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Hans Jürgen Pantenius rekapituliert und analysiert die letzte Schlacht an der Ostfront

 
     
 
Es ist erstaunlich, daß immer noch Bücher erscheinen, die neue Erkenntnisse über militärische Ereignisse des Zweiten Weltkrieges vermitteln, glaubt man doch angesichts der Bücherflut, wir wüßten alles über die Vorgänge an den Fronten. Abgesehen davon, daß manche der vorliegenden Darstellungen die Vorgänge aus dem Blickwinkel der Sieger schildern und andere von zweifelhafter Qualität sind, gibt es tatsächlich noch weiße

Flecken in der Geschichts
schreibung, von denen einer jetzt durch das fulminante Werk eines Verfassers gefüllt wird, der in geradezu idealer Weise alle Voraussetzungen für eine ebenso sachlich erschöpfende wie engagierte Darstellung erfüllt. Es geht um die Ereignisse in den letzten Kriegsmonaten zwischen den Kämpfen um Warschau über Westpreußen bis zur Danziger Niederung. Der Autor, Hans Jürgen Pantenius, war nach seiner Teilnahme an den Feldzügen in Polen, Frankreich und der Sowjetunion Kommandeur des Volksgrenadierregimentes 690 im Rahmen der 337. Volksgrenadierdivision und hat am eigenen Leibe erlebt, was er jetzt wissenschaftlich zu erforschen und schildern unternahm. Dazu hatte er sich qualifiziert, nachdem er nach dem Ausscheiden aus dem Dienst des Bundesgrenzschutzes (letzter Dienstgrad Oberst) 1974 das Studium der Geschichte an der Münchener Universität absolvierte und es mit der Promotion zum Doktor phil. 1982 abschloß. So gehört er zu den wenigen Historikern, die auch Fachleute in allen Fragen des Militärs sind; er ist sowohl Zeuge vor Ort gewesen als auch der von der erhöhten Warte des Wissenschaftlers aus urteilende Historiker.

Pantenius, geboren 1914 in Kolberg, beginnt die Schilderung mit seiner Tätigkeit 1943 an der Infanterieschule Döberitz. Dort erlebt er den 20. Juli 1944 und kommt als Augenzeuge zu dem Schluß, daß der Umsturzversuch angesichts "eklatanter Fehler" der Verschwörer, deren schwerwiegendster die Führungsschwäche der Putschisten war, niemals hätte gelingen können. Zudem meint er, daß ein Gelingen des Umsturzes zum Bürgerkrieg in Deutschland geführt hätte.

Bewegt liest man, unter wie schwierigen Bedingungen sich die deutschen Truppen mit aller Kraft der roten Flut entgegenstemmten. Dabei fehlte nicht nur der Treibstoff für die Fahrzeuge, sondern immer wieder auch Verpflegung und Munition. Die Verluste waren hoch. Schwer wogen auch Führungsmängel und fehlende Nachrichtenverbindungen, die es unmöglich machten, die Lage zu überblicken. Bei Schwedt schließlich wurde die 337. Volksgrenadierdivision, zu der Pantenius Regiment gehörte, total zerschlagen. Die Reste wurden aus der Front gezogen. Bei Helderode erfolgte die Neuaufstellung. Anfang Februar 1945 verteidigte diese neue Division, verstärkt durch Versprengte, Marine-Einheiten und Lufwaffen-Feldbataillone, an der Weichsel das Land gegen die Rote Armee. Wie es um die Reste von Divisionen, ja der ganzen 2. Armee bestellt war, mag eine Aufstellung über die Kampfstärke der Divisionen belegen. Das extremste Beispiel: Die 4. Panzer-Division, deren Kommandeur, ein Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub und Schwertern, gefallen war, hatte am 9. März 1945 noch eine Kampfstärke von 928 Mann.

Bis zur Kapitulation der Wehrmacht bemühten sich die angeschlagenen Einheiten, die Sowjets aufzuhalten, um den in und um Danzig/ Gotenhafen massierten eineinhalb Millionen Flüchtlingen und 100.000 Verwundeten den Abtransport über See zu ermöglich. Am 8. Mai gingen die Reste der 2. Armee, unter ihnen Pantenius Regiment, bei Schiewenhorst in sowjetische Gefangenschaft. Bemerkenswert: Damals bot der in Flensburg sein Amt ausübende Großadmiral Dönitz dem Oberbefehlshaber der Armee Ostdeutschland, General Dietrich von Saucken, an, ihn aus Ostdeutschland herauszufliegen.

Von Saucken weigerte sich und schickte das für ihn bestimmte Flugzeug, beladen mit Verwundeten, in den Westen. Er selbst blieb mit elf weiteren Generalen der Armee Ostdeutschland bei den Soldaten, um mit ihnen in Gefangenschaft zu gehen. Nur sechs der Generale überlebten diese und kehrten nach mehr als zehn Jahren in die Heimat zurück.

Außerordentlich aufschlußreich ist das Schlußkapitel, in dem der Autor sich bemüht, die militärischen Lehren aus den Abwehrkämpfen zu ziehen. Er geht der Frage nach, welchen Sinn die letzten Kämpfe hatten, was unsere Soldaten motivierte, bis zuletzt auszuhalten, nach welchen Grundsätzen die sowjetische Führung vorging, wie die deutsche Führung beschaffen war, welche Erfahrungen die Infanterie aus den Kämpfen ziehen kann, wie sich die zunehmenden Belastungen auf die Soldaten auswirkten.

Das aufwendig mit vielen farbigen und schwarzweißen Karten sowie zahlreichen Abbildungen ausgestattete Buch ermöglicht sowohl den damals zwischen Warschau und Danzig eingesetzten Soldaten als auch allen Westpreußen einen genauen Überblick über die Ereignisse. Wissenschaftlich schließt es für die Geschichtsschreibung eine Lücke. Auch der heutige Soldat, der wieder im Kampf steht, wenn auch nicht zur Verteidigung seiner Heimat, wird das Buch mit Gewinn lesen. Der nicht niedrige Preis ist sowohl durch die Qualität des Textes als auch durch die vorbildliche Ausstattung vollauf gerechtfertigt. Michaela Weiser

Hans Jürgen Pantenius: "Letzte Schlacht an der Ostfront - Von Döberitz bis Danzig 1944/1945", Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg 2002, zahlreiche Abb., geb., 48 Euro
 
     
     
 
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