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Helmut Bärwald über Annäherungen von SPD und PDS

 
     
 
Rettet die Sozialdemokratie in der SPD" ist der Titel eines Papiers zur Lage und zur Entwicklung der SPD, das von zahlreichen zur SPD-Linken gehörenden Funktionären der Partei in Mecklenburg-Vorpommern unterschrieben wurde. Der Initiator des Papiers ist der Sprecher des 1995 gegründeten "Warener Kreises", Rudolf Borchert (Mitglied des SPD-Landesvorstandes und stellvertretender Chef der Landtagsfraktion). Dieser hatte bereits vor Jahren die SED-Fortsetzungspartei PDS als "wichtigen Partner für die linken Reformkräfte in Deutschland" bezeichnet.

Wenn aus linken Kreisen in der SPD der Ruf nach Rettung der "Sozialdemokratie" erschallt, dann ist gewiß nicht die Sozialdemokratie gemeint, wie sie ab 1945 insbesondere vom damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher
geprägt wurde. Die Streitschrift der SPD-Linken in Mecklenburg-Vorpommern ist typisch für Papiere und Erklärungen von SPD-Linken, gebündelt in deren "Dachorganisation" in Partei und Parlamentsfraktionen, "Forum Demokratische Linke 21" unter Vorsitz von Andrea Nahles (frühere Juso-Bundesvorsitzende).

Bereits einen Tag nach der Bundestagswahl hatte sich die SPD-Linke mit einer Erklärung "Sozialdemokratische Politik nach der Wahl" zu Wort gemeldet. Die SPD müsse endlich wieder als "linke Kraft" in Deutschland erkennbar sein, lautet eine der darin erhobenen Forderungen. Nach den verheerenden Wahlniederlagen der SPD in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar werden die Forderungen schärfer und die Töne gegenüber dem Genossen Schröder rauher. Im vom "Forum DL 21" herausgegebenen Mitteilungsblatt "Forum-Fraktion" wurden unter dem Titel "Zeit für einen Neuanfang" Vorschläge für eine neue Agenda sozialdemokratischer Regierungspolitik veröffentlicht und dem SPD-Vorstand vorgelegt. Unterschrieben wurde das Papier von Andrea Nahles, dem Landtagsabgeordneten Ulrich Mauerer (Koordinator der Linken im SPD-Parteivorstand), Niels Annen (Juso-Bundesvorsitzender) sowie den Bundestagsabgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Parteivorstandes) und Hermann Scheer (Präsident von Eurosolar und Träger des "Alternativen Nobelpreises"). Diese Kritiker bemängeln an der sozialdemokratischen Regierungspolitik insbesondere, daß "unser Bild auf den zentralen Feldern der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und sozialen Gerechtigkeit widersprüchlich und damit orientierungslos" sei. Das Vertrauen in die SPD, den gesellschaftlichen Wandel zukunftsweisend und gerecht zu gestalten, sei erschüttert. Weder Machtworte noch Vertröstungen, auch nicht ein paar "neue Köpfe" würden ausreichen, um den Vertrauensverlust wahlabstinenter Wähler wettzumachen oder die eigene Anhängerschaft neu zu motivieren.

Das "Borchert-Papier" aus Meck-lenburg-Vorpommern wird noch eine Nuance deutlicher und drängender: Nicht nur die SPD-Politik sei programmatisch orientierungslos, vielmehr werde innerhalb der Partei der "Prozeß der Entpolitisierung und Entdemokratisierung" vorangetrieben. Aktivitäten der Mitglieder an der Basis blieben ungenutzt; die Mitglieder würden "nicht mehr als gleichberechtigte Partner im politischen Dialog, sondern als Beitragszahler und bestenfalls Plakatkleber im Wahlkampf angesehen". Angesichts dieser Entwicklung sei es für viele Mitglieder und Sympathisanten der SPD immer schwerer erkennbar, was das spezifisch Sozialdemokratische an dieser Politik sein soll. Einen großen Teil der Verantwortung dafür trage die Führung der SPD mit dem Parteivorsitzenden Schröder an der Spitze. Mit dieser Auffassung stehen Borchert und Genossen in der SPD-Linken keinesfalls allein.

Von einem ehemaligen SPD-Linken, dem jetzigen Bundesgeschäftsführer der PDS, Uwe Hiksch, bekommen die linken SPD-Genossen kräftige Rippenstöße: Statt sich dauerhaft der Neuen Mitte zu beugen und weiter an Gewicht und Ernsthaftigkeit zu verlieren, solle die SPD-Linke endlich anfangen, wieder sozialdemokratische Inhalte für die Regierungspolitik einzufordern. Die PDS werde jedenfalls ihren Druck auf die SPD, endlich sozial gerechte Politik zu gestalten, weiter erhöhen, verkündete Genosse Hiksch. Monate zuvor hatte der gerade gewählte PDS-Bundesgeschäftsführer posaunt: "Mit der SPD verbindet uns die Tradition." Es gibt aber auch noch andere Gleichartigkeiten von SPD und PDS. Seit der verheerenden Niederlage bei der letzten Bundestagswahl und seit dem Bundesparteitag der SED-Nachfolgepartei im Oktober vergangenen Jahres wird diese Partei von heftigen Flügelkämpfen, personellen Querelen und schier endlosen Debatten und Gezänk um sozialistische Politik und ein sozialistisches Programm durcheinandergebracht. Reform-"Linke" und Reform-"Rechte", die Kommunistische Plattform, eine neu gegründete Gruppe "Geraer Dialog" ("Es ist höchste Zeit für ein Bündnis all derjenigen in der PDS, die bereit sind, den sozialistischen Charakter der Partei zu verteidigen"), die Bundesarbeitsgemeinschaft "Linke Opposition in und bei der PDS", Mitglieder des Parteivorstandes und des Parteirates, alle palavern und streiten, jede Gruppe für sich, manchmal miteinander und auch gegeneinander. Parteichefin Gabi Zimmer fordert alle Mitglieder auf: "Wir müssen gemeinsam für einen Ruck sorgen." Ein Kampfruf lautet: "Gemeinsam für einen neuen Aufbruch." Die PDS-Zeitung Neues Deutschland mokiert sich darüber, daß die PDS nach dem turbulenten Geraer Parteitag noch immer kämpft, allerdings "derzeit vor allem mit sich selbst", und bestätigt, daß die Partei in einer "tiefen Krise" steckt.

Petra Pau, eine der beiden PDS-Bundestagsabgeordneten, fürchtet "mittelfristig um die Existenz der Partei", wenn es dem Bundesvorstand nicht gelinge, neue Akzente zu setzen, und wenn die "Erosion der Bundespartei" nicht schnellstens gestoppt werden könne. Die andere Bundestagsabgeordnete der PDS, Gesine Lötzsch, sagte in einem Interview auf die Feststellung des Gesprächspartners, es entstehe der Eindruck, daß die Partei zerfällt: "Das ist nicht auszuschließen, falls wir uns nicht bald aufrappeln."

Doch auch eine andere Entwick-lung ist vorstellbar: Die Partei bleibt in ihrer jetzigen Struktur erhalten, so daß enttäuschte Mitglieder sie verlassen und anderswo, in einem anderen Teil der Linken, "Unterschlupf" suchen. Manche "modernen" Sozialisten in der PDS könnten dabei die SPD-Linke und Oskar Lafontaine ins Auge fassen.

Der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende ist im Januar unüberhörbar auf die politische Bühne zurückgekehrt, mit der Ankündigung: "Ich möchte auf jeden Fall die politische Richtung ändern." Wessen Richtung? Den Kurs der Partei, der Regierung? Bundesvorstand und Bun-destagsfraktion wehren sich mit harschen Worten gegen eine Rückkehr Lafontaines in die Bundespolitik. Die SPD-Linke sieht ihm dagegen erwartungs- und hoffnungsvoll entgegen. Der Vize-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, meinte, ein "erfolgreicher Kämpfer wie Lafontaine" täte der SPD gut.

Wenige Wochen vor der letzten Bundestagswahl "träumte" André Brie, PDS-Europaabgeordneter und einer der kompetenten Theoretiker der SED-Nachfolgepartei, öffentlich von einer "kooperationsfähigen Linken in Deutschland" mit den beiden "Zugpferden" Lafontaine und Gysi. Nur wenig später schrieben Brie und Gysi "mit herzlichen Grüßen" einen Brief an den "lieben Oskar" Lafontaine und forderten ihn auf, sich für einen "linken Aufbruch" zu engagieren. Die SPD brauche "die Herausforderung von links"; Lafontaine sei dafür der richtige Mann, denn er sei es gewesen, "der nicht gewillt war, einen neoliberalen Regierungskurs mitzutragen". PDS-Chefin Gabi Zimmer machte deutlich, daß mit diesem Brief insbe- sondere auch "enttäuschte Lafontaine-Anhänger" angesprochen werden sollten, die festgestellt hätten, daß sie 1998 zwar einen Machtwechsel, jedoch keinen Politikwechsel bekommen hätten.

Eine Vision: Eine aufstrebende SPD-Linke mit Oskar Lafontaine als Mitstreiter wird durch Abspringer aus einer zerfasernden PDS verstärkt. Das könnte vielleicht bald zur Realität werden.
 
     
     
 
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