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Johann Gottfried Herder und Johann Wolfgang von Goethe

 
     
 
Weimar feiert: Goethe, Schiller, das Bauhaus, Liszt, Bach, Wieland und natürlich sich selbst – als Kulturstadt Europas 1999. Von Johann Gottfried Herder allerdings ist keine Rede, wie unser Leser Gerhard Hahn nach ausführlichen Recherchen empört feststellte. Dabei hatte Goethe den Ostdeutschland als Generalsuperintendenten nach Weimar vermittelt. Und in Weimar war es, wo der Mohrunger seine "Stimmen der Völker in Liedern" vollendete und sein letztes größeres Werk, das Epos des "Cid", schrieb.

Begegnet waren sich die beiden Großen der deutschen Geistesgeschichte zum ersten Mal 1770 in Straßburg. Herder war dorthin gereist, um eine lästige Augenf
istel auszukurieren, der junge Goethe, um dort zu studieren und nicht zuletzt auch der Enge seiner Vaterstadt Frankfurt am Main zu entfliehen. – Überhaupt ist der Dichterfürst zeit seines Lebens gern gereist – nicht nur nach Italien, auch in die Schweiz, nach Böhmen und Thüringen. Dem will ein Buch aus dem Augsburger Steiger Verlag Rechnung tragen, das sich mit historischen Bildern, aktuellen Fotos, vor allem aber mit den lebendigen Texten von Edda und Michael Neumann-Adrian auf die Spuren Goethes begibt: Goethe auf Reisen (144 Seiten, Efalin mit Schutzumschlag, 39,90 DM). "Mit Goethe zu verreisen ist eine Reise zu Goethe", so die Autoren. Auf diese Reise wollen sich auch die Verehrer des Dichters begeben, die vom 20. bis 24. August an einem gemeinsamen Projekt der Städte Frankfurt, Straßburg, Zürich und Verona teilnehmen: "Ein Dichter auf Reisen – Wege zu Goethe". Mit der Bahn geht es zu den genannten Städten, wobei der Zug zur Bühne für Dramen, Konzerte und Lesungen werden soll (Information: 0 36 43/ 24 00 24). Wer dem Dichterfürsten literarisch näherkommen möchte, der kann das anhand des jetzt auch als Taschenbuch erhältlichen Bandes Ein Tag aus Goethes Leben von Erich Trunz (Verlag C.H.Beck, 217 Seiten mit 9 Abb., 19,90 DM). Der Königsberger Trunz hat in diesem lesenswerten (und auch unterhaltsamen) Buch acht Studien zu Leben und Werk Goethes vereinigt.

Doch zurück zur Begegnung Goethes mit Herder in Straßburg, die von Historikern als eine der folgenreichsten Begegnungen der deutschen Geistesgeschichte bezeichnet wird. "Der Ostpreuße", so erläutert der Elbinger Paul Fechter in seiner "Geschichte der deutschen Literatur", sah offenbar in dem fünf Jahre Jüngeren nicht einen Menschen mit eigenem Recht, sondern einen jungen Mann – Goethe war gerade 21 Jahre alt –, der gründlich über seine Irrtümer aufgeklärt und von seinen durchaus falschen Wegen auf die einzig richtigen Herders und seines Lehrers Hamann geführt werden mußte."

"Goethe liebte das Rokoko", so Fechter weiter, "Herder schlug es ihm in Trümmer und setzte die Gotik an seine Stelle. Goethe hatte als junger Mann in Frankfurt von französischen Schauspielern viele Aufführungen der Tragödien Corneilles und vor allem Racines erlebt; Herder verdrängte diese latente Klassik und setzte Hans Sachs und die alte deutsche Welt an ihre Stelle, bot ihm statt des Alexandriners den Knittelvers und stellte den jungen Herrn aus dem reichen Frankfurter Haus vor völlig veränderte Aufgaben, die nicht der junge Dichter sich, sondern die Herder ihm ausgesucht hatte ... Herders Suggestionskraft war so stark, daß der jüngere, weichere, obwohl er schon damals unter der oft unbedenklichen Rücksichtslosigkeit des Älteren litt, sich ihm beugte ... Wenn der Einfluß Herders trotzdem so stark und fruchtbar werden konnte, daß er bis in die Wilhelm-Meister-Zeit und über sie hinaus bei Goethe fortgewirkt hatte, so lag das daran, daß die Hauptwelle der Zeit in die gleiche Richtung drängte. Die Bewegung, die die Jahre zwischen 1770 und 1780 erfüllte, hieß Shakespeare, Zerbrechen der Regeln, hieß Sturm und Drang und hieß vor allem Geniekult. Herder blieb der Stärkere, weil die Zeit, die Moderne mit ihm war und weil die Seele des jungen Goethe seiner Wucht noch nicht gewachsen sein konnte. Erst anderthalb Jahrzehnte später machte Goethe sich von dem störenden Eingriff frei, indem er nach Italien ging. Er floh nicht nur vor Frau von Stein – er floh ebenso vor Herder, obwohl er dessen Einwirkungen noch lange mit sich trug und im Grunde erst als Greis vollkommen abzuschütteln vermochte."

Wie tief der Eindruck war, den Herder bei Goethe hinterlassen hat, entnehmen wir den Zeilen, die Goethe selbst über diese Begegnung schrieb: "Die ganze Zeit dieser Kur besuchte ich Herder morgens und abends; ich blieb auch wohl ganze Tage bei ihm und gewöhnte mich in kurzem um so mehr an sein Schelten und Tadeln, als ich seine schönen und großen Eigenschaften, seine ausgebreiteten Kenntnisse, seine tiefen Einsichten täglich mehr schätzen lernte. Die Einwirkung diesen gutmütigen Polterers war groß und bedeutend ... von Herder ... konnte man niemals eine Billigung erwarten, man mochte sich anstellen wie man wollte ... Da seine Gespräche jederzeit bedeutend waren, er mochte fragen, antworten oder sich sonst auf seine Weise mitteilen, so mußte er mich zu neuen Ansichten täglich, ja stündlich befördern ... Nun werde ich auf einmal durch Herder mit allem neuen Streben und mit allen den Richtungen bekannt, welche dasselbe zu nehmen schien. Er selbst hatte sich schon genugsam berühmt gemacht und durch seine ,Fragmente‘, die ,Kritischen Wälder‘ und anderes unmittelbar an die Seite der vorzüglichsten Männer gesetzt, welche seit längerer Zeit die Augen des Vaterlands auf sich zogen. Was in einem solchen Geiste für eine Bewegung, was in einer solchen Natur für eine Gärung müsse gewesen sein, läßt sich weder fassen noch darstellen. Groß aber war gewiß das eingehüllte Streben, wie man leicht eingestehen wird, wenn man bedenkt, wie viele Jahre nachher und was er alles gewirkt und geleistet hat ..."

Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Charakteren – mit allen Höhen und Tiefen. So sandte Goethe dem Volksliedsammler Herder im September 1771 zwölf Lieder aus dem Elsaß und 1772 die erste Fassung des "Götz" zur Beurteilung: "Auch unternehm ich keine Veränderung, bis ich Ihre Stimme höre." Herder schließlich äußerte sich gegenüber Caroline Flachsland, seiner späteren Frau, über den "Götz": "Es ist ungemein viel deutsche Stärke, Tiefe und Wahrheit drin, obgleich hin und wieder es auch nur gedacht ist" und riet Goethe zur Überarbeitung.

Die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts bringen ein reges Hin und Her zwischen den beiden Freunden. Neben aller Freundschaft aber gibt es auch Diskrepanzen, so daß Goethe im Januar 1775 an Herder schreibt: "Laß uns ein neu Leben beginnen miteinander. Denn im Grund habe ich doch bisher für Dich fortgelebt, und Du für mich."

Ein Höhepunkt dieser Männerfreundschaft aber sind wohl die Bemühungen Goethes, den Mohrunger als Generalsuperintendent in die damals sechstausend Einwohner zählende Residenzstadt Weimar zu holen. Wieland bemerkte kurz nach seiner Ankunft: "Weimar ist seiner nicht wert; aber wenn ihm nur leidlich wohl bei uns sein kann, so ist Weimar so gut als ein andrer Ort ..." Herder ist bald unzufrieden, zu sehr halten ihn die Amtsgeschäfte von seiner literarischen Arbeit ab. Er streitet mit Kant, überwirft sich schließlich auch mit Goethe.

Als Herder 1803 stirbt, liegen vor Goethe noch nahezu drei Jahrzehnte voller Schaffenskraft. Beide haben sie schließlich ihre letzte Ruhestätte in Weimar gefunden: Herder in der Stadtkirche St. Peter und Paul, die heute gemeinhin Herderkirche genannt wird, Goethe in der Fürstengruft auf dem Historischen Friedhof.

 
     
     
 
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