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Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach - zwei große Namen aus der Dichtung des Mittelalters. Beschäftigt man sich mit dem einen oder anderen Lied dieser Männer, so erstaunt, wie aktuell so manche Dichtung - gut 800 Jahre später - auch heute noch ist. "Untriuwe ist an der sâze, gewalt vert ûf der strâze: fride und reht sint sêre wunt ..." Wären diese Verse des Walther von der Vogelweide (um 1170-1230) nicht in Mittelhochdeutsch abgefaßt (aus Sorge um die Situation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach dem plötzlichen Tod Heinrichs VI.), man könnte meinen, das 21. Jahrhundert wäre angesprochen. Während die politischen Lieder des Mittelalters noch kaum im Gedächtnis des heutigen Menschen sein dürften, sind die Minnelieder noch vielen ein Begriff. Die Bedeutung des Begriffs "Minne" - oft fälschlich mit "Liebe" übersetzt - geht am reinsten aus der ritterlichen Lyrik des Minnegesangs hervor. Von Frankreich, genauer gesagt von der Provence, der Heimat der Troubadoure, aus, nahm der Minnesang seinen Weg über die Schweiz und den niederrheinischen Raum bis nach Deutschland.
Im Gegensatz zur persönlichen und realen Erlebnislyrik wird die Frau im Minnesang als Ideal in den Bereich der Anbetung entrückt. "Die edle Dame wird für den Ritter zur Herrin und Herrscherin in dem Reich adligen, geformten, freudigen und hochgespannten Menschentums, dem sich anzunähern sein eigentliches Strebe ist", schreibt Gerhard Fricke in seiner "Geschichte der deutschen Literatur". Es wird also nicht die einfache Frau, das wîp, besungen, sondern vielmehr die hôhe frouwe, die Herrin. Der Dichter erhebt die Frau zu einem höheren Wesen, dem zu dienen und um das zu werben Selbstzweck ist. Er erhofft sich keineswegs, daß er erhört wird, sondern sieht in seiner Dichtung eher das Streben nach höfisch-humaner Vollkommenheit, die als anerkanntes Hochziel über der ritterlichen Gesellschaft liegt. So ist auch der Minnesang ein Teil der Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung dieser Gesellschaft, mit dem Turnier der Ritter zu vergleichen.
Als erster hat Walther von der Vogelweide die strenge, festgelegte Künstlichkeit durchbrochen und den Minnesang in der Form einer überpersönlichen Gesellschaftskunst mit eigenem Erleben und zarten Empfindungen bereichert. Er sagt, was er wirklich empfindet, und knüpft so an die Volkslieder und Vagantenpoesie an. Fricke: "Er vollzieht den entscheidenden Übergang von der Kunst zur Natur, vom Gesellschaftlichen zum Erlebnis- und Bekenntnishaften, von der Minne zur Liebe. Die weite, freie ländliche Natur, der leuchtende Sommer, die blumenüberglänzte Frühlingswiese, sie sind nicht mehr nur poetischer Schmuck der Rede, sondern die wirkliche Szenerie, aus der seine Lieder erwachsen, auf der sie sich abspielen. Und diese Lieder huldigen nicht mehr nur der unnahbaren Herrin, sondern sie wenden sich auch an das Mädchen, das ihn entzückt, sie beginnen warm und schlicht, das Glück der Liebe auszusagen, die ihm zuteil wurde." Mit dieser Entwicklung des Minnesangs hat Walther von der Vogelweide maßgeblich zur Entstehung deutscher Lyrik beigetragen.
Wenn auch die Texte der Minnelieder oftmals bekannt sind, so sind nur wenige Melodien überliefert. Von Walther von der Vogelweide nur zwei. Umso wertvoller ist eine CD, die sich erstmals nur dem Minnesang (mit Texten von Bernart de Ventadorn bis Frauenlob) widmet (Christophorus CHR 77242) und eine lehrreiche, aber auch unterhaltsame Einführung in mittelalterliche Lyrik liefert. Ein Begleitheft mit umfassenden Informationen sowie den Liedtexten im Original und in hochdeutscher Übersetzung machen diese CD zu einem Hörvergnügen der besonderen Art. |
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