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Die litauischen Nachbarn erinnern den Gouverneur des Königsberger Gebietes und den Leiter des Gebietsschutzkomitees immer öfter daran, daß der Fluß am linken Memelufer verunreinigt ist. Das liegt daran, daß in Kaunas und Memel auch Betriebe schlecht gereinigt abfließen lassen, sagt Georgij Uljaschew, stellvertretender Vorsitzender des Gebietsnaturschutzkomitee s.
Aber bald bleibt nur noch Königsberg auf der Liste der Verursacher, denn in den genannten Städten werden bereits moderne Kläranlagen gebaut. Im Gebiet ist man noch lange nicht soweit. Das Problem muß dringend gelöst werden. Sonst droht die Gefahr, daß internationale Sanktionen für die Vergiftung des Baltikums erhoben werden.
Wen zählt man eigentlich zu diesen Vergiftern? Da sind vor allem drei große Zellstoff- und Papierwerke, eins in Königsberg, eins in Ragnit und noch eins in Tilsit. Der Pregel ist weit entfernt von den Litauern. Die zum Grenzfluß gewordene Memel soll aber gut geschützt werden. Es ist höchste Zeit, den Bau der Kläranlagen für die beiden auf dem Memelufer liegenden Zellstoff- und Papierwerke zu beenden. Wenn man zur Baustelle der Kläranlage des Zellstoff- und Papierwerkes in Ragnit kommt, freut man sich schon von weitem auf die entstehenden Gebäude. Wenn man aber näher herankommt, ist die Freude schnell dahin: Hier gibt es noch unendlich viel zu tun. Die Arbeit mußte der neue Besitzer des Werkes erledigen, der das Kontrollaktienpaket erworben hat. Dem Kaufvertrag wurden ein Investitionsprojekt und andere Unterlagen beigelegt, darunter sind auch welche, die Naturschutzmaßnahmen vorsahen. Zur gegebenen Frist blieben aber viele Vertragsbedingungen unerfüllt, und was die Kläranlage angeht, so wurde die Sache über den toten Punkt hinaus gar nicht bewegt.
Jetzt versucht man, den Kaufvertrag des Kontrollaktienpaketes gerichtlich aufzulösen. Das Gerichtsverfahren kann Monate, wenn nicht Jahre dauern, denn es muß von einem internationalen Gericht verhandelt werden. Der Aktienpaketbesitzer namens Kamran Amin wohnt in London und seine Firma ist auf den Virginia-Inseln angemeldet. Aber wer von den Leuten an den Themseufern interessiert sich für die Erhaltung der Memel in ihrer einmaligen Schönheit? Wenn man zur Baustelle der Kläranlage des Zellstoff- und Papierwerkes in Tilsit kommt, ist man über das Ausmaß dieses Betonfriedhofes einfach entsetzt. Man sieht, daß es leichter wäre, diesen Bau einzustellen und auf einer neuen Stelle ganz neu anzufangen. Das ist keine Zeitungsente, denn die Fachleute meinen, daß so etwas billiger, schneller und wirksamer sein würde. Die Gründe liegen für Viktor Plaksin, den Vorsitzenden des städtischen Naturschutzkomitees, klar auf der Hand: Das Zellstoff und Papierwerk leitet heutzutage etwa 43 000 Kubikmeter ungereinigtes Wasser direkt in den Fluß ab. Hinzukommen noch 14 000 Kubikmeter Abwasser von der städtischen Wasserverwaltung.
Die frühere Produktionskapazität, für die eine solche grandiose Kläranlage entworfen wurde, hat das Werk nicht mehr, denn eine Zellstoffabrikhalle ist schon aufgelöst. Das Werk braucht eine Kläranlage, aber eine viel kleinere. Etwas Ähnliches sagt auch Georgij Uljaschew, stellvertretender Vorsitzender des Gebietsnaturschutzkomitees. Er empfiehlt, den fertigen Zellstoff für die Papiererzeugung bringen zu lassen, denn das ermöglicht, die ungereinigten Abwässer auf ein Dreifaches zu vermindern. Außerdem sollte eine komplette Kläranlage im Ausland gekauft und schnell aufgestellt werden. Das sei die Lösung des Problems. Aber diejenigen, die das Werk in Tilsit kontrollieren, geben vor, wichtigere Probleme zu haben. Der Staat, der das größte Bauprojekt der Nachkriegsgeschichte der letzten zehn Jahre finanzierte, will dafür nun keinen Rubel mehr ausgeben. In den Plänen der Ökologen aber ist die Finanzierung der Kläranlage auf Kosten des Gebietshaushaltes vorgesehen.
Wo ist der Ausweg? Das Leben selbst stellt manchmal alles auf seinen Platz. Wenn alles so bleibt, werden die Zellstoff- und Papierwerke durch die Geldstrafen zugrunde gerichtet und dann leben wieder Fische in der Memel. Ob dann die arbeitslosen Menschen noch leben, ist eine andere Frage.
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