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Wie sieht denn das Erbe ,unserer Väter aus?" fragte Bruno Taut (18801938) in einem Artikel über die städtebauliche Situation in Magdeburg zu Beginn seiner Amtszeit als Stadtbaurat, die er vor nunmehr bald 80 Jahren (im April 1921) antrat. "Ich stand auf dem Domturm", so der Königsberger, "und sah nun keinen Organismus. Das Alte, die Kirchen stehen wie verkümmerte Blumen in einem wüsten Unkrautacker, und wo man keinen alten Straßenzug, keine organische saubere Dachmasse mehr sah, nach Süden, Fermersleben, Sudenburg usw., da war nur ein Geschiebe von wüsten Kästen, in die mit dem Messer schnurgerade ,Fluchten geschnitten sind die schöne Welt des Pflastertreters.
Ich fuhr mit dem Flugzeug über die Stadt: tief unten das Werk der winzigen Menschentiere. In dieser schönen Welt, wo die Elbe wie ein Silberband leuchtet, in dem grünen Meer von Feldern und Bäumen mit Scham sieht man von da aus, was wir Menschentiere geleistet haben. Wenig schmeichelhafte Vergleiche drängen sich angesichts dieses Steinwirrwarrs auf, wenn wir nicht an der sauberen Anlage des Doms und seiner Umgebung einen Halt für unser Selbstbewußtsein fänden, daß wir Menschen doch zu den besseren ,Tieren gehören. Von oben sieht man es: ,Stadt so etwas gibt es eigentlich nicht mehr. Es breitet sich weithin ins Land aus, man sieht keine ,Grenze, an der man sagen könnte: hier hört die Stadt auf und das Land beginnt. Aber es strahlt nicht organisch zusammen zu einem Gipfel, zu einem Höhepunkt, es kumuliert, häuft sich nur, ohne jede Form, ohne jeden Sinn." Einmal ganz abgesehen davon, daß das Herz des Baumeisters aus Königsberg bluten müßte, sähe er heute diese Stadt unter seiner Leitung wurde die Stadt an der Elbe in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhundert zu einem "Ausstrahlungszentrum" moderner Stadtbaukunst. Unter seiner Leitung entstanden viele bemerkenswerte Neubauten, ein Generalbebauung splan des gesamten Stadtgebietes und auch große Siedlungen. Zu seinen wichtigsten Arbeiten in Magdeburg zählte Taut selbst die Vieh- und Ausstellungshalle "Land und Stadt", die heutige Hermann-Gieseler-Halle in der Wilhelm-Kobelt-Straße: "Ich würde es für wichtig halten ..., daß dieser Bau wahrscheinlich der einzige große ist, den eine deutsche Stadt zustande gebracht hat" (Taut). Mit der Eisenbetonkonstruktion, die eine etwa 750 qm große Arena überspannt, gelang Taut die Synthese zwischen Expressionismus und Funktionalität.
Sohn Heinrich nannte die Magdeburger Zeit seines Vaters einmal sowohl eine "schwere ,Teststrecke wie auch ein reiches und vielseitiges ,Laboratorium für die Ausbildung aller seiner Fähigkeiten".
Bruno Taut war in einer Zeit nach Magdeburg gekommen, als dringend Wohnraum für die arbeitende Bevölkerung benötigt wurde. Mit ihm kehrte die Farbe zurück in die Stadtarchitektur; während seiner Zeit wurde Magdeburg zu einem Zentrum des Neuen Bauens. "Wenngleich er in der mitteldeutschen Elbstadt nur rund drei Jahre wirkte und während der ganzen Zeit seinen Wohnsitz in Berlin-Dahlewitz behielt , wurde seine Tätigkeit als beamteter Architekt und Stadtplaner weit über die Grenzen Magdeburgs hinaus wahrgenommen. Dabei war seine Initiative zur Durchsetzung eines farbigen Stadtbildes nur ein Teil seines umfangreichen und agilen Engagements als Stadtbaurat. Seine Ideen beeinflußten noch nach seiner Rückkehr nach Berlin 1924 die gesamte Magdeburger Stadtentwicklung während der Weimarer Republik", betont Olaf Gisbertz in seinem Buch Bruno Taut und Johannes Göderitz in Magdeburg. Architektur und Städtebau in der Weimarer Republik (Gebr. Mann Verlag, Berlin. 270 Seiten mit 2 Abb., 2 Farbtafeln und 68 Tafeln mit 141 Abb., geb. mit Schutzumschlag, 148 DM). Unter Auswertung vieler bisher unzugänglicher Dokumente ist es Gisbertz gelungen, einmal die praktischen Leistungen von Taut und seinem Nachfolger als Stadtbaurat, Johannes Göderitz, ausführlich zu schildern, zum anderen aber auch die historische Bedeutung Magdeburgs für die Geschichte der Architektur im 20. Jahrhundert zu beleuchten.
In Magdeburg befaßte sich Bruno Taut jedoch nicht nur mit der Stadtplanung oder dem Entwurf von Neubauten, er wirkte auch als Herausgeber und Autor. Dort entstand seine Schrift "Die neue Wohnung. Die Frau als Schöpferin", und dort gab er die Zeitschrift Frühlicht. Eine Folge für die Verwirklichung des neuen Baugedankens heraus (als Reprint im Gebr. Mann Verlag, Berlin. 4 Hefte in vierfarbiger Einschlagmappe, 298 DM). Dieses wichtige Dokument zum Verständnis der modernen Architektur wird ergänzt durch einen Band mit Texten von Manfred Speidel, Karl Kegler und Peter Ritterbach: Wege zu einer neuen Baukunst. Bruno Taut, Frühlicht (Gebr. Mann Verlag. 120 Seiten mit 113 Abb., davon 14 farbig, geb. mit farbigem Schutzumschlag, 198 DM). Neben der Konzeptkritik der Hefte 1 bis 4 aus den Jahren 1921 bis 1922 ist es auch gelungen, das geplante Heft 5 aufgrund eines von Taut hinterlassenen skizzierten Inhaltsverzeichnisses zu rekonstruieren.
Vielfach wurde das Neue Bauen damals wie heute mit heftiger Kritik bedacht. Bruno Taut nahm seinen Kritikern allerdings den Wind aus den Segeln, als er in der ersten Ausgabe von "Frühlicht" mahnte: "Diese Bewegung verdammt kein Bedürfnis, keinen Wunsch unserer Zeit. Sie erklärt nichts für häßlich a priori, sie erkennt jedes wirkliche Wollen an und überläßt die Entscheidung: schön oder häßlich späteren Zeiten, nach dem Grundsatz jedes Künstlers, der diesen Namen verdient. Für ihn gibt es nur die Frage: wahr oder unwahr, und was wahr ist, wird ganz gewiß auch einmal schön sein. Nur das ist wahres Leben ..."
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