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Dieudonné Thiébault, der an der Berliner Militärakademie französische Literatur unterrichtete, zählte zu den vielen Bewunderern der Schwester Friedrichs II., Prinzessin Amalie von Preußen (1723-1787). Er schrieb in seinem Spätwerk über sie, "daß sie in ihrer Jugend geradezu angebete t worden sei, nicht nur wegen ihrer Schönheit und Klugheit, sondern auch wegen ihrer Sanftheit und Herzensgüte". Friedrichs Kammerherr, Heinrich Graf von Lehndorff, schwärmte von Amalie: "Unter hundert Personen würde man sie immer herauskennen und ihre königliche Abstammung anmerken. Ihre Augen sind von hinreißender Schönheit, was sie mit ihrer ganzen erlauchten Familie gemein hat." Daß in ihrem späteren Lebensalter von Sanftmut und Schönheit keine Rede mehr sein konnte, hing mit ihrer frühen und einzigen Liebe zusammen. Wie ihr berühmter Bruder lebte sie seelisch vereinsamt, wurde, gleich ihm, ironisch-verbissen. "Pech gehabt", konstatierte sie nüchtern.
Der Mann, den sie geliebt hatte, war der am 16. Februar 1726 im ostdeutschen Königsberg geborene Friedrich Freiherr von der Trenck. Seinem Schicksalsverlauf entsprechend, hatte zur Stunde seiner Geburt ein "Unstern" über ihm gewaltet. Trotz glänzenden Beginns durch hochrangige Förderer verpfuschte er alle ihm gebotenen Chancen. Das lag an seiner Charakterstruktur. Sein "Unstern" hatte ihn zum Abenteurer bestimmt: Leichtfertig, uneinsichtig, unstet. Sein Leben endete in Paris unter dem Fallbeil der Guillotine. Robespierre hatte ihn als Verschwörer im Dienste ausländischer Mächte zum Tode verurteilt. Den Höhepunkt seiner kurzen Glanzzeit erlebte der von Friedrich II. zum persönlichen Adjutanten Berufene und zum Rittmeister der Garde du Corps Beförderte am 24. Juli 1744. Er war Brautführer der Prinzessin Ulrike, einer Schwester Amalies, die an diesem Tag dem schwedischen Kronprinzen angetraut wurde. Amalie bildete den Mittelpunkt der Gästeschar. Trenck wurde ihr vorgestellt. Ihrer beider Blicke lösten sich nicht. "Innerhalb weniger Tage war ich der glücklichste Mann von Berlin", heißt es in den "Memoiren" Trencks, in denen nie der Name "Amalie" fällt. Er spricht nur von der "Großen Dame" oder dem "Gegenstand meines Herzens". Sie sahen sich fast täglich. Fried-rich beobachtete es mit zunehmender Sorge. Er sprach mit Amalie: "Geliebte Schwester, Sie wissen, daß ein Mitglied der Königsfamilie nur ranggleich heiraten darf. Eine Ehe mit Trenck kommt für Sie nicht in Frage." Amalies ruhige Gegenfrage: "Muß man heiraten?" Ebenso ruhig Friedrichs Antwort: "Nein, muß man nicht. Doch da Sie mir in vielem gleichen, vermute ich, daß Sie nur einmal und nie wieder lieben, geschweige eine Pflichtehe eingehen, wie ich es tun mußte. Deshalb werde ich Sie zur gegebenen Zeit zur Äbtissin des Frauenstifts in Quedlinburg ernennen. Mit dieser Pfründe sind Sie finanziell vom Hof unabhängig. Sie können in Berlin leben."
Trencks "Unstern" entfaltete Wirksamkeit. Preußen befand sich im Krieg mit Österreich. Als Ordonnanzoffizier des Heeres mußte er wissen, daß sein Schriftwechsel mit seinem österreichischen Cousin, Maria Theresias Pandurenoberst Franz von der Trenck, nicht geheim bleiben konnte. Er wurde des verschlüsselten Austausches militärischer Informationen verdächtigt und 1745 auf der Festung Glatz gefangengesetzt. 1747 gelang ihm aber die Flucht nach Österreich und dort - er kann seiner Sinne nicht mächtig gewesen sein - trat er zur Armee der Kaiserin über. Das war soldatischer Hochverrat. Als anonym Reisender wurde er in Danzig - wo er eine Familienangelegenheit ordnen wollte - erneut verhaftet. Diesmal setzte Friedrich ihn in der Festung Magdeburg gefangen. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch wurden ihm Hand- und Fußfesseln angelegt. Zehn Jahre vegetierte er in der wenige Schritte breiten Zelle. Er überlebte die Tortur mit der Schaffung kleiner Kunstwerke. Mit spitzem Stift ritzte er Gravuren in 14 Zinnbecher, allegorische Motive, Sinnsprüche. Drei Becher widmete er Amalie. Einer trägt die Inschrift: "Und so nimm mein Glück und Herz mit dem Becher in die Hände."
Nach dem endlichen Frieden mit Österreich 1763 wurde Trenck aus der Haft entlassen. Maria Theresia hatte sich auf diskrete, über einen Unterhändler vorgetragene Bitte Amalies für ihn bei ihrem einstigen Kriegsfeind Friedrich eingesetzt.
Friedrich seinerseits wollte der Kaiserin die Fürsprache nicht abschlagen. Trenck war nun frei, konnte gehen, wohin er wollte. Erst Jahre später traute er sich nach Berlin. Er besuchte Amalie.
Sie saßen sich gegenüber.
Thiébault berichtet über das Treffen: "Welch ein Wiedersehen! Die Unterredung dauerte mehrere Stunden, die ganz unter Tränen verbracht wurden.
Ein Mann mit weißem Haar, den Rükken gekrümmt von den sechzig Pfund schweren Eisenketten, die zehn Jahre lang seine Glieder belastet hatten. War das der prächtige Jüngling, dessen Bild die vielen Jahre im Herzen der Prinzessin Amalie gelebt hatte? Und sie selbst noch mehr entstellt, sie, die einst von zauberischer Schönheit gewesen war."
Amalie hatte ein ihr verordnetes Augenpräparat falsch angewendet. Das Medikament verätzte die Augenpartie und die Gesichtshaut. Beide suchten die Jugenderinnerung heraufzubeschwören. Es mißlang. "Vorbei", sagte Amalie, "aber einmal war es wunderbar. Niemand kann es uns nehmen."
Er strich über die Falten ihrer Hand. Verhalten erklärte er: "Ich reise nach Paris. Dort findet revolutionäre Umwälzung statt."
Erschüttert von diesem neuen Wahnsinnsvorhaben Trencks, warnte Amalie: "Das kann tödlich enden." Trenck, Abenteurer von Geblüt, unbelehrbar geblieben, erwiderte: "Madame, der Tod ist die einzige Gewißheit, die wir vom Zeitpunkt unserer Geburt an haben." Für ihn erfüllte sich diese Gewißheit in den Nachmittagsstunden des 25. Juli 1794 auf dem Schafott.
Und noch ein Besuch hatte Amalie in seelische Erschütterung gestürzt. Ihr 73jähriger Bruder, "Friedrich der Große" geheißen, im Volksmund der "Alte Fritz" genannt, besuchte sie in ihrem Berliner Palais.
Von zwei Hofdamen gestützt, kam sie ihm auf der Treppe entgegen. Die beiden Gebrechlichen wurden in den Salon geleitet. Jeder war über den Anblick des anderen entsetzt. Nicht nur alt waren sie, sondern auch krank.
Friedrich vermied, ins deformierte Gesicht Amalies zu sehen. Leise murmelte er: "Liebste Schwester, hat Sie Ihre Liebe und ihre daseinslange Einsamkeit nie gereut?"
Amalie schüttelte den Kopf. "Nein, gereut hat es mich nie. Ich hätte mit Trenck mein Leben verbringen mögen. Es sollte nicht sein. Mein Bruder, Sie können es nicht verstehen, denn Sie hatten das Glück, nie herzensheiß zu lieben."
Sekunden herrschte tiefe Stille. Ernst erwiderte Friedrich: "Sie irren! Einmal erlebte ich Jugendrausch, ungestüme Zuneigung. Sie war nicht statthaft, nicht einmal goutierbar." Amalie faßte die Hand des Bruders und drückte sie fest.
Fotos: Amalie und Trenck: Eine große Liebe ohne Hoffnung (Archiv) |
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