|
Oskar Lafontaine, seit seinem Rückzug aus der Politik ein Feldherr ohne Truppen, hat Berlin mit der Schreibfeder angegriffen und damit die Regierung Schröder und die SPD in schwere Bedrängnis gebracht. Mit seinem Bekenner-Buch "Das Herz schlägt links" rechnet der Saarländer gnadenlos mit seinen Parteifreunden ab. Zu so etwas sei kein Christdemokrat fähig, spottete ein hoher CDU-Vertreter angesichts der Vorabdrucke der Lafontaineschen Worte in zwei großen Zeitungen. Es gilt wohl immer noch die alte Steigerung: Feind, Erzfeind, Parteifreund. Die bisher bekannten Kapitel aus Lafontaines Buch sind Beleg für irrsinniges Mißtrauen, gnadenlosen Konkurrenz kampf, Intrigen und gebrochene Versprechungen.
Mit seinem überhasteten Rücktritt im März hatte Lafontaine die Flucht aus einer für ihn ausweglosen Lage angetreten. Sehr richtig schreibt er in seinem Buch, daß Schröder oftmals versucht habe, Lafontaine in Bedrängnis zu bringen. Eine üble Rolle soll dabei der später wegen ei- nes Hausbau-Skandals weggelobte Kanzleramtschef Hombach gespielt haben, der ständig Intrigen gegen Lafontaine anstiftete. Der von einem nicht zu bändigenden Machttrieb getriebene Saarländer mußte jedoch spätestens nach den niedersächsischen Landtagswahlen im März letzten Jahres einsehen, daß Schröder durch ein Plebiszit zum Kanzlerkandidaten auserkoren worden war. Lafontaine wäre bei der Bundestagswahl wie schon 1990 gescheitert. Folglich ließ der Saarländer Schröder gezwungenermaßen den Vortritt. Um sich möglichst viel Macht zu sichern, verlangte er für sein Ministerium zusätzliche Kompetenzen, die vom Wirtschaftsministerium in Lafontaines Finanzressort verlagert wurden. Mit einer starken Stellung im Budgetrecht glaubte Lafontaine, eine Art heimlicher Regierungschef zu werden. Außerdem habe er, so seine Spekulation, die Macht der sozialdemokratischen Partei im Rücken.
Doch weit gefehlt. Lafontaine unterschätzte die faktische Macht, die das Kanzleramt in Deutschland hat. Immer öfter mußte der Saarländer erleben, wie es Ministern in Bonn schon immer ging: Wichtige Dinge erfahren sie aus den Zeitungen, die vom Kanzleramt aus auf verschwiegenen Wegen exklusiv versorgt werden. Lafontaine dazu in seinem Buch: Die nötige Koordination zwischen Kanzleramt, SPD-Fraktion und SPD-Präsidium "wäre nur durch eine konsequente Zusammenarbeit zwischen Gerhard Schröder und mir möglich gewesen. Davon konnte keine Rede sein." Lafontaine überhäuft Schröder mit Vorwürfen: Der Kanzler sei "nicht zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit fähig", für den Fehlstart der rotgrünen Koalition verantwortlich und habe einen "Mangel an Fairneß und Wahrhaftigkeit".
Mit dem Versprechen einer anderen Politik und für mehr soziale Gerechtigkeit habe die SPD die Wahl gewonnen, nach seinem Rücktritt sei aber ein "radikaler Kurswechsel zum Neoliberalismus" eingeleitet worden. Lafontaine reagiert zudem noch darauf, daß mit seinem Rückzug der frankophile Einfluß in Deutschland zurückgegangen ist; Schröder steht in der hannöverschen Tradition der engeren Anbindung an England. Es war kein Zufall, daß Schröder zusammen mit dem britischen Regierungschef Blair das neoliberale Wirtschaftspapier veröffentlichte. Dagegen wäre Lafontaine eine Annäherung an die französische Wirtschaftspolitik, die bewußt auf eine starke Stellung des Staates und die Förderung der Nachfrage setzt, lieber gewesen.
Die politischen Berliner Erdbeben sind sicher auch deshalb so stark, weil Lafontaines Buch noch einmal die grundsätzlichen Fragen der Orientierung der deutschen Politik anstößt, ohne die Dinge allerdings beim Namen zu nennen. Wie Ex-Kanzler Helmut Kohl steht auch Lafontaine für die westdeutsche Teilrepublik mit enger Anbindung an Frankreich. Und mit Kohl ging auch Lafontaine schließlich unter, auch wenn ihm in einer anderen politischen Gruppierung vielleicht noch eine Strohfeuer-Karriere winken könnte, zum Beispiel in der PDS. Die Tendenz zur Abkoppelung Deutschlands vom französischen Einfluß und die stärkere Ausrichtung Berlins nach Osten werden sich nicht aufhalten lassen. Es ist das Verdienst Lafontaines, diese Entwicklung etwas aufzuhellen.
|
|