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Alt-Kanzler Kohl rudert kräftig zurück: 14 Jahre nach dem Vollzug der deutschen Einheit will er auf einmal nichts mehr davon wissen, daß angeblich Moskau eben diese Einheit verhindert hätte, wenn die deutsche Regierung nicht unwiderruflich darauf verzichtet hätte, die Zwangsenteignungen in der sowjetisch en Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 anzutasten.
Rufen wir uns noch einmal den Ablauf der Ereignisse in Erinnerung: In den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gründung der Bundesrepublik und der DDR wurden in der sowjetischen Besatzungszone Zigtausende von mittelständischen Firmeninhabern und landwirtschaftlichen Grundbesitzern (Slogan: "Jun- kerland in Bauernhand") enteignet. Ausgeführt wurden die Zwangsmaßnahmen von deutschen Kommunisten mit Unterstützung und politischer Rückendeckung durch den Kreml und seine Rote Armee. Tausende der "Bodenreform"-Opfer landeten in vormals nationalsozia- listischen Konzentrationslagern und Gefängnissen, viele trugen schwere körperliche und seelische Schäden davon oder verloren ihr Leben.
Als dann - zur Überraschung der meisten Politiker in Ost und West - Ende der 80er Jahre die Wiedervereinigung nahte, waren sich die Unterhändler beider Seiten in einem Punkt schnell einig: Die Opfer der "Bodenreform" sollten nicht entschädigt werden, weder durch Rückgabe noch durch angemessenen finanziellen Ausgleich. Die Bundestagsabgeordneten, die dies als nicht rechtsstaatlich ablehnten, wurden unter massiven politischen, moralischen und zeitlichen Druck gesetzt - innerhalb weniger Stunden mußten sie sich entscheiden, ob sie wirklich "die Einheit verhindern" wollten.
Am 30. Januar 1991, also fast vier Monate nach dem Vollzug des Einigungsvertrages, erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem Deutschen Bundestag wörtlich: "Der Fortbestand der Maßnahmen zwischen 1945 und 1949 wurde von der Sowjetunion zu einer Vorbedingung für die Wiedervereinigung gemacht. Ich sage klar: Die Einheit durfte an dieser Frage nicht scheitern." Unterstützt wurde diese Darstellung vor allem von Wolfgang Schäuble, Kohls Zwei-plus-vier-Verhandlungsführer.
Wer Zweifel an dieser Version äußerte, wurde - vor allem von Schäuble - mit Hohn und Spott überzogen, wenn er zu den Opfern zählte, oder taktvoll verschwiegen, sofern es sich um hochrangige politische Zeitzeugen aus dem Ausland handelte. So hatte schon 1994 Eduard Schewardnadse, während der entscheidenden Verhandlungsphase sowjetischer Außenminister, in Spiegel-TV mitgeteilt: "Bei den Besprechungen zur Wiedervereinigung ist dieses Thema nicht erörtert worden. Weder im Stab von Gorbatschow noch im Außenministerium kam diese Frage auf. Vorbedingungen in Bezug auf die Wiedervereinigung haben wir nicht gestellt. Über die Enteignungen oder über die Unumkehrbarkeit dieses Prozesses wurde nicht gesprochen." Und Ex-Präsident Michail Gorbatschow bestätigte 1998 in einem Gespräch mit der Sprecherin des "Göttinger Kreis / Studenten für den Rechtsstaat", Beatrix Herzogin von Oldenburg: "Die Frage nach der Restitution des enteigneten Besitzes wurde auf der höchsten Führungsebene niemals angesprochen."
Knapp sechs Jahre später veröffentlichte die Politologin Constanze Paffrath ihre Doktorarbeit zum Thema "Macht und Eigentum", in der sie - summa cum laude - zu einem vernichtenden Urteil über die Politik Kohls und Schäubles in dieser Frage kam, die "dem kommunistischen Klassenkampf zum Sieg verholfen" habe: "Stalins später Sieg". Erst jetzt bequemte der Ex-Kanzler sich, von seinen Moskauer Märchen abzurücken. Vor staunenden Parteifreunden in Schloß Eichholz bei Bonn, der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung, enthüllte er: Wenn erzählt wird, die Sowjetunion habe Vorbedingungen für ihr Ja zur Einheit gestellt, dann stimmt dies nicht." Genau dies wissen die Opfer, die jetzt in Straßburg klagen, seit nunmehr 14 Jahren. Nina Schulte
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