so denkwürdig umerzogenen deutschen Universitäten wohl wünschen dürfte, auch wenn diese revolutionäre Fleißarbeit ihre Gegner finden dürfte.

 

Entstammte einer schlesischen Adelsfamilie und wurde mitunter als der „letzte Ritter der Romantik“ bezeichnet: Joseph Freiherr von Eichendorff, der 1788 auf Schloß Lubowotz bei Ratibor geboren wurde und 1857 in Neisse verstarb.

 
     
     
 
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