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In den Zeitschriften Der Stacheldraht und Freiheitsglocke, beide herausgegeben von Verbänden ehemaliger in der DDR Verfolgter, wird auf ein Vorhaben aufmerksam gemacht, das einem den Atem verschlagen müßte. Ein privater Unternehmer wollte das größte ehemalige Frauengefängnis der DDR, Hoheneck, zu einem Unterhaltungstempel umgestalten. Das ebenso geschmacklose wie perfide Vorhaben wurde nur durch massive Proteste ehemaliger Häftlinge zunächst abgewendet.
In Hoheneck wurden die von der sowjetisch en Besatzungsmacht wie auch von DDR-Gerichten verurteilten Frauen zusammengepfercht, darunter die meisten aus politischen Gründen. Die Lebensverhältnisse waren zumal im ersten Jahrzehnt fürchterlich. Wir lesen in Walter Kempowskis Roman "Ein Kapitel für sich", wie es seiner Mutter dort erging, die von einem sowjetischen Militärgericht verurteilt worden war, weil sie ihren Sohn, der Informationen über die Raubzüge der sowjetischen Besatzungsmacht an die Amerikaner weitergegeben hatte, nicht angezeigt hatte: "Im letzten Winter war es in Hoheneck furchtbar. Ich saß wieder auf der Zelle. Es wurde nicht geheizt, wir froren wie die Schneider. Meine Hände waren blau vor Frost. - Dann hieß es: Die Wasserpumpe geht nicht mehr, es ist kein Wasser da. Um uns überhaupt waschen zu können, nahmen wir auf dem Hof Schnee in unsere Arbeitsschürzen. Den Schnee tauten wir oben mit den Händen auf. Wir stanken durch die Rippen, denn man konnte kaum mal ein Paar Strümpfe oder einen Schlüpfer in dem Schneewasser auswaschen."
Heute kann sich jeder, der es wissen will, ein Bild davon machen, wie katastrophal die Haftbedingungen mit Dunkel- und Wasserzellen dort waren. Tausende von verurteilten Frauen mußten sie ertragen.
1990 konnten die letzten politischen Häftlinge der kommunistischen Diktatur die Haftanstalt verlassen. Zehn Jahre später wurde das Gefängnisgebäude an die "Artemis GmbH" verkauft. Die glaubte, den großen Reibach machen zu können, als sie die Öffentlichkeit mit einem Angebot an die "Event"-geilen Bürger dieser Republik überraschte. "Erleben Sie das Gefängnisgefühl eines Insassen von Hoheneck in originalen Zellen. Gefängnisverpflegung und spektakuläres Nachtprogramm, verbunden mit dem unwiderstehlichen Jail-House-Feeling", so beschreibt der Veranstalter sein Angebot. Zum Preis von 100 Euro pro Person sollten Gäste ein "Erlebniswochenende" im ehemaligen DDR-Knast verbringen dürfen. Zellenzuweisung, Essenausgabe, Knastfrühstück, Entlassung um 11 Uhr, alles wurde dem gelangweilten Zeitgenossen geboten, so Alex Latotzky in den beiden Zeitschriften, der 1950 als Zweijähriger mit seiner Mutter aus dem sowjetischen KZ Sachsenhausen nach Hoheneck gebracht wurde, wo man die beiden gewaltsam auseinanderriß.
Die jetzigen satten Bundesbürger hätten ihren Kitzel noch steigern können, indem sie an einem "Nachtprogramm mit Performance und Life-Act sowie Musik und Show" teilnehmen. Man sollte sogar die Kasematten besichtigen dürfen, wo sich die Dunkel- und Naßzellen befinden.
Dazu Alex Latotzky: "Tausende von Frauen verbrachten unter den unwürdigsten Bedingungen Monate und Jahre hinter diesen Mauern. Kinder kamen hier zur Welt und starben. Andere wurden nach kurzer Zeit brutal von der Mutter getrennt und sahen sie für Jahre nicht wieder. Sie alle hätten wahrlich gern auf das unwiderstehliche ‚Jail-House-Feeling verzichtet, das jetzt dort geboten werden soll. Als Arbeitssklaven schufteten sie zur Wiedergutmachung ihrer ‚Verbrechen bei Tag und Nacht für die DDR-Wirtschaft, und ihr ‚spektakuläres Nachtprogramm bestand weniger aus Musikshows und Performances als aus nächtlichen Zellendurchsuchungen durch die allgegenwärtigen Wärter, die selbst noch den Gang zur Toilette überwachten."
Ehemalige Häftlinge, die von der schändlichen Veranstaltung erfuhren, wandten sich in Briefen an den sächsischen Ministerpräsidenten, an die Parteien und andere zuständige Stellen. Der Vorsitzende der "Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft", Horst Schüler, schrieb an den sächsischen Ministerpräsidenten von einer "Schamlosigkeit, die selbst die größten Pessimisten unter uns nicht für möglich hielten. Welchen Aufschrei der Empörung würde es wohl geben, wenn etwa im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen oder Buchenwald jemand auf den Gedanken käme, dort ein solches makabres Schauspiel zu veranstalten?"
Angesichts der massiven Proteste gab der Veranstalter auf. Jetzt gibt es Führungen durch die Anlage gegen einen Eintrittspreis von zehn Euro. Dazu Alex Latotzky: "Auch so läßt sich mit dem Leiden der ehemaligen Häftlinge noch ganz gut Geld verdienen."
Ungewolltes "Jail-House-Feeling": Die Häftlinge des Gefängnisses Hoheneck der 80er Jahre erlebten schon eine "angenehmere" Haftzeit als ihre politischen Vorgänger.
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