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Jetzt wird montags also wieder demonstriert. In anderen mitteldeutschen Städten tun sie das schon seit einiger Zeit. In dieser Woche gab es nun auch in Berlin die erste große Montagsdemo.
Franz Müntefering dürfte ziemlich gequält aus seinem Fenster auf die 10.000 oder mehr Marschierer geschaut haben, die abends vor seiner Parteizentrale eintrafen. Der SPD-Vorsitzende, Gerhard Schröder und Wolfgang Clement sehen sich umzingelt. Sie hatten gedacht, die Agenda 2010 sei so gut wie umgesetzt. Und die Bürger überzeugt.
Pustekuchen! Man hört es an jeder Ecke: in der U-Bahn, im Biergarten, im Bus. Die Deutschen sind verunsichert und sehen ihre Existenz gefährdet. Die PDS-Propaganda ("Hartz IV ist Armut per Gesetz") und die Gewerkschafts-Stimmungsmache ("Obdachlosigkeit dank Hartz") entfalten hier ebenso ihre Wirkung wie die Anti-Schröder-Kampagne der Bild-Zeitung ("So schlimm wird Hartz IV wirklich").
Niemand wird ins Elend abrutschen. Selbst für jeden Langzeit-Sozialfall wird das Amt die Miete bezahlen, und 345 Euro Bares erhält er auch. Trotzdem beschwor einer der Redner der ersten Berliner Montagsdemo bereits seine Zuhörer, ja die schönen Plattenbauten nicht einzureißen, weil er sonst nicht wisse, wo er leben solle. Ein anderer forderte den Erhalt der Kleingärten.
Das alles hat rein gar nichts mit Hartz IV zu tun. Aber die verunsicherten Bürger verbinden alle Ängste und Sorgen neuerdings mit dem Gesetzespaket.
Bild und die PDS kochen ihr populistisches Süppchen. Sie nutzen die Ängste der Menschen aus. Die einen wegen der Profitmaximierung, die anderen wegen der Wählerstimmenmaximierung. Eine tolle Allianz, die sich da gebildet hat. Mit manchen CDU-Verbündeten sogar, die nicht gewußt haben wollen, was für einem Gesetz sie da zugestimmt haben.
"Montagsdemonstration", das ist ein Wort mit großer Geschichte, nicht umsonst gewählt, um dem Vorhaben die gewünschte Dramatik zu verleihen. Doch die Unterschiede zwischen einst und heute sind nicht zu übersehen: 1989 demonstrierten die Mitteldeutschen, um den DDR-Sozialismus abzuschaffen. Heute demonstrieren sie, um den BRD-Sozialismus zu erhalten. Zu Recht nannte es Joachim Gauck "töricht und geschichtsvergessen", daß die Gegner des Hartz-IV-Gesetzespakets sich mit der Tradition der Novemberrevolution in der DDR schmücken.
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