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Historiker bestreitet Tieffliegerangriffe auf Dresden

 
     
 
Man stelle sich vor, irgendein Historiker unserer Tage lege ein umfangreiches Buch vor, das sich mit nichts anderem beschäftigt als mit der Frage, ob Aufseher in den KZs des Dritten Reiches scharfe Hunde gehabt hätten oder nicht. Und dieser Wissenschaftler behauptete dann, er sei nach dem Studium der Akten zu dem Schluß gekommen, all die Aussagen von Zeugen, Wachhunde hätten flüchtende KZ-Häftlinge gebissen, seien Täuschungen gewesen. Es habe gar keine Hunde gegeben. Die Häftlinge hätten unter Schock gestanden und an einem Trauma gelitten.

Man würde sich angesichts eines solchen Buches zumindest an den Kopf tippen und sich fragen, was die große Mühe des Studiums
von papierenen Dokumenten für einen Sinn gehabt haben soll (höchstens den der Befriedigung eines Besserwissers). Da sich dadurch weder an dem Gesamtbild der Kzs noch an ihrer Bewertung Wesentliches ändert. Vermutlich würde in diesem Fall sogar der Autor vor Gericht gezogen, weil er die Verbrechen des Nationalsozialismus verkleinere, ja verniedliche und damit das Andenken Verstorbener verunglimpfe.

In diesen Tagen präsentierte in Dresden ein Koblenzer Historiker namens Helmut Schnatz ein umfangreiches Buch mit dem Titel "Tiefflieger über Dresden", erschienen im Kölner Böhlau-Verlag, in dem er nach langwierigem Aktenstudien behauptet, bei den britischen und amerikanischen Angriffen auf die Elbestadt im Februar 1945 habe es gar keine Tieffliegerangriffe auf die Zivilbevölkerung gegeben. Er habe – und damit folgt er Götz Bergander – britische und amerikanische Akten genau so studiert wie einschlägige Deutsche. Nirgends habe er Meldungen der britischen und US-amerikanischen Piloten gefunden, wonach sie im Tiefflug über Dresden mit Maschinengewehren oder Bomben die Flüchtlinge, die im Großen Garten und auf den Elbwiesen Zuflucht gesucht hatten, angegriffen hätten. Auch deutsche Meldungen dieser Art habe er nicht entdeckt. Einige Dresdner hätten ihm bestätigt, auch sie hätten keine Tiefflieger gesehen. Demzufolge seien die zahlreichen Augenzeugenberichte falsch. Die Leute hätten sich getäuscht. Sie hätten unter Schock gestanden. Sie hätten Luftkämpfe zwischen deutschen Jägern und britischen und amerikanischen Flugzeugen fehlgedeutet und das Maschinengewehrfeuer auf sich bezogen. Man habe die tief über Dresden fliegenden Aufklärungsmaschinen für Jagdbomber gehalten usw.

Wenn man die große Zahl von Berichten über die Luftangriffe auf Dresden verfolgt, dann sind zu den verschiedensten Zeiten und unabhängig davon, ob sie in Ost oder West herauskamen, überall Augenzeugenberichte von Betroffenen wiedergegeben, in denen klipp und klar und unter Angaben von konkreten Einzelheiten eben diese Tieffliegerangriffe geschildert wurden. Das begann wenige Jahre nach den Ereignissen und setzte sich fort bis in die jüngste Zeit, als man bereits einen erheblichen Abstand zu den Ereignissen hatte und weniger emotional das Thema anging.

So findet man in dem in der sowjetischen Besatzungszone erschienen Buch "Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden" von dem früheren Sozialdemokraten, dann Mitglied der SAP (zu der z. B. auch Willy Brandt gehörte), dann KPD- und SED-Mitglied und von 1947 bis 1952 sächsischer Ministerpräsident Max Seydewitz genaue Darstellungen über Massaker im Großen Garten und auf den Elbwiesen. Der nach Westdeutschland emigrierte polnische Historiker Janusz Piekalkiewicz spricht von den P-51-Mustangs, die "im Tiefflug die Menschen auf den verstopften Ausfallstraße und auf den Elbwiesen jagten", und so zieht es sich durch die gesamte einschlägige Literatur. Aber sie alle fielen nach Helmut Schnatz den Aussagen traumatisierter Dresdner zum Opfer.

Zweifellos sind Zeugenaussagen mit Vorsicht zu bewerten. Wenn aber Zeugen in so großer Zahl und in so detaillierter Weise die Ereignisse schildern, dann muß man den Aussagen großes Gewicht beimessen. Mehr Gewicht jedenfalls als Papieren, die heute in London und Washington lagern oder nicht lagern.

Im übrigen wird bei der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit in anderen Fällen, die allerdings keine deutschen Opfer betreffen, Zeugenaussagen fast stets geglaubt, und dabei setzt man sich in der Regel in großzügiger Weise über fehlende oder anders lautende Dokumente hinweg. Nur im Falle Dresden, in dem es um deutsche Opfer geht, sollen Zeugenaussagen nichts wert sein. Aber selbst wenn es keine durch Akten belegbaren Tieffliegerangriffe auf Dresdner gibt, so kann überhaupt nicht bestritten werden, daß in den letzten Kriegsmonaten britische und amerikanische Jagdbomber in ganz Deutschland Zivilisten angriffen, ob Bauern auf dem Feld oder Frauen und Kinder auf Landstraßen. Und das wirklich gravierende Kriegsverbrechen der Westmächte wird davon auch nicht berührt, nämlich die in erster Linie gegen die Zivilbevölkerung geflogenen Terrorangriffe mit dem erklärten Ziel, möglichst viele Frauen und Kinder zu töten, um so die Moral der Deutschen zu erschüttern. Dr. Hübner

 
     
     
 
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