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Beliebtes Jahrbuch Vor 120 Jahren wurde Auerbachs Kinderkalender gegründet Sicher gibt es auch unter den älteren Lesern noch viele, denen ihr geliebter „Auerbach“ unvergängliche Erinnerungen an unbeschwerte Kindheitstage schenkt und die ihm über viele Jahre bis ins Erwachsenenalter hinein die Treue hielten. Jeder dieser „Auerbachs deutscher Kinderkalender“ wurde von seinem Herausgeber, dem „Kalendermann“, geprägt. Als ich ihn mit vierzehn Jahren entdeckte, war gerade Adolf Holst der verantwortliche Mann geworden, der, wie seine Vorgänger, nicht nur die schriftstellerischen und zeichnerischen Beiträge erwachsener Mitarbeiter zusammenstellte, sondern auch ein möglichst nahes Verhältnis zu seinen Lesern, eben den „Kalenderkindern“, pflegte. Gerade um diese Seite seiner Aufgabe war Adolf Holst in einmaliger Weise ganz besonders bemüht. In der mehrseitigen „Plauderecke“ jeden Jahrgangs ging er auf ihre Briefe und Fragen ein, teilte ihre Freuden und Kümmernisse, ermunterte sie zum Mitmachen und erteilte Lob, manchmal auch Tadel. So lobte er namentlich alle, die ihn mit Schönschrift erfreut hatten (wozu ich niemals gehörte), und diejenigen, deren Briefe ihm inhaltlich besonders gefielen (wobei mein Name wiederholt auftauchte).
Kalenderkind war, wer einen natürlich stets neuen rotröckigen Kalender besaß, und man kann nur staunen, welche später berühmten Leute einmal Kalenderkind waren: so zum Beispiel der großartige Tänzer Harald Kreuzberg , die bis in unsere Tage sehr beliebte Schriftstellerin Lisa Gast, der Bonner Bundestagsjournalist Haenelt, der Schriftsteller Werner May und Friedelind Wagner, eine Enkelin Richard Wagners. Auch als Erwachsene haben sie alle noch treu zum „Auerbach“ gehalten!
Adolf Holst war als liebenswerter Dichter und Poet bereits sehr bekannt und schon jahrelang Mitarbeiter an diesem Kalender gewesen, als er nach dem Tode des vorhergehenden Herausgebers 1919 dessen schönes und schweres Amt übernahm. Damit begann für dieses begehrte Jahrbuch ein neuer Abschnitt, der durch seine Persönlichkeit unverwechselbar ge- prägt wurde. Über fünfzehn Jahre hat er sich in diese Aufgabe, die ihm Lebensinhalt wurde, mit großem Erfolg hineingekniet, ist er in ihr aufgegangen, bis es 1935 mit dem rotröckigen Kalender aus war und er nur für kurze Zeit noch ein braunfarbiger wurde.
Der Abschied mag gerade diesem Kalendermann besonders schwergefallen sein, war er doch von allen Herausgebern, angefangen mit dem verdienstvollen Dr. August Berthold Auerbach, der den Kalender 1881 in Leipzig gegründet hatte, sicher der am meisten engagierte, der mit seinen Kalenderkindern eine ungeheure Korrespondenz führte, der anregte, daß sich überall im ganzen Land, vor allem in größeren Städten, fast vereinsmäßig Ortsgruppen zusammenschlossen, deren Mitglieder stolz ihr Kalenderkinderabzeichen trugen und entsprechende Wimpel an ihren Fahrrädern flattern ließen. Dazu war Adolf Holst der erste Kalendermann, der ganz persönlichen Kontakt zu seiner Gefolgschaft suchte und pflegte; denn Jahre hindurch reiste er viele Wochen im Land umher und besuchte seine vielen, vielen „Kinder“. So war er auch in Ostdeutschland, lernte das Samland und Masuren kennen und erzählte und schwärmte davon immer wieder bis zu seinem Tode am 4. Januar 1945, wenige Tage vor seinem 78. Geburtstag. Er war damals auch in Königsberg und Elbing, wo ihn Jungen und Mädel bei mir in der elterlichen Wohnung und im alten Markttor begrüßten. Denn ich gehörte damals zu seinen Getreuen, dessen erste dichterische Versuche er in „Auerbachs deutscher Kinderkalender“ veröffentlichte, und dann auch noch in der Kalenderkinderzeitschrift „Die fröhliche Post“, die er 1925 zum ersten Mal herausgab. Denn ebenso wie er waren die Kalenderkinder der Meinung gewesen, daß der nur einmal im Jahr erscheinende Kalender als Verbindung zwischen ihnen allen doch gar zu wenig wäre.
Die neue Monatszeitschrift mit je zwanzig Seiten erschien zwölfmal im Jahr, und ihre dichterischen und zeichnerischen Beiträge stammten ausschließlich von jungen und alten Kalenderkindern, oft mit ihren stolzen Fotos. Im regelmäßigen „Ratsstübel“ plauderte der Kalendermann nun alle vier Wochen mit ihnen. Leider mußte „Die fröhliche Post“ nach dem zweiten Jahrgang 1926 ihr Erscheinen jedoch wieder einstellen.
Wer war nun dieser Mann, der den „Auerbach“ so viele Jahre leitete und ihm seinen Stempel aufdrückte wie keiner zuvor? Adolf Holst wurde am 7. Januar 1867 als zweiter Sohn eines Pfarrers im Dörfchen Branderoda an der Unstrut geboren. Seine Mutter, eine Kusine Paul de Lagardes, entstammte einem alten märkischen Pastorengeschlecht, der Großvater väterlicherseits war ein weitgereister dänischer Webermeister. Den ersten Unterricht erhielt der Junge von seinem Vater und besuchte später die berühmte Landesschule in Pforta bei Naumburg. Dort erhielt er eine gründliche humanistische Ausbildung, was ihn jedoch nicht daran hinderte, im heimatlichen Dorf sich an wilden Spielen der Dorfjugend zu beteiligen, deren Anführer die Pastorssöhne waren.
Nach dem Abitur studierte er in Tübingen, Leipzig und Berlin, ging nach bestandenem Examen nach Genf und Paris zu weiterem Studium der französischen Sprache und nahm danach Hauslehrerstellen in Rom und Florenz an. Anderthalb Jahre war er Leiter einer Privatschule in Blankenburg am Harz, wo er seine spätere Frau kennenlernte. Er wurde an die deutsche Schule in Genua berufen und folgte 1901 einem Ruf als Lehrer und Erzieher der jüngsten Prinzen des Schaumburg-Lippischen Fürstenhauses nach Bückeburg, wo er bis 1907 blieb. In diesem Jahr wurde er zum Direktor der deutschen Schule in Florenz berufen.
Nach Bückeburg zurückgekehrt, war er bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Hofbibliothekar der fürstlichen Hofbibliothek. Eine ihrer eifrigsten Benutzerinnen war die Dichterin Lulu von Strauß und Torney, mit der ihn und seine Familie freundschaftliche Beziehung verband. Ebenso war er hier in der Vorkriegszeit mit Hermann Löns be-freundet, der damals Redak- teur der Schaumburg-Lippischen Landeszeitung war. Sie machten gemeinsam weite Spaziergänge, und bei Besuchen las Löns dem Freund zuweilen eben fertiggewordene Kapitel aus seinem Roman „Der Werwolf“ vor. Ab 1918 widmete sich Adolf Holst neben „seinem“ Kalender ganz der Schriftstellerei.
Holst stand mit bekannten und bedeutenden Menschen seiner Zeit in Briefwechsel, so mit dem schwedischen Asienforscher Sven Hedin, mit Hermann Hesse, Börries von Münchhausen, Ernst Zahn, Frida Schanz, Heinz Steguweit, mit Viktor Blüthgen, seinem väterlichen Freund und Berater, mit Hans am Ende, der Maler und Mitbegründer der Künstlerkolonie Worpswede war, und mit der genialen Puppenschöpferin Käthe Kruse, mit der er sehr humorvolle Briefe wechselte.
Adolf Holst veröffentlichte fünf Lyrikbände und viele Laienspiele für die Jugend. In zahlreichen Lesebüchern für die Grundschule standen seine Gedichte, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg für den Schulgebrauch noch als geeignet befunden wurden: in ein Züricher Lesebuch wurden 1967 vierzehn seiner Gedichte aufgenommen, und in einem 1974 erschienenen Liederbuch für Grundschulen stehen sechs Holst-Lieder. Er schrieb den Text zu einer ganzen Reihe von Bilderbüchern, von denen einige erstaunlich hohe Auflagen erreichten: „Hans Wundersam“ 177.000 Exemplare und „Die Schule im Walde“ 132.000. Die Auflage des Kinderkalenders erhöhte sich unter seiner Regie auf 100.000. Neunundzwanzig Komponisten, darunter so bedeutende wie Max Reger und Josef Haas, Henri Marteau und Richard Trunk, vertonten seine Gedichte; „Die Heiligen drei Könige“ wurde allein zehnmal komponiert! Die Stadt Bückeburg, die ihm jahrzehntelang und bis zu seinem Tode Heimat war, ehrte ihn dadurch, daß sie einer Straße seinen Namen gab. Auch sein Erbe wird dort verwaltet. Heinrich Eichen
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