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Nicht einmal zu einem richtigen Namen hat sie es gebracht, die Internationale Raumstation ISS, anders als ihre sowjetisch / russische Vorgängerin, die sich stolz MIR (Frieden) nannte - auch wenn das im Kreml vielleicht nicht ganz so ernst gemeint war.
ISS, das ist eben kein Name, sondern die Abkürzung für "International Space Station". Hier gilt im Umkehrschluß: nomen est omen - kein Name kann auch ein deutliches Signal sein! Jedenfalls paßt die lieblose Abkürzung zu einem Großprojekt, das von den daran beteiligten Völkern kaum wahrgenommen und erst recht nicht geliebt wird, sie aber recht teuer zu stehen kommt. Die Kosten waren anfangs mit 40 Milliarden US-Dollar beziffert worden, heute sind die Hochrechnungen bei der 100-Milliarden-Dollar-Marke angelangt.
Neben der US-amerikanischen NASA sind Rußland, Japan, Kanada, Brasilien und die europäische Raumfahrtagentur ESA an der ISS beteiligt. Den Europäern wurde ein Kostenanteil von sechs Prozent zugesprochen; entsprechgend gering ist auch ihr Anteil an der wissenschaftlichen und kommerziellen Nutzung. Deutschland wiederum hat 37,7 Prozent des ESA-Anteils zu tragen. Nach dem derzeitigen Stand der Kostenentwicklung ist also der deutsche Steuerzahler mit rund zwei Milliarden US-Dollar dabei.
Mit dem Zusammenbau der Station war am 20. November 1998 begonnen worden: Eine russische Trägerrakete schleppte ein fast 20 Tonnen schweres Modul auf eine 350 Kilometer hohe Umlaufbahn. Ein ebenfalls fast 20 Tonnen schweres Wohnmodul folgte am 12. Juli 2000. Bis Ende 2002 wurde ISS zügig ausgebaut; die Masse beträgt inzwischen 183 Tonnen.
Im Endausbau, der nach den heutigen Planungen frühestens 2011 erreicht werden kann (wenn überhaupt), soll die Raumstation 110 mal 90 mal 80 Meter messen und eine Masse von 450 Tonnen haben. Ursprünglich sollte dieser Status bereits jetzt erreicht sein.
Doch dann kam die Columbia-Katastrophe am 1. Februar 2003: Schadhafte Isolierteile hatten beim Start den Hitzeschild beschädigt, beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühte die Raumfähre mit sieben Besatzungsmitgliedern an Bord.
Die NASA stoppte das Space-Shuttle-Programm - und damit auch den weiteren Ausbau der ISS. Die Stammbesatzung der Station wurde von drei auf zwei reduziert, russische Raumschiffe übernahmen die laufende Versorgung und alle fünf bis sieben Monate den Austausch der Mannschaft.
Am 26. Juli 2005 ließen die Amerikaner trotz erheblicher Sicherheitsbedenken wieder eine Raumfähre abheben. Und obwohl diese Bedenken nach wie vor nicht vollständig ausgeräumt sind, stellten sie nun erneut das Space Shuttle "Discovery" auf die Startrampe in Cape Canaveral. Mehrfach mußte der Start im letzten Moment abgebrochen werden, wegen schlechter Witterung, wie es offiziell hieß. Am 4. Juli war es dann endlich soweit: Die Raumfähre legte einen Bilderbuchstart hin. Und während sich in Dortmund Deutschlands Elitekicker mit den Italienern maßen - am Ende leider erfolglos -, bewältigten Thomas Reiter und seine sechs Astronauten-Kollegen die kritischste Phase ihrer Weltraumreise problemlos und erfolgreich.
Dieser gute Start der Mission hat dem ehrgeizigen ISS-Projekt eine letzte Galgenfrist eingeräumt. Denn ein Scheitern oder gar ein erneuter schwerer Unfall wäre gleichbedeutend mit dem endgültigen Aus für das Shuttle-Programm gewesen (und noch ist Discovery nicht unfallfrei zur Erde zurückgekehrt). Ohne die amerikanischen Space Shuttles aber könnte die Raumstation nicht weiter ausgebaut und das wissenschaftliche Programm nur auf Sparflamme betrieben werden.
Discovery ist die dienstälteste und am häufigsten eingesetzte Raumfähre der Amerikaner. Ihren Erstflug absolvierte sie am 30. August 1984. Als sie jetzt abhob, war das bereits der 32. Start.
Reiter soll sechs bis sieben Monate an Bord der ISS bleiben. Zu seinen wichtigsten Aufgaben zählt die Vorbereitung der Columbus-Mission, deren Start für Ende 2007 vorgesehen ist.
Auch seine Verwirklichung hängt letztlich von Erfolg oder Mißerfolg der Shuttle-Flüge ab. Aber auch davon, ob es gelingt, dem deutschen Steuerzahler zu erklären, wozu wir dieses 20-Tonnen-Gerät da oben überhaupt brauchen.
Keineswegs Science Fiction: Die Internationale Raumstation wird seit 1998 Stück für Stück im All zusammengebaut. ESA
Thomas Reiter
Sein Schlüsselerlebnis war der 21. Juli 1969, der Tag der ersten Landung eines Menschen auf einem außerirdischen Himmelskörper. Als er daheim auf dem Fernseh-Bildschirm sah, wie der amerikanische Astronaut Neil Armstrong auf dem Mond herumhüpfte, stand für den elfjährigen Thomas Reiter fest: Da oben will ich auch hin!
Nun, bis zum Mond hat es der heute 48jährige noch nicht ganz geschafft, und daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern. Aber "da oben" war er schon. Und nun ist er - allen Widrigkeiten um den Starttermin zum Trotz - wieder "da oben".
Schon als Kind war Thomas Reiter mit der Luftfahrt in Berührung gekommen. Seine Eltern waren passionierte Segelflieger, zudem lag der Wohnort Neu-Isenburg in der Anflugschneise des Frankfurter Flughafens - da kann niemand behaupten, er habe von der Fliegerei noch nie etwas gehört.
Seinen Kindheits- und Jugendträumen blieb Reiter treu. In München studierte er Luft- und Raumfahrttechnik; dem Abschluß als Ingenieur folgte eine Ausbildung zum Testpiloten in den USA. Doch das Erproben neuer Jet-Typen füllte ihn nicht aus, die "Faszination Weltraum" ließ ihn nicht los. 1992 bewarb er sich beim Ausbildungszentrum der europäischen Raumfahrtagentur ESA in Köln und hatte Glück: Nur jeder zehnte Bewerber wurde angenommen, Reiter war einer von ihnen.
Schon ein Jahr später folgte eine Spezialausbildung an den Systemen der russischen Raumstation MIR und des Raumschiffs Sojus. Auch diesen Schritt absolvierte Reiter mit Bravour. Die Konsequenz: Am 3. September 1995 hob er am russischen Weltraumbahnhof Baikonur in der kasachischen Steppe ab und durfte 179 Tage lang an Bord der MIR bleiben. In dieser Zeit umrundete er fast 3000 mal die Erde und brachte unauslöschliche Erinnerungen mit: an die Farbenpracht des Firmaments, an die Sonnenauf- und -untergänge fast 400 Kilometer über der Erde.
Nun hofft er, den eigenen Rekord brechen zu können. Seit fünf Jahren bereitet er sich auf den Langzeitaufenthalt an Bord der ISS vor, seit zwei Jahren ist er offiziell dafür nominiert und wartete seither auf den immer wieder verschobenen Start. Zwei Kollegen, ein Russe und ein Amerikaner, warteten oben bereits auf ihn. In der nunmehr wieder dreiköpfigen ISS-Besatzung wird er als Flugingenieur eingesetzt, soll aber auch zahlreiche wissenschaftliche Experimente betreuen.
Ganz besonders freut er sich darauf, wenn er den Raumanzug überziehen und die Raumstation zu Außenarbeiten verlassen darf. Zwei solcher "Weltraumspaziergänge", wie man diese physisch und psychisch extrem belastenden Einsätze verharmlosend nennt, stehen für Thomas Reiter auf dem Programm, der erste in etwa drei Wochen soll sechs Stunden dauern. Juliane Meier |
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