|  | Große Politik", so meinte der britische Politiker William     Gladstone einst, "läßt sich nur vor Karten großen Maßstabs verstehen".     Gemeint war das räumliche, das geographische Milieu, aber auch die Gesamtheit aller     Ideengänge, die durch eine geschichtliche Region hindurchgegangen sind. Als kürzlich die     "Neue Zürcher Zeitung" in großer Aufmachung an herausragender Stelle unter dem     Titel "Vom Atlantik bis zum Ural?" erneut Überlegungen über die Grenzen der EU     anstellte, blieb die Mahnung Gladstones offenbar unberücksichtigt.
 Denn "große Politik" zu gestalten heißt Klarheit über die     Kräfteverhältnisse und die Ziele aller Beteiligten zu haben. Denn tatsächlich ist ja     das Wollen der gegenwärtigen Staaten Europas, sofern sie der EU angehören, nichts     anderes als die Wiederauflage des übernational
   en Reichsgedankens vom "Heiligen     Römischen Reich Deutscher Nation"  unter konsequenter Einbindung unserer     Nation. Damit sind aber alle Schnittachsen des Kontinents, die durch Deutschland laufen     müssen, nicht vollständig aktiviert, so daß der dem Kontinent eigene Kraftstrom fehlt. 
 Wenn, wie die "Neue Zürcher Zeitung" klagt, Europa die seit 1914     "verlorengegangene Bedeutung" noch nicht zurückerlangt hat, so liegt dies unter     anderem an dieser gedrosselten Kraftzufuhr, die durch kollektive Schuldzuweisungen,     auferlegte politische Zurückhaltung und durch das Verhindern politisch und     volkswirtschaftlich orientierter Eliten innerhalb des deutschen Sprachraums erreicht wird.     Angesichts eines jetzt schon erkennbar aus dem Ruder laufenden Finanzsystems, das sich     zudem an der Leitwährung Dollar ausrichtet, ist die Bedeutung Europas von vor 1914 nicht     zu erreichen.
 
 Es tritt hinzu, daß die Art und Weise des europäischen Zusammenschlusses sich nicht     unter dem Motto "Europa der Vaterländer" vollziehen soll, obschon doch gerade     das Besondere des Kontinents seine nationale Vielfältigkeit darstellt. Umgekehrt     verweigert sich insbesondere Frankreich einer rein ethnisch-förderalen Struktur der     Vereinigung, weil ihm dann vermeintlich über 90 Millionen Deutsche ohne staatliche     Zernierung (Österreich, Luxemburg usw.) ungeteilt gegenüberständen. Liegt hier     insbesondere ein antideutsches Ressentiment, das vergißt, daß Deutschland historisch die     einzige Heimat einer übernationalen Reichsidee darstellt, einer beherzten Vereinigung im     Wege, so wird die begrenzende Außenklammer im Osten immer strittiger.
 
 Ein Europa bis zum Ural, das einem de Gaulle noch vorschwebte, ist insbesondere     Deutschlands wegen mit dem polnischen Sperriegel versehen worden, der den     größtmöglichen räumlichen Abstand zu Rußland zum Ziel hat. Unterstellt wird hier ein     heimliches Rapallo, das gleichsam in der Potenzierung der Macht (Rußland ist bekanntlich     Atommacht) ein Gewicht erhielte, das die Welt zu einem anderem Lauf veranlassen könnte.     Es sind dies reine Mutmaßungen, denn Moskau scheint bis zum Beweis des Gegenteils nicht     einmal diese Idee als Gedankenspiel zu bewegen, es sei denn, seine überseeischen     Widersacher wären schon so stark, daß sie die Moskauer Führungsriege vollständig     deckeln können.
 
 Europa bleibt also weiterhin der Kontinent, der sich in folgenschweren     Eifersüchteleien übt, während zugleich überseeische Kräfte den Finger nicht von der     Kehle nehmen. Ziel bleibt hierbei Deutschland, wie sich dies aus auch den neuesten     Forderungen nach "Reparationen" anzeigt. Bekanntlich will US-Chefunterhändler     Stuart Eizenstat plötzlich das 1953 geschlossene "Londoner Schuldenabkommen"     nicht mehr anerkennen und erneut US-Forderungen, die jüdischerseits an Polen gerichtet     worden sind, an uns weitergeben.
 
 Diese fortdauernde Uneinigkeit Europas dürfte dazu führen, daß wir kurzfristig in     die US-Bemühungen hineingezogen werden, die darauf aus sind, der Volksrepublik China     "mit allen Mitteln" Paroli zu bieten. Es kann sein, daß Rußlands Putin in     diesem Spiel eine Rolle zugewiesen wurde, die uns in zwei großen Kriegen erschöpfte.     China setzt seither ebenfalls Rauchzeichen, es plant eine massive Steigerung des     Militärhaushalts. Europa muß über seinen Schatten  so oder so.
 
 
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