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Was im Jahre 1731 und danach im Salzburger Land geschah, war nach heutiger Ausdrucksweise eine "Säuberung", und war in ganz Europa von großer Aufregung begleitet. Es begann mit dem berühmt-berüchtigten Emigrationspatent des Erzbischofs Leopold von Firmian vom 31. Oktober 1731.
Firmian war wenige Jahre zuvor zum geistlichen wie auch weltlichen Oberhaupt des Landes Salzburg gewählt worden. Er war eng mit Jesuiten befreundet und von Anfang an bestrebt, seine Untertanen - koste es, was es wolle - für den katholisch en Glauben zurückzugewinnen.
Im Salzburger Land hatte die Reformation schon frühzeitig, besonders außerhalb der größeren Städte, bei den Bergbauern und den Bergleuten sehr viele Anhänger gefunden. In vielen Regionen gab es nämlich schon lange Zeit vor Luther kirchliche Gebräuche, wie die deutsche Singmesse und die Kommunion in beiderlei Gestalt, so daß sich die Bevölkerung mit dem evangelischen Glauben geistig verwandt fühlte.
Die Vorgänger von Firmian hatten in unterschiedlicher Weise darauf reagiert, zeitweilig mit Toleranz, um die Steuerleistungen des Landes nicht zu beeinträchtigen, aber zumeist mit harten Repressalien, Strafen und Landesverweisungen. So hatte schon nach 1686 der Erzbischof Max Gandolf Dürrnberger Knappen - anfänglich 70 an der Zahl, später sehr viel mehr - zunächst inhaftiert und dann zur Auswanderung gezwungen, wobei ihnen ihre Kinder weggenommen wurden, um in anderen Familien katholisch erzogen zu werden.
Zu diesen Dürrnberger Knappen gehörte der berühmte Joseph Schaitberger, der sich in Nürnberg niederließ und von dort aus mit Schriften, so dem mehrfach vervielfältigten und verteilten "Send-Brief an die lieben Landsleute", den Glauben seiner evangelischen Salzburger Mitbürger stärkte. Sein "Trostlied eines Exulanten" war neben Luthers "Ein feste Burg" und Georg Neumarks "Wer nur den lieben Gott läßt walten" eines der wichtigsten Lieder, die bei dem großen Exodus 1731 von den Emigranten, die man damals Exulanten (Verbannte) nannte, gesungen wurden, als sie auf dem Weg nach Ostdeutschland durch Deutschland zogen.
Zwei Verse aus diesem schlichten Lied zeigen wohl am besten die Stimmung der trotz aller Verzweiflung glaubenstreuen und -starken Vertriebenen auf: "Ich bin ein armer Exulant, also muß ich mich schreiben. Man tut mich aus dem Vaterland um Gottes Wort vertreiben. Doch weiß ich wohl, Herr Jesu mein, es ist Dir auch so gangen. Jetzt soll ich Dein Nachfolger sein; mach s Herr, nach Dein m Verlangen. So geh ich heut aus meinem Haus, die Kinder muß ich lassen. Mein Gott, das treibt mir Tränen aus zu wandern fremde Straßen ..." (Übrigens ist im Hamburger Stadtteil Harburg vor einiger Zeit der Text der ersten Strophe dieses Liedes in der Straße "Salzburger Häuser" im Rahmen eines Denkmals auf Pflastersteinen angebracht worden.)
Firmian hatte schon 1729 Anordnungen erlassen zur Bestrafung der Besitzer lutherischer Bücher. Hohe Geldbußen, Gefängnis oder gar Landesverweisung wurden angedroht. Bei den Androhungen blieb es nicht. Allmählich füllten sich die Kerker. Die Verfolgung der Evangelischen hatte Firmian in die Hände seines Hofkanzlers Rall gelegt, der in ihm den (falschen) Eindruck erweckte, die Ablehnung der katholischen Glaubenslehren und das Fernbleiben vom Gottesdienst entspringe weniger einer religiösen Überzeugung als vielmehr dem Ungehorsam gegenüber dem Landesherrn, sei also Auflehnung und Rebellion. Firmian hatte es im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgängern versäumt, sich an Ort und Stelle aus eigener Anschauung ein Bild von der seelischen Verfassung seiner Untertanen zu machen. Vielleicht hätte er sonst anders gehandelt; denn sowohl der Kaiser in Wien, der wegen der Regelung einer weiblichen Thronfolge für seine Tochter Maria Theresia die Zustimmung der evangelischen Fürsten für die Pragmatische Sanktion benötigte, als auch der Papst und die Evangelischen Reichsstände in Regensburg warnten Firmian vor einem allzu harten Vorgehen, das gegen die Bestimmungen des Westfälischen Friedens verstieß.
Trotz dieser Warnungen und dem Wissen darum, daß sich immerhin über 20000 seiner insgesamt etwa 120000 Untertanen schriftlich zum evangelischen Glauben bekannt und auch eine entsprechende Eingabe an die Reichsstände gemacht hatten, rekrutierte er, gestützt auf die Berichte und den Rat des Hofkanzlers, Truppen und unterschrieb gemeinsam mit Rall am 31. Oktober 1731 das umfangreiche Emigrationspatent, das am Sonntag, dem 11. November 1731 öffentlich verkündet wurde.
In diesem Ausweisungsbefehl bezeichnete er alle Evangelischen, die ihrer Religion nicht abschworen und zum katholischen Glauben zurückkehrten, als Rebellen, eine Formulierung, die dann auch in die Pässe eingetragen wurden, welche den Vertriebenen von den salzburgischen Behörden ausgestellt wurden. Die sogenannten Unangesessenen, also diejenigen ohne Grundbesitz, hatten das Land binnen acht Tagen und die ,,Angesessenen" innerhalb von drei Monaten nach Verkauf ihres Besitzes zu verlassen.
Eine solche Fristsetzung verletzte die entsprechenden Regelungen im Westfälischen Frieden. Dem erzbischöflichen Befehl wurde aber alsbald mit Waffengewalt Nachdruck verliehen. Bereits Ende November, bei einsetzendem Winter waren die ersten tausend Ausgewiesenen zu Fuß an der Grenze nach Bayern mit ihrem Gepäck unterwegs. Die regionalen Verwaltungen erkannten dann, daß wegen der winterlichen Temperaturen die Ausweisung unmenschlich war. So wandte sich der Pfleger (Richter) von Gastein bereits am 12. November an den Erzbischof und fragte an, ob das Patent wirklich trotz der ungünstigen Jahreszeit mit aller Strenge durchgeführt werden müsse. Der Hofkanzler antwortete: "Die Emigrationspatente müssen vollzogen werden, es gehe wie es wolle, leide daran, wer leiden kann; keine Gnade, keine Milde, ein anderes ist nicht zu hoffen, es koste Leben, Blut, Geld und was immer sein wolle. Und wird man alsobald mit den Ungehorsamen, anderen zum Abscheu, ein Exempel machen, auch wider die Widerspenstigen Gewalt brauchen. Daher sind auf alle Weise und ohne alle Widerred die Patentes rigorissime und mit höchstem Fleiß zu vollziehen."
Das Leid, das dadurch angerichtet wurde, kann man sich wohl nicht extrem genug vorstellen. Umfangreiches Schrifttum in ganz Europa, insbesondere im Bereich der evangelisch regierten Territorien, führte zu Mitleid und Aufschrei. An der Grenze nach Bayern herrschte ein unbeschreibliches Elend, weil Bayern die Emigranten, die in ihren Pässen als Rebellen und Aufrührer bezeichnet waren, nicht ins Land lassen wollte. Der Erzbischof versuchte jetzt auf dem Verhandlungswege zu erreichen, daß den an der Grenze Lagernden jedenfalls der Durchzug gestattet werde. Das konnte endlich auf Kosten Salzburgs erreicht werden. Dennoch wußte keiner der Emigranten, wohin es weiter gehen sollte; denn bislang hatte kein Land sich bereit erklärt, sie aufzunehmen. Die Lage verbesserte sich erst, als im Jahre 1732 Friedrich Wilhelm I. von Preußen ein Aufnahmepatent erließ.
Im Jahre 1966 endlich, also 235 Jahre nach der Unterzeichung des Emigrationspatentes, hat der Primas Germaniae, der damalige Salzburger Erzbischof Dr. Andreas Rohracher, bei der Einführung des neugewählten evangelischen Superintendenten eine im Hinblick auf Firmian und dessen Patent bedeutsame Erklärung abgegeben. Nachdem er Ausführungen zur Ökumene gemacht hatte, sagte er unter anderem: "Aus diesem ökumenischen Geist heraus drängt es mich, die Verfügung eines meiner Vorgänger zu bedauern, wodurch die evangelischen Brüder und Schwestern genötigt wurden, das Land Salzburg zu verlassen. Als Entschuldigung für diese Anordnung kann ich nur anführen, daß der damalige geistliche Landesfürst noch im Bann jenes unseligen Grundsatzes des Westfälischen Friedens stand, der lautet, Cuius regio, eius religio."
Der Autor dieses Beitrages ist Präsident des Salzburger Vereins e. V.
"Ein umb Der Evangelischen Wahrheit Willen vertriebener Salzburger und Salzburgerin Anno 1732": Dieses Andachtsbild, Aquarell auf Pergament, schmückte die Einladung zur Eröffnungsfeier der Sonderausstellung "275 Jahre Emigrationspatent" (s. Beitrag unten). |
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