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Philipp Otto Runge

 
     
 
Es hat mir von jeher auf dem Herzen gelegen, mich als Künstler zu ernähren und als solcher zu leben. Wie es gekommen ist, daß ich auf die Malerei verfallen bin, davon kann ich nichts anderes sagen als: Sie ist mir nun das Liebste, und ich kenne nichts besseres als sie." Der diese Zeilen an seinen Vater schrieb, mußte eine gute Weile warten, bis er sich der Kunst widmen konnte. Auch war ihm nur eine kurze Zeit vergönnt, als Künstler zu leben, schon früh wurde er von dieser Welt abberufen. Dennoch gilt Philipp Otto Runge neben Caspar David Friedrich
heute als der Hauptmeister der deutschen Romantik.

Aus Anlaß seines 225. Geburtstages zeigt die Hamburger Kunsthalle bis zum 25. August aus ihren eigenen Beständen und aus Familienbesitz eine kleine, aber feine Ausstellung von Familienbildern, die Runge geschaffen hat. Neben Ölbildern, darunter das so bekannte Porträt der alten Eltern und das der Kinder Maria Dorothea und Otto Sigismund sind auch kostbare Studien in Kreide und Bleistiftzeichnungen zu sehen, die sonst aus konservatorischen Gründen das Licht der Öffentlichkeit scheuen müssen. Kuriosum am Rande der Ausstellung, die sich nahtlos an den Runge-Saal in der Kunsthalle anschließt: Zur Eröffnung waren 90 Mitglieder der Runge-Familie gekommen, die es mittlerweile in der zwölften Generation gibt.

Die Hamburger Kunsthalle besitzt seit langen Jahren die größte Runge-Sammlung, darunter "Die Hülsenbeckschen Kinder" aus dem Jahr1805/06, das Kinderbild schlechthin, "Die Lehrstunde der Nachtigall" aus dem Jahr 1804/05, angeregt durch Klopstocks Ode "Die Lehrstunde", oder "Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" aus dem Jahr 1805/06, heute ein Symbol für das Aufblühen des christlichen Morgenlandes nach dem Untergang des heidnisch-germanischen Abendlandes. Auch "Der Morgen" aus dem Jahr 1808 ist in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, Sinnbild für das Thema Zeit, mit dem Runge sich neun Jahre lang beschäftigte. 1802/03 schuf er eine Zeichnung mit dem Titel "Vier Tageszeiten", 1808 folgte das Ölgemälde "Der Morgen", dem eine zweite, größere Version folgte, die allerdings 1890 zerschnitten wurde und erst 1927 wieder zusammengefügt werden konnte. "Mit den ,Zeiten suchte Runge die christliche Kunst von Grund auf zu erneuern", liest man in einem Prestel-Führer durch die Kunsthalle. "Die Kräfte der von Gott geschaffenen Natur sollten im Bild Gestalt annehmen."

Alfred Lichtwark, dem ersten Direktor der Sammlung, ist es zu verdanken, daß in Hamburg so viele Werke des Künstlers zu bewundern sind. Er schrieb 1893: "Es wird die Aufgabe der Kunsthalle sein, charakteristische Werke des seltenen Geistes zu erwerben, damit in der Sammlung zur Geschichte der Malerei in Hamburg ein Bild seines originellen Wesens gewonnen werden kann." Auf vier Schenkungen, die er bereits vorfand, baute Lichtwark die Sammlung auf und sicherte zu seiner Zeit der Kunsthalle 18 Gemälde Runges. Im Laufe der Jahre wurde die Sammlung immer mehr vergrößert, auch mit Zeichnungen und Scherenschnitten, eine Kunst, die Runge meisterhaft beherrschte.

Schon als Kind hatte der am 23. Juli 1777 im pommerschen Wolgast als Sohn eines Reeders geborene Philipp Otto Runge sich mit der Kunst der Schere beschäftigt und Scherenschnitte gefertigt, Meist waren es Silhouetten oder szenische Darstellungen aus weißem Papier auf blauem Karton, die er unter der Anleitung der Mutter schuf. Und so bekennt er später auch: "Ihnen danke ich alles, und es ist mein innigster Wunsch, daß aus allem, was ich hervorbringe, dieses einmal zu sehen wäre, so gehörte Ihnen denn alles an, und ich hätte diesen Strom zu einer lieblichen Quelle zurückgeleitet." Erinnert man sich dieser liebevollen Worte, sieht man die Studien zum Kopf der Mutter für das Bild der Eltern, die noch heute so sehr anrühren?

Während die Mutter den Künsten zugeneigt war, sah der strenge Vater den Sohn eher als Kaufmann. Und so war es dem Lehrer und Dichter Gotthard Ludwig Kosegarten zu verdanken, daß der Vater die Bestimmung des Sohnes als Künstler erkannte. Dennoch sollte er zuvor "etwas Anständiges" lernen und wurde zum Bruder Daniel nach Hamburg geschickt, wo er eine Kaufmannslehre absolvieren sollte.

In Hamburg begegnet Runge schließlich dem Dichter Matthias Claudius und auch dem Buchhändler Friedrich Perthes; mit ihnen kommt es zu einem regen Gedankenaustausch. In Hamburg nimmt Runge ab 1797 auch ersten Zeichenunterricht; 1798 unterweist ihn Jobst Eckhardt in der Ölmalerei. Ein Jahr später geht er nach Kopenhagen an die Akademie von Jens Juel, kehrt dieser jedoch 1801 enttäuscht den Rücken und geht nach Dresden. Dort begegnet er dem Dichter Ludwig Tieck, mit dem er Freundschaft schließt, und dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Auch besucht er Caspar David Friedrich in Greifswald, der ihm ebenfalls freundschaftlich verbunden ist.

Die Kunst hat den Pommern voll in ihren Bann gezogen. Begeistert schreibt Runge einmal seinem Bruder David: "Jetzt trete ich mit festerem Vertrauen und fröhlicherem Mute in die Welt, mit der Zuversicht, daß ich das Schöne und Gewaltige, was je Menschen geleistet, nicht wie ein Kenner betrachten, sondern mit liebender Seele empfinden und selbst Schönes hervorbringen werde."

In Dresden begegnet er auch der damals fünfzehnjährigen Pauline Bassenge, die Runge, nachdem Bruder Daniel ihm finanziell unter die Arme gegriffen hat, 1804 heiratet. Das junge Paar zieht nach Hamburg, um in der Nähe Daniels zu sein. Als dessen Firma durch den Krieg mit Frankreich in Not gerät, geht Philipp Otto mit seiner Familie zu den Eltern nach Wolgast. Dort entstehen viele seiner großen Werke, wie die Hülsenbeckschen Kinder oder das Bildnis der Eltern. Erst im April 1807 kehrt Runge nach Hamburg zurück. Im Sommer des gleichen Jahres erkrankt er an Schwindsucht. Es bleibt ihm nur noch wenig Zeit, seine Kunst zu vollenden.

Neben Familienbildern entstehen immer wieder auch Selbstbildnisse, die den Menschen Runge auch heute noch nahebringen. Einen Menschen, von dem gesagt wurde: "Seine Gesichtszüge waren höchst einnehmend und bedeutend. Jeder, der ihn sah, ahnte in ihm eine phantasiereiche Dichternatur. Seine großen, lebendig staunenden Augen waren gewöhnlich nach innen gekehrt und hatten eine unbeschreiblich anziehende Gewalt ..."

Man schrieb das Jahr 1810, als Philipp Otto Runge im Januar seine "Farbenkugel - Konstruktion des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zueinander und ihrer vollständigen Affinität" herausgab (1999 wieder mit Notizen zur Farbe und dem Briefwechsel mit Goethe im Tropen Verlag/ frommann-holzboog, Köln, erschienen. 120 Seiten, zahlr. farbige Abb., geb., 16,80 a). Im Mai des gleichen Jahres dann erschien Goethes Farbenlehre. Beide waren zu der Überzeugung gelangt, Farbe sei nicht Teil des Lichts, sondern das Licht erzeuge die Farbe. Wenn auch beide die These Newtons in Frage stellen, das weiße Licht enthalte das Farbenspektrum, so bleibt doch Runges "Farbenkugel Teil des kollektiven Gedächtnisses", wie Volkmar Hansen im Nachwort zur Neuausgabe schreibt. Vor allem aber beeinflußte Runge mit seiner Farbenkugel nachfolgende Künstler wie etwa Paul Klee.

Goethe aber war begeistert, weil er in Runge einen Maler gefunden hatte, der zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt war wie er selbst: "Nicht wenig Freude war mir s zu sehen, daß Ihre Ansichten der Farbe völlig mit den meinigen übereintreffen ... Ich werde mit mehr Lust und Mut die Re-daktion meiner Arbeit fortsetzen, weil ich in Ihnen nunmehr einen Künstler kenne, der auf seinem eigenen Wege in die Tiefe dieser herrlichen Erscheinungen eingedrungen ist."

Doch Runge war nicht nur ein Meister mit Pinsel und Farbe, auch das geschriebene Wort beherrschte er auf das Vorzüglichste. So schrieb er Gedichte in pommerschem Platt und hörte aufmerksam zu, wenn die Fischer die Märchen "Von dem Fischer un syner Fru" oder "Von dem Machandel Bohm" erzählten. Er schrieb sie auf - in pommerschem Platt - und schickte sie an die Gebrüder Grimm und an Achim von Arnim für die "Zeitung für Einsiedler". Das Märchen "Vom Fischer un syner Fru" wurde in viele Sprachen übersetzt, doch kaum einer weiß heute noch, daß der Maler Runge es war, der es für die Nachwelt aufschrieb. Wie kaum einer es weiß, daß er auch zwei Kartenspiele gestaltet hat. Das erste zeichnete er 1805, es zeigt die klassischen französischen Motive. Im zweiten Spiel porträtierte Runge die Helden der Befreiungskriege. Auch schuf er die eine oder andere Arbeit als angewandte Kunst, so ein Motiv für einen Vorhang in einem Operntheater, eine Urania als Ofenschirm für Matthias Claudius, einen Mondaufgang als Sofa- bekrönung für Friedrich Perthes. Runge sprach dann von der "Leimrute", mit der er sein Publikum in Dekorationen "fangen" wollte.

"Wer sieht nicht Geister auf den Wolken beim Untergang der Sonne?" fragte er einmal. "Wem schweben nicht die deutlichsten Gedanken vor die Seele? Entsteht nicht ein Kunstwerk nur in dem Moment, wann ich deutlich einen Zusammenhang mit dem Universum vernehme? Kann ich den fliehenden Mond nicht ebenso festhalten, wie eine fliehende Gestalt, die einen Gedanken bei mir erweckt, und wird jenes nicht ebenso ein Kunstwerk?"

Philipp Otto Runge war ein typischer Vertreter der deutschen Romantik. Er lebte und wirkte in einer Zeit des Umbruchs und des Aufbruchs. Seine Werke sind noch heute Zeugnisse eines fruchtbaren Kapitels deutscher Kulturgeschichte. Einen Tag vor der Geburt seines dritten Kindes starb Philipp Otto Runge am 2. Dezember 1810 in Hamburg an der Schwindsucht; er wurde nur 33 Jahre alt.

 

Die Eltern des Künstlers (Öl, 1806): Während eines längeren Aufenthaltes in seiner Vaterstadt Wolgast porträtierte er die Eltern "zum Andenken"; zu ihren Füßen spielen der Sohn Otto Sigismund und der Neffe Friedrich

Die Kinder Maria Dorothea und Otto Sigismund Runge (Öl, 1808/09): Zum ersten Mal schildert ein Maler Kinder aus solcher Nähe; das Bild ist nicht vollendet

Selbstbildnis: Wenige Monate vor seinem Tod malte der Künstler sich noch einmal selbst. Das Bild war jedoch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt

Die Hülsenbeckschen Kinder (Öl, 1805/06): Runge malte die Kinder einer befreundeten Familie im Garten ihres Landhauses in einem Hamburger Vorort alle Abbildungen aus "Hamburger Kunsthalle", Prestel Museumsführe
 
     
     
 
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