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Paris hofiert Ankara

 
     
 
Mit einer Dauer von zehn bis 15 Jahren für mögli- che Beitrittsverhandlungen zwischen den EU-Unterhändlern und der Türkei rechnet Staatspräsident Jacques Chirac. Auf einer Pressekonferenz vor 300 Journalisten im Prachtsalon des Elysée-Palasts anläßlich der EU-Osterweiterung gab der französische Staatschef bekannt, er befürworte eine EU-Mitgliedschaft der Türkei, damit der "Zusammenstoß der Zivilisationen" verhindert werden könne. Es gehe jetzt darum, daß die Türkei sich den Werten der europäischen Staatengemeinschaft anpasse, so daß alles in allem die volle Teilnahme des Schwarzmeerstaates am europäischen Geschick ihm als "wünschenswert" erscheine.

Mit großem Widerstand muß Chirac nunmehr nicht nur in der französischen Öffentlichkeit rechnen, sondern auch in seiner eigenen Partei, der UMP. Obwohl er ausdrücklich betont hat, die Entscheidung bezüglich der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sei bereits beim Gipfel von Helsinki 1999 gefällt worden, als der Sozialist
Lionel Jospin durch die "Kohabitation" sein Regierungschef war, liegt es auf der Hand, daß das Thema "Türkei" an der Seine weiterhin leidenschaftlich diskutiert wird, so daß die Parteien in Frankreich darüber innerlich tief gespalten sind.

Sowohl der Chef der UMP, Alain Juppé, als auch einer der führenden Köpfe der Sozialistischen Partei, Laurent Fabius, plädieren für eine "Vorzugspartnerschaft" mit der Türkei statt deren voller EU-Mitgliedschaft. Bei den Zentristen der UDF ("Union pour la Démocratie Française") fällt die Zurückhaltung des Altstaatspräsidenten Giscard d Estaing bezüglich der Türkei auf. Unter den christlichen Wählern herrscht die Meinung vor, daß Europa christlich bleiben müsse. Da aber Frankreich eine laizistische Republik ist, sind die Politiker nicht verpflichtet, sich die Meinung der christlichen Bürger anzueignen.

Bei den französischen Sozialisten, die derzeit eher mit der Vorbereitung der Europa-Wahl am 13. Juni beschäftigt sind, zeigt sich eine gewisse Zweideutigkeit in bezug auf das Thema "Türkei". Auf jeden Fall haben die Anhänger des einstigen Kommissionspräsidenten Jacques Delors, wie die ehemalige Europaministerin Elisabeth Guigou oder der Parteichef François Hollande, nichts gegen eine volle Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union einzuwenden, da ihr Ziel, wie Elisabeth Guigou gegenüber dem Rundfunksender France-Info erklärte, ein "Großeuropa" sei.

Bemerkenswert ist, daß nach Meinung zahlreicher Beobachter der Staatschef kurz vor dem innenpolitischen Test der Europa-Wahl dem die eigentliche Zukunft Europas betreffenden Thema bislang geschickt ausgewichen ist.

Die Weigerung Chiracs, sich über die Art und Weise, wie die EU-Verfassung in Frankreich ratifiziert werden soll, klar zu äußern, wurde von der politischen Klasse ebenfalls als Ausweichmanöver verstanden. Der Präsident hält die Debatte für verfrüht, während von den Kommunisten bis zur "Front National" alle Parteien eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung verlangen - statt des parlamentarischen Weges, der wahrscheinlich den Absichten des Staatschefs mehr entsprechen würde.

Es ist nämlich nicht sicher, ob im Falle einer Volksabstimmung die Franzosen die EU-Verfassung annehmen. Leicht könnte eine solche Volksabstimmung den Charakter eines "Für-oder-gegen-Chirac-Plebiszits" bekommen. Solange also seine Anhänger eine überwältigende Mehrheit in der Nationalversammlung und im Senat innehaben, könnte es für den europafreundlichen Staatschef besser sein, die Verfassung der Europäischen Union durch die fügsamen Parlamentsmehrheiten ratifizieren zu lassen.

Chirac schließt in diesem Zusammenhang nicht aus, daß die EU mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs konfrontiert werden könne, je nach dem Ausgang des vom britischen Regierungschef angekündigten Plebiszits. Den Äußerungen in seiner Pressekonferenz läßt sich jedenfalls entnehmen, daß er sich die Ansicht deutscher Politiker zu eigen gemacht hat, wonach die Nicht-Ratifizierung der EU-Verfassung einem Austritt Londons aus der EU gleichbedeutend wäre. Francisco Lozaga

In Erklärungsnot: Frankreichs Präsident Jacques Chirac
 
     
     
 
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