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Maulkorbpflicht und mehr

 
     
 
Da sie zu den "kapitalistischen Elementen" in der DDR gehörte, war es keineswegs einfach für Renate Baumgarten, den Arztberuf zu ergreifen, doch da sie mit überdurchschnittlichen Schulnoten überzeugen konnte, erkämpfte sie sich trotz ihrer "belastenden" Abstammung einen Studienplatz. In ihren Erinnerungen "Not macht erfinderisch - Drei Jahrzehnte Chefärztin in Ost und West
" schildert sie so manche Merkwürdigkeiten, denen sie im Laufe ihres Berufslebens begegnen mußte. Egal ob zu Zeiten der DDR oder nach der Wiedervereinigung in der Bundesrepublik, selten stand der Mensch vollkommen im Vordergrund, immer raubte politisches Drumherum den Ärzten Zeit und Kraft, um sich voll und ganz ihren Patienten zu widmen.

"Für einen Berufsbeginn an der Charité oder anderen universitären Instituten mußte man sich politische Verdienste erworben haben. Ich erinnere mich gut an die Kommilitonen meines Seminars, die das aufzuweisen hatten und für eine Ausbildung in der Charité ausgewählt wurden. Sie waren häufig ,fachliches Mittelmaß . Selbst dieser Staat mußte nach Jahren erfolglosen Probelaufes erkennen, daß die Provinz für diese Kollegen besser geeignet gewesen wäre als die Alma Mater."

Renate Baumgarten berichtet von der Abwanderung der Ärzte bis zum Mauerbau, von Einsätzen als Erntehelfer, von Problemen bei der Beschaffung von Büromöbeln und Engpässen in der Gesundheitsversorgung. Mit ihrer Spezialisierung auf Infektionskrankheiten erarbeitete sich die Autorin einen Sonderstatus, der es ihr ermöglichte, auch zu DDR-Zeiten Auslandsreisen zu Kongressen zu tätigen. Nach der Wende hielt man ihr vor, daß sie diese Reisen nicht genutzt habe, um dem Regime zu entfliehen. Renate Baumgarten weist jedoch darauf hin, daß ihr Beruf und Aufgabe wichtiger waren als alles politische. "In einem totalitären Staat stößt man bei Erfolg und Karriere zwangsläufig auf die staatlich verordneten ,Maulkorbpflichten . Sonst kann man nicht überleben." Und sie überlebt auch die Wende. Auch wenn es auch hier zahlreiche Merkwürdigkeiten gibt. "Wir warfen nichts mehr weg, sondern wir ,entsorgten alles. Wir kontrollierten keine Verläufe mehr, sondern schickten uns an, ,alles wissenschaftlich zu begleiten ." Und so steht die Ärztin statt in einem Krankenhaus plötzlich in einem Gewinn orientieren Unternehmen mit Ökonomen und Verwaltungspersonen in der Führung. Gesundheit wurde Ware.

Die Erinnerungen der Autorin lassen also durchaus Rückschlüsse auf die allgemeine medizinische Lage in der DDR und später der Bundesrepublik zu, bieten jedoch keine allgemeine Analyse der Lage, sondern nur persönliche Erfahrungen.

Renate Baumgarten: "Not macht erfinderisch - Drei Jahrzehnte Chefärztin in Ost und West", mdv, Haale, geb., 280 Seiten, 9,90 Euro 5966
 
     
     
 
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