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Fast die Hälfte der rund 100000 deutschen Arztpraxen blieb kürzlich einen Tag lang geschlossen; die Damen und Herren Doctores demonstrierten gegen miserable Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und ausufernde Bürokratie. Nahezu zeitgleich berichtete das TV-Magazin „Monitor“ von Ärzten, denen ein süddeutsches Pharma-Unternehmen völlig unbürokratisch üppige Nebenverdienste für leichte „Nebentätigkeiten“ zukommen ließ – was die Glaubwürdigkeit der bundesweiten Protestaktionen geradezu ins Unermeßliche steigerte.
Der für seine cleveren Werbesprüche („Gute Preise – gute Besserung!“) bekannte Pharma-Konzern hatte den Ärzten kostenlos ein Computerprogramm angedient, das dazu verleitete, vorzugsweise hauseigene Medikamente zu verschreiben. Vorsichtshalber wurde der verkaufsfördernden Wirkung dieser „software“ auch noch mit „Hardware“ (sprich: Barem) nachgeholfen, in Form von Umsatzbeteiligungen zwischen einem und fünf Prozent. Ähnliche Provisionen wurden übrigens auch Apotheken angeboten. Wenn also allzu hartnäckig nachgefragt wird, ob es vielleicht ein anderes, natürlich „genauso gutes“ statt des verordneten, zufällig erweise „leider gerade nicht vorrätigen“ Medikaments sein dürfe, ist Skepsis geboten.
Die Firmenleitung zeigte sich reuig, empfand „Schande“ und sprach von Einzelfällen, die inzwischen abgestellt seien. Zudem bescheinigte ihr die Ulmer Oberstaatsanwaltschaft, es habe sich dabei „im Grunde um legale, nicht als solches strafbare Taten“ gehandelt. Was allerdings im Widerspruch zur Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz und des Bundesgerichtshofs steht. Außerdem präsentierte „Monitor“ jetzt eine firmeninterne E-Mail, in der dieses Provisionssystem ausdrücklich als „neue Kultur der Umsatzausweitung“ gepriesen wird; nach Aussagen von Ärzten ist das Verfahren „immer noch Praxis“.
Freilich ist bislang noch keine der insgesamt 40 ärztlichen Standesorganisationen auf die abenteuerliche Idee gekommen, diese zumindest moralisch anfechtbare Form der Bereicherung (allein in diesem Falle geht es um etwa 1000 Ärzte) als Akt der Notwehr zu interpretieren. Doch auch so sind ihre Schilderungen der Einkommenssituation niedergelassener Ärzte dramatisch genug.
Laut MEDI-Verbund verdient jeder dritte Arzt monatlich weniger als 2000 Euro netto. Das ist zwar noch deutlich jenseits der Armutsgrenze. Man muß aber auch berücksichtigen, daß es sich um Menschen handelt, die eine langjährige qualifizierte Ausbildung auf sich genommen haben, hohe Kapitalbeträge in ihre Praxis investieren mußten und oft auf 60 bis 70 Arbeitsstunden pro Woche kommen. Durchschnittlich 30 Prozent ihrer Leistungen werden aufgrund der gesetzlich geregelten Budgetierung überhaupt nicht mehr vergütet, was natürlich nicht gerade motivierend wirkt. Dies führt, so MEDI-Verbund, zu „blanken Existenzängsten“ – mit weitreichenden volkswirtschaftlichen Konsequenzen: Die rund 100000 Praxen niedergelassener Ärzte sind mit 540000 Beschäftigten auch ein bedeutender Arbeitgeber.
Kritiker des bundesdeutschen Gesundheitswesens verweisen gern auf die Gefahren einer „Zweiklassenmedizin“. In einem ganz speziellen Sinne haben wir eine solche längst. Bei den Kassenleistungen zahlen die Ärzte drauf; ihr Einkommen können sie sich nur noch bei den Privatpatienten oder über die Zuzahlungen der gesetzlich Versicherten holen. So zahlt der Privatversicherte für ein und dieselbe ärztliche Leistung ein deutlich höheres Honorar.
Ein konkretes Beispiel (die Zahlen liegen der Redaktion vor): Ein Ehepaar, beide um die 60, ein Einkommen, zahlt in der PKV einen Monatsbeitrag von 820 Euro. Dies ist sogar noch ein relativ günstiger Tarif, für den nur sogenannte Basisleistungen geboten werden. Bei allen Medikamenten müssen 30 Prozent zugezahlt werden, bei ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen sogar bis zu 50 Prozent. Ohne die überhöhten Zahlungen der Privatpatienten aber könnte, wie es in diesen Tagen ein Mainzer Zahnarzt gegenüber „heute“ formulierte, „eine medizinische Versorgung, die im Jahre 2006 angemessen ist und erwartet wird, nicht aufrecht erhalten“ werden.
Ein hochgradig peinlicher Befund für ein Land, das einmal stolz auf sein vorbildliches Gesundheitswesen und auf seinen mit Fleiß erworbenen Wohlstand sein durfte. Juliane Meier
Bei Kassenpatienten zahlen die Ärzte kräftig drauf, Einfallsreich: Ärzte weisen auf ihre Probleme hin. |
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