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Das Reich der Pharaonen, schreiben die Verfasser dieses Buches, habe einer "großen Blume" geähnelt, die dem Lauf des Nils gefolgt sei. Ihr langer Stengel habe das südliche Ägypten und die gewaltige Blüte das ausgefächerte Nildelta gebildet. So beginnt eine "Zeitreise ins alte Ägypten", die zwei US-Amerikaner, der Archäologe und Historiker Brian Fagan sowie der Fotograf Kenneth Garrett, interessierten Laien anbieten. Je zur Hälfte enthält der Band Texte, welche die Geschichte und Kultur Altägyptens erläutern und mit hochklassigen Farbfotos bebildert sind. Letztere zeigen Motive dieses versunkenen Reiches, Pyramiden, Schriftstücke, Mumien, aber auch Ägypter der Gegenwart, die bisweilen genauso leben wie ihre Ahnen vor Jahrtausenden.
Die moderne Ägyptologie entstand erst ab 1798, als französische Truppen in das vergessene Imperium der Sphinx einrückten. 1818 entzifferte Jean-Francois Champillon die Hieroglyphenschrift. Seither hat die Wissenschaft, nicht zuletzt dank modernster Techniken, enorme Fort- schritte erzielt. Dennoch bleiben viele Fragen, beispielsweise hinsichtlich der Pyramiden, offen.
Schon Herodot bemerkte, daß Ägypten sein Dasein dem Nil verdankt habe. Nur dort wurde gesiedelt, wo der Nil alljährlich über die Ufer trat und das Land mit fruchtbarem Schlamm bedeckte, der den Anbau von Getreide ermöglichte. Die Abhängigkeit von Naturgewalten, vor allem Sonne, Erde und Wasser, prägte auch das Weltbild der Ägypter. Sonnengott Re repräsentierte die stärkste Kraft einer vielgestaltigen Götterwelt, und der Sonnenzyklus gebar Wiederauferstehungsmythen.
Etwa 6000 v. Chr. kamen die ersten Menschen in das Niltal. Im Laufe der Zeit entstanden mehrere Fürstentümer in Ober- und Unterägypten. Die Wasserwirtschaft, glaubt Fagan, erzwang autoritäre Ordnungen. Nach langen Kämpfen gelang es den Fürsten von This, Ägypten um 3000 v. Chr. zu vereinigen. Die ersten Könige residierten in der Hauptstadt Memphis. Nach dem dortigen Königs- palast, das "große Haus", nannte man sie Pharaonen. Der falkenköpfige Gott Horus personifizierte das geeinte Ägypten. Nun begann die Geschichte des "Alten Reiches".
Konkrete historische Ereignisse jener Frühzeit sind kaum überliefert. In die Weltgeschichte ragen die Pyramiden von Giseh, die bereits um 2500 v. Chr. errichtet worden sind und die größten Bauwerke der gesamten Antike blieben. Von ihren Schöpfern, Snofru, Chefren und Cheops, weiß man wenig. Die Pyramiden wurden nach dem Sonnenlauf hin angelegt und symbolisierten vermutlich das ewige Leben im Kampf gegen Tod und Chaos. Nicht nur als Grabstätten dienten die monumentalen Dreiecke, sondern sie waren mythische Orte, von denen aus tote Pharaonen zu kosmischen Göttern reisten. Unzählige Bauern, die tonnenschwere Steine schleppten, bauten die Pyramiden während der Flutphasen des Nils.
Ordnung und Sicherheit nach innen und außen zu gewährleisten stellte die Hauptpflicht jedes Pharao dar, der als Inkarnation des Gottes Re galt. Wesire leiteten die zentrale Staatsverwaltung, insbesondere Lagerhäuser und Kornkammern; sie enthielten Lebensmittel als Lohn für Beamte, denn Geld kannten die Ägypter nicht. Das rund tausend Kilometer lange Reich gliederte sich in Gauprovinzen sowie Stadt und Dorfbezirke, verwaltet von Gouverneuren und Bürgermeistern. Sie kontrollierten Ernten, kassierten Steuern und bedienten sich einer Armada von Schreibern, die wegen ihrer Kleidung "Weißschurze" hießen. Viel spricht dafür, daß ökonomische Notwendigkeiten die Künste des Schreibens und der Mathematik beflügelten.
Korrupte Beamte drangsalierten das niedere Volk, welches in kleinen Dorfsiedlungen kümmerlich existierte. "Die Pharaonen herrschten über einen Staat, in dem den meisten Menschen ein kurzes Leben dauernder Qualen beschieden war und nur bedingungsloser Gehorsam eine Überlebenschance bot".
Trotz der Gottähnlichkeit des Pharao geriet das Königtum etwa 2150 v. Chr. in eine schwere Krise. Hungersnöte griffen um sich, die etliche Gaufürsten darin bestärkten, regionale Königsgewalt zu usurpieren. Gut hundert Jahre dauerte diese erste "Zwischenzeit", bis eine neue Zentralgewalt die Macht ergriff.
Nun folgte das sogenannte "Mittlere Reich", das bürokratisch gelenkt wurde und in dem die Pharaonen ihr Prestige nicht voll wiederherstellen konnten. Viele Ägypter durften, sofern sie imstande waren, kostspielige Riten zu bezahlen, ewiges Leben quasi kaufen. Die politische Geschichte stand immer deutlicher im Zeichen äußerer Abwehrkämpfe an der Nordostgrenze des Reiches. Hier drangen Asiaten ein, die Hyksos, angelockt vom relativen Wohlstand der Ägypter, und ergriffen allmählich die Macht. Um 1540 v. Chr. gelang es den Ägyptern, diese zweite "Zwischenzeit" zu beenden und die Herrschaft der Hyksos, welche ein tiefes Trauma verursacht hatte, abzuschütteln.
Das "Neue Reich" brachte innen- und außenpolitisch eine Renaissance. Die wichtigste Figur dieser Epoche war Ramses II., der in Abu Simbel gewaltige Statuen schuf. Die Regierung des monotheistischen Echnaton hingegen blieb Episode. Obwohl ägyptische Heere zeitweise bis nach Syrien vorstießen, erlag das erneuerte Reich zahlreichen Invasoren, Seevölkern, Libyern, Nubiern, dann Assyrern, Persern und Griechen.
Über die Ursachen dieses Prozesses reflektieren die Autoren leider nicht. Verloren die Ägypter den Glauben an sich selbst? Ein Symptom hierfür könnte man darin sehen, daß sie in ihrer Spätzeit immer seltener zum Schwert griffen und statt dessen Söldner engagierten, ein wirtschaftlich und politisch selbstmörderisches Unterfangen.
Spätestens mit dem Tod der Kleopatra endete der letzte Nachhall ägyptischer Kultur. Schon etwa 2000 v. Chr. hieß es in einem ägyptischen Gedicht: "Was wurde aus ihren Häusern? /Ihre Mauern liegen danieder, /Ihre Orte sind vergangen, /Als hätte es sie nie gegeben!" Rolf Helfert
"Das Reich der Pharaonen - Eine Zeitreise ins alte Ägypten", Text: Brian Fagan, Fotos: Kenneth Garret, National Geographic Deutschland, Hamburg 2001, 288 Seiten, 49,90 Eur |
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