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Vor einem Monat ist das neue Gleichstellungsgesetz für Behinderte in Kraft getreten. Es soll behinderten Mitbürgern die Möglichkeiten schaffen, selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, dazu gehören barrierefreie Zugänge zu öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln, aber auch zu Informationstechniken; so wird die Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkannt.
Wichtig aber ist vor allem auch, daß sich in den Köpfen der Menschen etwas ändert. Was helfen alle Gesetze dieser Welt, wenn ein Behinderter, ein Rollstuhlfahrer "schief", nur als "Mensch zweiter Klasse" angesehen wird?
Schließlich kann "es" jedem geschehen. Man wacht eines Morgens auf und kann seine Beine nicht mehr bewegen. Man merkt plötzlich, daß einem der Körper nicht mehr gehorcht, die Beine knicken weg, der Arm will nicht mehr in die Ausgangsposition zurück ... Zwei Betroffene haben jetzt einmal geschildert, wie es ist, mit einer Behinderung zu leben: der an Parkinson erkrankte Schriftsteller Wigand Lange, Jahrgang 1946, und die an Multipler Sklerose erkrankte, heute 30jährige Dressurreiterin Cornelia Müller. - Wigand Lange: Mein Freund Parkinson. Eine Erfahrung. Pendo Verlag, Zürich. 192 Seiten, geb. mit farbigem Schutzumschlag, 19,90 E. Cornelia Müller: Trotz allem gab ich nicht auf. Aufgezeichnet von Sabine Eichhorst. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach. Taschenbuch 61 483, 288 Seiten, 7,90 E.
Parkinson gehört mit Alzheimer zu den häufigsten Demenzerkrankungen. Doch nicht nur alte Menschen leiden darunter, auch jüngere sind betroffen. Immer wieder schöpfen vor allem sie Hoffnung, wenn von neuen Behandlungsmethoden berichtet wird, die Krankheit zu heilen oder zumindest den Verlauf zu stoppen. - Das gleiche gilt übrigens auch für die an Multipler Sklerose (MS) Erkrankten, die es meist im Alter zwischen 20 und 30 Jahren "ereilt". - Lange und Müller nun zeigen mit ihren Büchern, wie es gelingen kann, mit der Krankheit zu leben.
"Wird schon wieder weggehen", dachte Lange, als er die ersten Symptome spürte. Gedanken, die jeder chronisch Kranke am Anfang seiner Beschwerden gehegt haben mag. "Es" ging aber nicht weg, wurde gar noch schlimmer, die gebeugte Haltung, die Schreibblockade, das Zittern der Hände, die emotionale Leere und Kälte. Und doch: Wigand Lange kann allem etwas Gutes abgewinnen. Seine Begegnung mit Parkinson sei das Faszinierendste, was ihm je widerfahren sei, stellt er eines Tages fest. "Wie kann einer mit seinem Peiniger Freundschaft schließen? Gemeinsame Sache mit seinem Henker machen? Pfui Teufel. Schwer zu verstehen. Trotzdem, ich bereue ihn" (diesen Satz, d. Verf.) "nicht. Die Reise nach innen, in die Tiefen meines Gehirns, ist aufregender als alle Reisen nach außen, die ich je unternommen habe." Und Lange ändert sein Leben, reißt sich selbst aus der Einsamkeit heraus, in die ihn "Freund Parkinson" gedrängt hat. "Einbindung in das bäuerliche Leben und in die Natur. Ernährung durch gesunde, selbstangebaute Produkte. Ausgleich der geistigen Arbeit durch sinnvolle körperliche Betätigung. Das sind die Grundsäulen meines neuen Lebens. Soweit es mein Gesundheitszustand zuläßt, beteilige ich mich an der Arbeit auf dem Hof. Und je mehr ich mich an der Arbeit auf dem Hof beteilige, desto besser wird mein Gesundheitszustand. Jeden Tag ein, zwei Stunden Gartenarbeit. Heueinfahren. Obsternte. Holzmachen für den Winter. Das sind willkommene Abwechslungen zu der monotonen Arbeit am Schreibtisch. Sie verschaffen mir die körperliche Bewegung, deren der Parkinsonist so dringend bedarf." "Mein Freund Parkinson" ist ein literarischer Erfarungsbericht. Faszinierend und zugleich erschreckend die Beispiele aus dem literarischen Schaffen aus der Zeit vor Parkinson, da Lange in vielen Bildern vorausahnt, was ihm später widerfahren soll.
Ganz anders, wenn auch nicht weniger faszinierend der Erfahrungsbericht der Dressurreiterin Cornelia Müller, den Sabine Eichhorst aufgezeichnet hat. Er zeigt, wie man mit starkem Willen - und mit der Unterstützung verständnisvoller Mitmenschen - auch die schwierigsten Situationen in den Griff bekommen kann. "Ich war selbstbewußt genug zu glauben, daß ich auch mit einer Behinderung gut würde leben können. Leiden liegt mir nicht." Große Unterstützung findet Cornelia bei ihrem Mann: "Für mich ist Conny nicht behindert ... sie kann nur ihre Beine nicht mehr bewegen. Sie hat ein Handicap. Nicht mehr und nicht weniger." Mit großer Energie gelingt es Cornelia Müller, wieder auf ein Pferd zu steigen, zu reiten, ja an Turnieren teilzunehmen. Sogar an den Paralympics, der Olympiade der behinderten Sportler, in Sydney 1999 hat sie teilgenommen. "Es war faszinierend zu sehen, wie eine Gesellschaft funktionieren konnte, die Behinderte nicht ausgrenzte. Der olympische Gedanke, Sportler aller Nationen zusammenzubringen, hat in Sydney seine perfekte Umsetzung erfahren, denn hier waren nicht nur Athleten aller Länder, sondern auch Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt vereint."
Nicht immer macht Cornelia Müller derart positive Erfahrungen. Allein Sponsoren zu finden wird zu einer mühevollen Aufgabe, ganz zu schweigen von einer gerechten Berichterstattung in den Medien. Erfolg bringt schließlich auch Neider mit sich. Aber: "Ich verkehrte jeden Angriff in sein Gegenteil und nutzte ihn als Motivation. Gemeine Worte, die mich verletzen sollten, wurden mir zum Antrieb. Ihr werdet noch viel neidischer werden, schwor ich, euch werde ich es zeigen ..." Und tatsächlich: am Ende wurde Cornelia Müller in den Regionalkader Schwaben der gesunden Reiter aufgenommen. Dazwischen aber lagen Jahre des Kampfes. Wie sich die MS bei Cornelia Müller entwickeln wird, ist nicht zu sagen. Sie aber hat diese Krankheit als Herausforderung genommen, als lebenslangen Anpassungsprozeß, in dem sie sich immer auf eine neue Situation einstellen muß. Es wird ihr gelingen. Peter van Lohuizen |
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