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Hungerrevolte in Bautzen

 
     
 
Langsam wurde es still um uns, bis auf den ewig knurrenden Magen und den das Leben verkündenden Vogelgesang vor den Gittern am Abend und am Morgen." Den "Vogelsang vor den Gittern" als Zeichen der Hoffnung wählte der heute 78jährige Walter Jürß als Titel für den Bericht über sein Leben. Er erzählt den Weg vom wohlbehüteten Steppke einer gutbürgerlichen Rostocker Familie über Krieg, Gefangenschaft, Leben in der sowjetischen Besatzungszone, Verurteilung wegen antisowjetisch
er Propaganda durch ein sowjetisches Militärgericht, Haft im "Gelben Elend" in Bautzen, auch in Torgau und Waldheim bis zur Übersiedlung in den Westen und zum Aufbau einer neuen Existenz. Jürß ist einer von vielen Deutschen, die im Herbst ihres Lebens ohne literarischen Ehrgeiz, aber voller Ehrlichkeit aufgezeichnet haben, wie sie die Zeit erlebten, die heute, wie Jürß schreibt, so häufig entstellt geschildert wird. So erzählt er frei von der Leber weg, wie vor etwa 70 Jahren in Rostock Großeltern, Mutter und Kinder - der Vater war früh verstorben - gemeinsam lebten und sparsam, aber zielstrebig sozial aufstiegen. In den Ferien ging s nach Graal-Müritz. Um sich etwas leisten zu können, suchte schon der Schüler kleine Verdienstmöglichkeiten, so als Bote für die Handwerkskammer, gegen die er einen einsamen Kampf focht, als er sich bei der Bezahlung ungerecht behandelt fühlte - übrigens mit Erfolg. So konnte er sich stolz für 75 Reichsmark ein Fahrrad kaufen und 1939 an einer Österreich-Tour der Hitlerjugend teilnehmen. 1942 erlebte er den vernichtenden britischen Luftangriff auf die historische Innenstadt Rostocks. Nach der Arbeitsdienstzeit trat er in das Traditionsregiment der Danziger Leibhusaren, das Kavallerie-Regiment Nr. 5 in Stolp, ein. Allerdings war die Ausbildungszeit nicht ungetrübt, denn gerade in einem solchen Regiment spielten die Standesunterschiede noch eine erstaunliche Rolle. Über die Ausbildung in Frankreich und Einsätze in Rußland landete seine Einheit in Ostdeutschland. Jürß erwähnt Bestialitäten der Roten Armee, die er im Raum Stallupönen, Ebenrode, Trakehnen erlebt hat, weigert sich aber heute noch, sie zu schildern. Aus der Gefangenschaft ließ er sich als angeblicher Landwirt vorzeitig entlassen und arbeitete auf einem Hof im Holsteinischen, bis er Anfang 1946 in seine Heimat Rostock zurückkehrte. Da er als Expedient bei der Deutsch-Russischen Transport-AG Einblick hatte in die Beutegüter, die die Sowjets aus Deutschland abtransportierten, konnte er im Kreise von Studenten, die ihm, wie er schreibt, ein politisches Bewußtsein vermittelten, Material darüber mit Hilfe der Liberal-Demokratischen Partei, dem Ostbüro der FDP, an westliche Zeitungen gelangen lassen, die dann entsprechende Berichte veröffentlichten. Sehr schnell kam der Urheber heraus. Von einem sowjetischen Militärgericht wurde er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, von denen er sieben Jahre in der SBZ, später DDR, absitzen mußte. Dabei erlebte er auch die Hungerrevolten im Gefängnis Bautzen mit. Nach der vorzeitigen Entlassung floh er in den Westen und baute sich als Kaufmann und freier Handelsvertreter eine Existenz auf, betätigte sich in der Kommunalpolitik und setzte sich nach der Wiedervereinigung energisch für die Rechte von in der DDR politisch Verfolgten ein. Jürß liefert den ungeschminkten Lebensbericht eines Deutschen, der mit Zähigkeit und ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn die unruhigen Zeiten durchlebt hat und mitgewirkt hat, Deutschland wieder aufzubauen. Dr. Hübner Walter Jürß: "Vogelsang vor den Gittern - Von den Leibhusaren ins ‚Gelbe Elend nach Bautzen", Verlag books on demand, Norderstedt 2004, 172 Seiten, 26. Abb., Paperback, 10,80 Euro

 
     
     
 
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