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In den Fängen des US-Rechts

 
     
 
Im Rechtsstreit zwischen der Gewerkschaftsbank "Bawag" einerseits und den Gläubigern und Aktionären der in Konkurs gegangenen amerikanischen Maklerfirma "Refco" wurde vorige Woche ein Vergleich ausgehandelt. Die Schuldfrage bleibt damit zwar ungeklärt, doch läßt der Inhalt des Übereinkommens darauf schließen, daß sich die frühere Führung von Österreichischem Gewerkschaftsbund
(ÖGB) und "Bawag" zumindest grob fahrlässig verhalten haben muß. Zugleich wurde aber wieder einmal deutlich, welche Geschäftsrisiken vom US-Justizsystem ausgehen. Nämlich von der dortigen "asymmetrischen Prozeßführung", bei der - im Unterschied zur "asymmetrischen Kriegführung" - der ausländische Kontrahent immer im Nachteil ist.

Der Vergleich, der formell noch vom Konkursgericht in New York abgesegnet werden muß, umfaßt folgende Punkte: Die "Bawag" zahlt insgesamt 675 Millionen US-Dollar an die Gläubiger und Aktionäre von "Refco". Desweiteren verzichtet sie auf Rückzahlung eines Dollar-Kredits im heutigen Wert von etwa 350 Millionen Euro. Diesen Kredit hatte sie im Oktober 2005 - wenige Stunden (!) vor dem von "Refco"-Chef Phillip Bennett betrügerisch herbeigeführten Konkurs - an "Refco" überwiesen. Weiter werden die "Refco"-Gläubiger am Erlös des geplanten "Bawag"-Verkaufs beteiligt, und zwar mit 30 Prozent jenes Betrages, um den der Verkaufserlös 1,8 Milliarden Euro übersteigt. Im Gegenzug werden Sammelklagen gegen die "Bawag" fallengelassen, das bisher eingefrorene "Bawag"-Vermögen in den USA wird freigegeben, und das US-Justizministerium wird etwaige gegen die "Bawag" vorliegende Straftatbestände nicht verfolgen.

Der Schwachpunkt der "Bawag" bestand darin, daß sie zeitweilig an "Refco" beteiligt war - teils direkt, teils indirekt über Stiftungen. Daraus konnten die "Opferanwälte" eine Einflußnahme der "Bawag" auf die "Refco"-Geschäftsführung konstruieren, folglich eine Mitschuld der "Bawag" am "Refco"-Konkurs behaupten und der "Bawag" den Status eines geschädigten Massegläubigers absprechen.

Ob es diese Einflußnahme gegeben hat, bleibt offen. Aber daß sie überhaupt ins Spiel gebracht wurde, hängt damit zusammen, daß die "Bawag" Vermögenswerte in den USA besitzt. Kurz und gut, "es war etwas zu holen".

Von ausländischen Firmen wird immer wieder unterschätzt, wie sehr sie durch Schadenersatzansprüche in den USA unter Druck geraten können - sofern sie dort Vermögen oder gar Tochterfirmen besitzen. Denn selbst bei sachlich kaum fundierten Ansprüchen ist es für findige Anwälte relativ leicht, von einem Bezirksrichter das Einfrieren solcher Vermögenswerte zu erwirken. Was auf Erpressung hinausläuft, denn der Beklagte muß mit langwierigen Verfahren rechnen, die ihm selbst im Erfolgsfall exorbitante Anwaltskosten sowie Geschäftsausfälle bescheren. Ein Vergleich ist daher das kleinere Übel.

Einer breiteren Öffentlichkeit mag dies erstmals im Streit um das sogenannte Schweizer "Nazi-Gold" bewußt geworden sein: Schon vor der politischen Lösung hatten sich die Schweizer Großbanken freiwillig zu Milliardenzahlungen verpflichtet, um ihr USA-Geschäft nicht zu gefährden. In anderen Fällen hätte man da wohl von Schutzgelderpressung gesprochen. Ganz allgemein unterscheidet sich die Rechtspraxis in den USA von der in Mitteleuropa hauptsächlich dadurch, daß Verfahrensfragen einerseits und die "Öffentlichkeitsarbeit" der Kontrahenten andererseits eine ungleich größere Rolle spielen. Es ist daher nicht ganz abwegig, die USA eher als Rechtsanwaltsstaat denn als Rechtsstaat zu bezeichnen.

Der Vergleich in den USA ermöglicht es der "Bawag", eine ordnungsgemäße Bilanz 2005 vorzulegen. Das Prozeßrisiko hingegen hätte in maximaler Höhe verbucht werden müssen, und damit hätte die "Bawag" das für Banken vorgeschriebene Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital nicht erfüllen können. Der Gesamtschaden aus "Refco"-Konkurs, mißlungenen "Karibik-Geschäften" und der Affäre Spielkasino Jericho wird auf bis zu drei Milliarden Euro geschätzt. Der ÖGB wird damit selbst nach dem Verkauf der "Bawag" auf Schulden sitzenbleiben, und über die vereinbarte Bundesgarantie könnte sogar noch der Steuerzahler drankommen.

Da bei reinen Finanzgeschäften jedem Verlust ein Gewinn entspricht, wäre es natürlich höchst interessant zu erfahren, wer die Gewinner waren. Die Schadenersatzklagen gegen frühere Funktionäre von "Bawag" und ÖGB können jedenfalls nur als symbolische Gesten der neuen Führung gewertet werden. Ob ÖGB-Mitglieder darüber nachdenken, daß mit dem Verkauf der "Bawag" auch wieder eine New Yorker Firma, nämlich das Bankhaus Morgan Stanley, beauftragt wurde?
 
     
     
 
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