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Hellsichtige Analysen

 
     
 
Jeder, der einmal vor einem leeren Blatt Papier gesessen hat und dieses mit Worten (packenden, vielsagenden, weisen, witzigen, geistreichen) füllen wollte, der kennt die Qual, wenn eben diese passenden Worte nicht fließen wollen. Schreibhemmung nennt man diese Sperre, die besonders diejenigen hart trifft, die beruflich mit dem geschriebenen Wort umgehen müssen. Diese Hölle plastisch darzustellen, ist den Ausstellungsmachern in München gelungen, als sie das Leben des Schriftstellers Wolfgang Koeppen darstellen wollten. Sechs Schreibmaschinen unterschiedlichster Marken sind dort zu sehen, von einer alten "Triumph" bis hin zum Brother-Schreibautomaten, aus dem ein Blatt Papier ragt: "Kann ich nicht auf dieser schreiben? Bin ich zu dumm dafür?" liest man. Ein Hilferuf ...

Wolfgang Koeppen, der "für seine hellsichtigen und brisant
en Analysen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft und für seine brillanten Reisebücher berühmt" war, gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwartsliteratur, aber auch als ihr "berühmtester Schweiger". - "Ich lebe in einem Roman, und das mindert meinen Willen, ihn zu schreiben", sagte er - entschuldigend?

Mit seinen ersten drei großen Romanen "Tauben im Gras" (1951), "Das Treibhaus (1953) und "Der Tod in Rom" (1954) begründete er seinen Ruhm. Marcel Reich-Ranicki lobte die "Tauben im Gras" kurz und bündig: "Wer diesen Roman nicht gelesen hat, der solle nicht glauben, er kenne die deutsche Literatur nach 1945." Weitere große "Würfe" gelangen Koeppen danach nicht mehr, sieht man einmal von seinen packenden Reise-Essays ab. In seinem schriftlichen Nachlaß, der sich in der Universität Greifswald befindet, sind allein mehr als 1300 Blätter mit Notizen, Entwürfen und abgebrochenen Passagen zu seinem Prosawerk "Jugend" erhalten, das schließlich als Band 500 in der Bibliothek Suhrkamp 1976 erschien.

Die Ausstellung in der Glashalle des Münchner Gasteigs eröffnet dem Besucher verschiedene Sichtweisen und Perspektiven auf Leben und Werk des Schriftstellers. Durch die labyrinthischen "Carceri" des Giovanni Battista Piranesi, die Koeppen oft als Sinnbild für die irritierende Vielschichtigkeit seiner Texte zitierte, betritt man die Ausstellung. Dort begegnet man auch den Orten seiner Kindheit - Greifswald, wo Koeppen am 23. Juni vor 100 Jahren geboren wurde, Ortelsburg, wo er seine Jugend verbrachte. "Ich habe in den Zeitläufen zeitläufig gewohnt", hat Koeppen die Frage nach seinem Leben in der Weimarer Republik und im Dritten Reich beantwortet. Dokumente aus dem Nachlaß geben Auskunft über diese Zeit, in der Koppen als Journalist und Drehbuchautor wirkte.

Näher kommt man dem Menschen Wolfgang Koeppen bei der Betrachtung seines Münchner Arbeitszimmers, das mit originalen Möbeln und persönlichen Gegenständen für die Ausstellung rekonstruiert wurde. Pakete mit Belegexemplaren, Zeitungsberge, Radios und Fotoapparate liegen auf Sofa, Schreibtisch und dem Boden. Man meint das Ringen des Dichters um Worte zu spüren. Eines Dichters, der seit 1974 immer wieder einen neuen Roman ankündigte, der allerdings nie erscheinen sollte. Die Öffentlichkeit schien es ihm nicht übelzunehmen, zeichnete Koeppen sogar mit Preisen und Ehrungen aus: Georg-Büchner-Preis, Kultureller Ehrenpreis der Stadt München, Pommerscher Kulturpreis für Kunst, Ehrendoktorwürde der Universität Greifswald. "Mein Tag ist ein großer Roman", sagte Koeppen, der am 15. März vor zehn Jahren in München starb. Die Ausstellung ist eine Aufforderung, ein wenig in diesem Roman zu blättern. Peter van Lohuizen

Die Ausstellung der Stadtbibliothek München unter dem Titel "Ich wurde eine Romanfigur. Wolfgang Koeppen 1906-1996" ist im Münchner Gasteig, Glashalle, täglich von 8 bis 23 Uhr zu sehen, bis 25. Juni; Begleitbuch aus dem Suhrkamp Verlag 25 Euro.

Wolfgang Koeppen
 
     
     
 
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