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Mantel des Schweigens gelüftet

 
     
 
Es bedurfte erst des Europäi-schen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg, um mit seinem Urteil zu den Enteignungen an das schwere Schicksal der Opfer und an den Schrecken der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR zu erinnern.

Über die vielen Jahre der Teilung war im Osten selbst die Schreckensherrschaft der Kommunisten ein Tabu-Thema. Zum Beispiel war es höchst gefährlich, über die sogenannten Speziallager für politisch unerwünschte Personen der Jahre von 1945 bis 1950 auch nur zu sprechen. Nicht einmal im Kreis ihrer Familienangehörigen trauten sich Betroffene, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Die Stasi hatte schließlich ihre Ohren überall.

Im Westen wurden zwar die Menschenrechtsverletzungen in aller Welt angepranger
t, die in der SBZ/DDR aber mit einem Mantel des Schweigens verhüllt, um die "Entspannungspolitik" nicht zu gefährden. Die Entlassenen standen vor einer Mauer des Desinteresses. Nur wenige in Wissenschaft, Publizistik und Parteien standen ihnen bei, der Rias zum Beispiel und später der während der Nazizeit als Jude verfolgte legendäre Gerhard

Löwenthal, die Verkörperung deutschen Freiheitswillens im geteilten Deutschland. Dafür wurde er als "Kalter Krieger" verunglimpft. "Lieber der letzte kalte Krieger als der erste Kapitulant" pflegte er darauf zu antworten.

Wer von den Opfern, denen es gelungen war, in den Westen zu kommen, seine Erlebnisse publizieren wollte, fand kaum einen namhaften Verlag und sah sich auf die Herausgabe im Selbstverlag angewiesen. In den 60er Jahren plante das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen eine Dokumentation über die sowjetischen Lager in Deutschland, doch als Herbert Wehner (SPD) 1967 in der großen Koalition dieses Ministerium übernahm, unterband er die Veröffentlichung.

Der heute 76jährige Mecklenburger Benno Prieß jedoch ließ sich nicht unterkriegen. Er, der als Jugendlicher selbst acht Jahre in Torgau, Bautzen, Sachsenhausen und Waldheim gefangengehalten wurde, hielt seinen Schicksalsgefährten die Treue und publizierte sorgfältig recherchierte Bücher über den Tod und die Leiden in den sowjetischen Lagern.

"Unschuldig in den Todeslagern des NKWD" (1946 bis 1954) erschien 1991 und "Erschossen im Morgengrauen" in zwei Auflagen in 1997 und 2000, beide im Eigenverlag Brixener Weg 6, in 75365 Calw.

Im Kontakt mit dem Oberstaatsanwalt der Russischen Föderation Walerij Wolin in Moskau arbeitete Prieß daran, den Menschen, die unschuldig gelitten haben, "ihren guten Namen und ihre Ehre zurückzugeben", wie es der Russe ausdrückt. Viele Gefangene seien mit Folterungen zu Geständnissen erpreßt worden. Auf der Grundlage eines Ge-heimbefehls seien viele Deutsche verhaftet worden, die ohne Anhörung oder Gerichtsurteil eingesperrt oder getötet wurden. 250.000 Menschen sollen nach dem Krieg verhaftet worden sein, die Zahl von 200.000 Toten habe inzwischen sogar das KGB anerkannt, bestätigt der Russe.

Jedem Schicksal der Lagerinsassen ging Prieß sorgfältig nach, dokumentiert mit Listen aus Lagerakten, Fotos von Häftlingen und Haftanstalten bis hin zu den Siedlungshäusern der nach Workuta Verschleppten. Über sein eigenes Schicksal nach seiner Verhaftung schreibt er: "Meine Verhörer fragten mich, war-um ich hier sei. Ich sagte, daß ich es nicht wüßte. Der Offizier fing an zu brüllen, stand auf, trat mich mit dem Stiefel in den Bauch und schlug mir mit der Faust mitten ins Gesicht ... Die Verhöre liefen nur nachts, und Nacht für Nacht waren die gellenden Schreie der gequälten Gefangenen zu hören. Man wußte nie, wann man wieder geholt wurde. An den Schreien merkte ich, daß es junge Leute waren, Kinder wie ich."

Sorgfältig hat Prieß die Massenverhaftungen von damals 13- bis 18jährigen in der Zeit von 1945 bis 1950 in vielen Teilen der SBZ/DDR und ihre daraus resultierenden Schicksale dokumentiert. Sie als Nazi- und Kriegsverbrecher abzustempeln ist schon vom Alter her absurd. Nur ideologisch verblendete Nutznießer des gescheiterten kommunistischen Systems halten an dieser These fest. Die jugendlichen Opfer standen am Anfang von 45 Jahren kommunistischer Herrschaft in Deutschland, doch gibt es heute nicht wenige in Politik, Publizistik, Wissenschaft und Kultur, die sich eine beschönigende "Ostalgie" angewöhnt haben. Das jedoch ist angesichts der Opfer und des Leides der Betroffenen wahrhaftig nicht angemessen, sondern würdelos.
 
     
     
 
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