|
Glasklar und gegenwärtig hat man sie dann vor Augen, die Erinnerungen an die Jugendzeit und die Heimat, als wäre alles erst gestern geschehen - Freude, Leid, Schweres und Schönes, bis dann ein nie geahntes Inferno alles beendete. Was blieb, sind die Erinnerungen! Eine davon ist mir in den vergangenen Jahrzehnten besonders haftengeblieben.
Der Nariensee, oft auch liebevoll "Die Narje" genannt, hatte eine Länge von elf Kilometern. Über die größte Breite maß er sechs Kilometer, gemessen vom Dorf Kranthau bis zum Gutshof der Grafschaft v. d. Groeben/Ponarien. Der See erhielt seine malerisch e Form, die, auf der Karte mit einiger Phantasie betrachtet, einem Drachen ähnelt, durch seine vielen Buchten. In ihm lagen etwa 15 Inseln verschiedener Größe mit merkwürdigen Namen wie Greekner, Lebuhn, Schöntalk, Spätling sowie auch Lustwerder, das mit einem gewissen Ruf belegt war, vielleicht zu Unrecht. Am "Eulengrund" hatte der See eine Tiefe von rund 55 Metern. In seinem überaus klaren, durch keinerlei industrielle Verschmutzung betroffenen Wasser gedieh in großer Anzahl die kleine Narien-Maräne, ein damals sehr seltener und äußerst beliebter Speisefisch, den man in Ostdeutschland nur noch in einer größeren Art in Masuren, im Nikolaiker- und Spirdingsee fing. Feinschmecker gaben der kleinen Narien-Maräne als der delikateren den Vorzug. Aus den Räucherkammern im nahegelegenen Güldenboden (dem Heimat- und Geburtsort des Verfassers) gingen die delikaten Fischchen gut verpackt in die Städte bis nach Berlin.
Maränen konnten in fast jeder Zubereitungsart genossen werden. In der Fangzeit von Frühjahr bis Ende September ist wohl kaum ein Besucher aus den Orten um den Nariensee wieder fortgegangen, ohne sich ein oder mehrere gute Maränengerichte einzuverleiben. Die Fischerei Schwesig aus Güldenboden hatte die Fischereirechte erworben. Auch eine Aalräucherei wurde betrieben. Meine beiden Großväter waren dort beschäftigt. So war kein Mangel im Hause an guten Fischgerichten!
Ich erinnere mich, daß mein "kleiner" Opa (der andere war der "große" Opa) einmal mit einem Ungetüm von Hecht nach Hause kam, der fast so lang war, wie er selbst. Opa hatte ihm einen Stock durch die Kiemen gesteckt und über der Schulter getragen, dabei berührte die Schwanzflosse des riesigen Räubers fast den Boden. Den Kopf des Fisches legte Opa in einen Ameisenhaufen. Binnen kurzer Zeit war er blitzsauber abgenagt. Danach wurde die Trophäe mit Bronze "vergoldet" und prangte auf dem Vertiko.
Die Arbeit der Fischer, die alle aus Güldenboden stammten, war schwer. Die oftmals viele Kilometer weiten Strecken zu den jeweiligen Fangorten mußten "von Hand" angerudert werden. Es gab dort seinerzeit noch keine Motorboote. Besonders die Eisfischerei zur Winterszeit, auch bei hohen Frostgraden, verlangte den Männern das Letzte ab. Wir Kinder allerdings sausten auf unseren Schlittschuhen auf den uns unendlich weit erscheinenden Eisflächen bis in die Abendstunden umher, konnten nicht genug bekommen.
Dann die herrlichen ostdeutschen Sommer! Baden, baden, so oft es ging. Mitgenommen wurden eine leere Flasche und einige Brausetabletten. Die Limonade mit Narienwasser schmeckte herrlich. Der See sorgte für alles! Als östlichster großer See der Oberländischen Seenplatte hatte er durch das Narienfließ eine Verbindung zur Passarge, die den Kreis Mohrungen und auch das Oberland nach Osten abgrenzte. In früheren Zeiten verlief dort auch die Grenze zwischen den altprussischen Gauen Pomesanien und Pogesanien.
Für die aus dem Oberland stammenden ostdeutschen Menschen ist gegenwärtig immer wieder feststellbar, daß die jahrhundertelang bestehende, geschichtlich begründete Bezeichnung "Oberland" für ihre Heimat weggelassen bzw. offenbar ignoriert wird. Wenn heute das ehemalige Oberland zusammen mit Masuren in der Wojewodschaft Olsztyn (Allenstein) zusammengefaßt ist, braucht deshalb das Oberland heute noch längst nicht als Begriff in der Versenkung verschwinden. Selbst in zeitgenössischen deutschen Filmen wird fälschlicherweise davon gesprochen, daß der "Oberländische Kanal" oder die Herderstadt Mohrungen in Masuren liegen.
Aus seinem ursprünglichen Bett hat sich der Nariensee in Jahrtausenden nach der Eiszeit in seine heutige Lage zurückgezogen und liegt nun in einem riesigen Tal, in dem er sich zunächst dem Blick entzieht. Trat man an den Rand der zum Teil bis 40 Meter (bei Golbitten) hohen Böschungen, bot sich dem Betrachter ein Bild atemberaubender Naturschönheit, die sich besonders vor Sonnenuntergang noch steigerte. Eine unwirkliche Stille, die nur zuweilen durch den Schrei eines Seevogels unterbrochen wurde, lag über dem Land. Ergriffen spürte man den Hauch der Schöpfung!
Leider ist die Anzahl der Stellen, von denen aus man diese Ausblicke genießen konnte, heute stark vermindert. Ein allzu großer Teil der Uferpartien ist durch die Polen aufgeforstet worden, die Kiefern versperren hier den Durchblick zum See. Die früher so heilsame Stille und Einsamkeit ist heute größtenteils kaum noch wahrnehmbar. Die Ufer sind, vor allem an der Westseite, als Erholungsgebiete hergerichtet. Bei Güldenboden befinden sich zwei große Feriencamps. Mietbare Blockhäuser plus Service sind vorhanden. Ebenso auch in Kranthau (Kretowyni). Güldenboden heißt heute Bogaczewo. Ein Urlaub dort ist jedoch durchaus empfehlenswert, ebenso eine Fahrt um den Nariensee, circa 40 Kilometer. Im nahen Mohrungen bestehen gute Quartiermöglichkeiten. Die Entfernung von Mohrungen zum Nariensee (Güldenboden) beträgt 4,5 Kilometer.
Fototext: Fischerleben auf dem Nariensee: Ein kräftiger Schluck nach dem Fan |
|