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Hilfe aus der Natur

 
     
 
Im 17. Jahrhundert galt in der Volksmedizin der Hering in Ostdeutschland als Heilmittel. Bis zur Vertreibung war der Hering in Ostdeutschland nicht nur ein begehrtes Volksnahrungsmittel, besonders bei der Landbevölkerung, hier vor allem bei den Fischerfamilien, ersetzte der Hering doch oftmals den Arzt. "Nimm 10 Heringe, je 2 Quentchen Zimt, Weinsteinsalz und Gewürznelken, gieße 2 Quart starken Weißwein darauf und lasse es einen Monat stehen. Alsdann seihe ab und koch den Wein über einem langsamen Feuer, wobei ständig ein nasses Tuch über das Gefäß zu halten ist, um die Dämpfe aufzufangen und den Fischgeschmack wegzunehmen. Darauf hebt man den Wein zum Gebrauch auf."

Kaum zu glauben, daß man im 17. Jahrhundert dieses Gebräu Patient
en verabreichte, die an Harnfluß litten. Doch in ganz Ostdeutschland galt der Hering als außerordentlich wirksames Allheilmittel.

Auch Heringsstilleben erfreuten sich im 17. Jahrhundert bereits größte Beliebtheit. Ein wichtiger Grund hierfür war der Stolz der Fischer auf diesen einträglichen Erwerbszweig – eben den Heringsfang. Zudem war Hering das Volksnahrungsmittel, dessen großer Nährwert schon früh erkannt wurde: "Wenn er laichreif ist, ist er am besten und übertrifft alle anderen Fische", meinten bereits 1603 die Niederländer.

Doch nicht nur als gesunder und wohlschmeckender Schmaus wurde der Pökelhering gepriesen, auch als Aphrodisiakum kam er zum Einsatz. Das Salz, das ihn so haltbar und schmackhaft macht, wirke nicht nur als Appetitanreger und Magenputzer, es steigere auch die Fruchtbarkeit der Frauen und die Potenz der Männer: Zu diesen Erkenntnissen kam ein Mediziner in seiner umfangreichen Abhandlung über das Salz im Hering. Ein damals berühmter Arzt aus Königsberg berichtet, daß die Geschäfte der Ärzte niemals schlechter gingen als zur Zeit des Heringsfangs. Die therapeutischen Vorzüge beschreibt er folgendermaßen: Ein guter Hering, zu rechter Zeit genommen, fördere die Verdauung, erhöhe die Eßlust, löse den Schleim und mache den Leib flüssig. Das Volk glaube, daß die Krankheiten vor dem Hering wie die Nebel vor der Sonne verschwänden. So verdiene er im Volksmund den Ehrennamen "der Gesundmacher".

Ganz gleich, ob es nur einen simplen Husten oder gar die Pest zu bekämpfen galt, gegen alle denkbaren Leiden und in jeder möglichen Form wurde der Hering als Allheilmittel gebraucht. Auch in den Apotheken war er als Medikament vorrätig und wurde in verschiedenen Formen verabreicht: der Hering im ganzen, die Heringsseelen (Augen) und die Heringslake. Je nach Krankheitsbild standen also immer andere Variationen dieser Arznei zur Verfügung.

Heringsherz, einen Monat lang jeden Morgen gegessen, sollte gegen Geschwüre am Magenmund helfen. Heringsleber, mit Honig vermischt, sollte Zahnschmerzen lindern. Sogar gegen so schwere Leiden wie Epilepsie seien die zu Pulver verbrannten Fischkiemen das geeignete Mittel gewesen. Gegen Steinleiden empfahl eine Apotheke in Allenstein im 16. Jahrhundert, die Heringsseelen zu zerpulvern und mit Rotwein zu trinken; so würde der Stein gebrochen und weggetrieben. Ähnliche Wirksamkeit wurde einem ganzen zu Asche verbrannten Hering zugeschrieben. Auch der Biß einer Schlange oder der eines tollen Hundes verliert seine Schrecken, schenkt man alten Arzneibüchern aus Ostdeutschland Glauben: Nach Reinigung der Wunde mit Essig wird ein Hering mit der inwendigen Seite aufgelegt. Eine Rezeptur aus dem 17. Jahrhundert empfiehlt hingegen, bei Bißwunden einen frischen Salzhering in einem Mörser zu Paste zu zerquetschen und diese dann als Kataplasma drei Tage lang aufzulegen. Ähnlich suspekt erscheint unseren heutigen Nasen wohl der Rat, den zerschnittenen Hering auf ein verrenktes Handgelenk zu legen und bis zur Heilung dort liegen zu lassen. Auch als sympathetisches Mittel (mit geheimen Kräften versehen) half der Hering. Gegen Warzen wußte man beispielsweise folgende Rezeptur: Man berühre um Mitternacht bei Vollmond die Warzen mit einem Heringskopf und werfe diesen dann über den Kopf; daraufhin verschwinde die Warze. Anstatt des Heringskopfes konnte man auch einen Heringsschwanz nehmen. Beim Bestreichen der Warze darf man sich weder von der Sonne noch vom Mond auf die Finger scheinen lassen.

Nicht nur dem Laien – vom Mediziner ganz zu schweigen – kamen sicher einige Bedenken bezüglich dieses Breitbandmedikaments. Schon Martin Schoock, der 1649 eine eigene Abhandlung über den Hering verfaßte, warnt Personen mit entzündeten Augen, Aussätzige, Schwindsüchtige, Krebskranke und Menschen, die an Geschwüren oder Hautentzündungen leiden. Wer viel Hering ißt, so wird im Volke gewarnt, bekommt leicht Fieber; wer viele Heringsseelen (Augen) ißt, den Bandwurm. Sehr skeptisch angesichts der Heilwirkung beschriebener Rezepte zeigt sich ein gewisser Bock in seiner Natur- und Handelsgeschichte der Heringe von 1769.

"Nächst dem Nutzen der Heringe bey unsern Mahlzeiten werden ihnen noch in verschiedenen Krankheiten große Ärzeneykräfte beygelegt, für deren Richtigkeit und jedesmalige Wirkung wir nicht Bürge seyn können." So wandelt sich also der große Lobgesang auf den Hering zum pragmatisch nüchternen Grundsatz: wenn’s auch nichts nützt, so schadet’s gleichwohl auch nicht.

Und heute? – Heringe sind wahre Streß-Stopper, haben Ernährungswissenschaftler festgesetllt. Grund: der hohe Gehalt an "Nerven-Vitaminen" E, D und K. Dazu kommt ein hoher Gehalt an Phosphor und Magnesium. Überhaupt scheint der Hering ein Fisch zu sein, der vom lieben Gott dazu ausersehen wurde, den Menschen zu ernähren. Keine zweite Fischart läßt sich so einfach und in so großen Mengen fangen. Man kann ihn bis auf den Kopf und die Verdauungsorgane komplett verzehren. Sogar die Gräten verschwinden, wenn man ihn einlegt. Und der menschliche Körper kann das Eiweiß des Herings ganz besonders gut verwerten. Manfred Mechow

 
     
     
 
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