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Jetzt holen sie schon die Kinder

 
     
 
Nach der "Befreiung" 1945 kerkerten die Sowjets rund 200000 Deutsche ein. 35000 von ihnen wurden von der Siegerjustiz - meistens in Form eines sowjetischen Militärtribunals - zu Strafen verurteilt, die entweder langjährige Inhaftierungen oder gleich Erschießungen zur Folge hatten.

"Ich war doch nur ein kleines Mädchen - von 16 Jahren", klagt Jutta Petenati. 1945 wurde sie von den Sowjets für zwei Wochen in ein Loch gesteckt. "Da gab es Läuse, aber nichts zu essen", schildert sie ihre Erlebnisse nach Kriegsende anläßlich der Vorstellung einer Broschüre über das lange verdrängte Martyrium junger Deutscher in den russischen Folterkellern von Berlin. Die Historiker Peter Erler und Ekkehard Schultz haben ein Büchlein über das Thema erarbeitet, über das in Deutschland ein "Wissen-, Forschungs- und Publikationsdefizit" herrsche, wie sie herausgefunden haben. Zeitzeugen stellten den Band vergangene Woche im Berliner Magnus-Haus vor, gleich gegenüber dem weltberühmten Pergamon-Museum. Das Haus diente den Sowjets seit 1945 als provisorische
n "Lubjanka" in der deutschen Hauptstadt.

Inhaftiert wurde Jutta Petenati wegen des Verdachts, ein "Werwolf" zu sein. Sie war beim Jungmädelbund und wurde immer und immer wieder gefragt, ob sie nicht HJ-Mitglieder im angeblichen Untergrund kenne. Tat sie nicht. Also wurde sie weiter verhört.

"Am Ende habe ich unterschrieben, daß ich nicht weitererzähle, daß es Sowjets waren, die mich so lange festgehalten haben", sagt sie. Was die damals 16jährige nicht weiß: die (ihr unverständliche) russische Erklärung, die sie unterschreibt, ist eine Verpflichtungserklärung, für den russischen Geheimdienst zu spitzeln. Als der Druck der Geheimdienstler auf sie immer stärker wird, zieht sie schließlich in den Westsektor - zu ihrem Verlobten in Steglitz.

Während Petenati ihre zweieinhalb Wochen in russischer Haft noch relativ gut überstanden hat - sie wurde "nur" psychisch gequält - erging es Horst Jänichen sehr viel schlechter. Der ehemalige HJler wurde im April 1946 zu Hause abgeholt - kurz bevor er "hamstern" fahren wollte. "Meine Mutter hat mir trotz der frühlingshaften Wärme gesagt, ich solle warme Klamotten anziehen", erinnert er sich. Das war seine Rettung: "Ich war der einzige (Häftling) im nächsten Winter, der einen Mantel dabei hatte."

Es verging kein Tag ohne Schläge, berichtet Jänichen. Er durchlief mehrere Haftanstalten der Sowjets. Auch er unterschrieb eine Erklärung, deren Inhalt ihm wegen der russischen Sprache verschlossen blieb. "Wir waren durch Entbehrungen in der Kriegszeit geprägt. Sonst hätten wir das wohl kaum durchgestanden", glaubt Jänichen.

Als letzter schildert Werner Rösler seine Erfahrungen mit den russischen Folterkellern. 1947 arbeitete er beim Berliner Rundfunk, als ein paar Russen ihn abholten. Er solle nur einige Fragen beantworten, wurde ihm signalisiert. Doch dann kam er in einen der gefürchteten Keller der GPU, des russischen Geheimdienstes, wo er tagelang verhört wurde. Sein Schlüsselerlebnis: "Ich kam zu einem ehemaligen General, der bei der SS-Division Charlemagne war. Er saß in seiner Zelle und schrieb auf einer Schreibmaschine alles Mögliche auf. Er wurde gut behandelt."

Wer auf diese Art und Weise kooperierte, kam Mißhandlungen davon. Die Russen wollten irgend etwas wissen, was war im Grunde egal. "Auf mich sind sie gekommen, weil mein Name im Notizbuch eines Mädchens stand, dem ich Karten für Konzerte besorgt habe." Als das Mädchen wegen angeblichen Widerstands gegen die Besatzungsmacht verhaftet wurde, kassierten die Russen alle, die in ihrem Notizbuch standen.

Rösler, damals Mitglied der noch nicht völlig gleichgeschalteten ostzonalen Liberaldemokraten, wurde daraufhin jahrelang inhaftiert. In Sachsenhausen lernte er Heinrich George kennen, den Vater des Schauspielers Götz George. Georges trockener Kommentar, als er Rösler erstmals in Sachsenhausen sah: "Jetzt holen sie schon die Kinder."

"Am Geburtstag seines Sohnes spendierte George, der in der Küche eingesetzt war, mehrere Graupen extra in der Suppe", bemerkt Rösler. Und: "Ich wollte das seinem Sohn immer einmal sagen." George ist bald darauf zugrunde gegangen.

"Bei der Durchsetzung ihrer Ziele griff die Siegermacht auf spezifische stalinistische Repressiv- und Terrormethoden zurück, die in der damaligen UdSSR zur alltäglichen Herrschaftspraxis gehörten", heißt es in "Orte des Terrors - GPU-Keller in Berlin".

Die Broschüre listet auf 42 von insgesamt 78 Seiten Kerkergebäude - insbesondere auch in West-Berlin vor der Ankunft der West-Alliierten im September 1945 - auf. Sie ist damit der erste Schritt, diese "Kammern des Schreckens" wissenschaftlich aufzuarbeiten - eine späte Genugtuung, auf die die Betroffenen auch nach der Wiedervereinigung noch 16 Jahre warten mußten.

Peter Erler, Ekkehard Schultz: "Orte des Terrors - GPU-Keller in Berlin", Berlin 2006, 78 Seiten, 1 Euro; zu bestellen beim "Bund der Stalinistisch Verfolgten", Ruschestraße 103, Haus 1, 10365 Berlin, Tel. (030) 55 49 63 34
 
     
     
 
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