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Die "Bild"-Zeitung überraschte am 22. März ihre Leser mit einer Hauptüberschrift von der Art, wie man sie sonst in diesem Blatt selten findet. In riesigen Buchstaben konnte man lesen: "Skandal! 61 Jahre nach Kriegsende - 4000 deutsche Soldaten in Pappkartons". Im Inneren des Blattes fragt die Zeitung: "Warum finden die 4000 Gefallenen nicht ihren Frieden?"
Tatbestand: In einer stillgelegten Fabrik in Aussig im nördlichen Böhmen werden in schwarzgrauen Pappkisten die Gebeine von 4000 gefallenen Soldaten der Wehrmacht und von deutschen Zivilisten, die im Raum Prag am Kriegsende ums Leben kamen, aufbewahrt. Das nennt ein tschechischer Diplomat, den "Bild" zitiert, "eine Schande für Deutschland".
Geht man der Sache auf den Grund, bestätigt es sich zwar, daß Deutschland, vor allem aber die deutsche Bundesregierung, sich schämen sollte, daß aber auch die Tschechische Republik nicht ohne Schuld ist.
Sobald es nach dem Krieg möglich war, begann der bereits nach dem Ersten Weltkrieg gegründete private "Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge" die Grabstätten gefallener deutscher Soldaten zu sichern. Sie waren häufig, vor allem im letzten Abschnitt des Krieges, dort begraben worden, wo sie gefallen waren. So waren viele Gräber weit verstreut und konnten weder geschützt noch gepflegt werden, was bis heute Grabräuber ausnutzen, um die Gräber zu plündern und mit den dabei gefundenen "Souvenirs" Handel zu treiben. Eine Sicherung und eine würdige Herrichtung der Grabstätten sind nur möglich, wenn man die Toten in den einzelnen Regionen auf zentralen Friedhöfen bestattete. Dank Hunderttausender privater Spender und Mitglieder, die regelmäßig Aktivitäten des Volksbundes mit größeren und kleineren Beträgen finanzieren, konnte diese Aufgabe in Nord-, West- und Südeuropa sowie überall sonst in der Welt, wo Deutsche gefallen sind, bereits erfüllt werden. Der Volksbund pflegt zur Zeit 827 solcher von ihm angelegten Friedhöfe mit etwa zwei Millionen Kriegsgräbern. Wer einmal einen deutschen Soldatenfriedhof besucht hat, wird bestätigen, daß der Volksbund diese Seite seiner Arbeit vorbildlich erfüllt. Auch in der Bundesrepublik gibt es in dieser Beziehung keinerlei Grund zur Beanstandung, wenn auch die Art, in der der Volksbund öffentlich seine Tätigkeit begründet, etwa in manchen Veröffentlichungen, Reden und in der Gestaltung der Volkstrauertage, nicht von allen gut geheißen wird. (Manche meinen, daß sich die allein für die Pflege von Soldatengräbern gegründete Organisation darauf beschränken und sich fern halten sollte von allen Ausflügen in die Politische Korrektheit.)
Die DDR hat sich um die gefallenen Deutschen kaum gekümmert, während um tote Sowjetarmisten ein riesiger Pomp entfaltet wurde. Hier gab es nach der Wiedervereinigung für den Volksbund ein großes Betätigungsfeld. Aber immer noch ist die Bergung deutscher Toter im Gebiet zwischen Elbe und Oder nicht abgeschlossen, was zum Teil auch daran liegt - wie zum Beispiel im Gebiet von Halbe -, daß die offenbar immer noch von alten Seilschaften durchsetzten öffentlichen Institutionen die Bergung erschweren.
Seit der Wende aber geht die Bergung und würdige Bestattung unserer Toten auch im Osten trotz mancher Schwierigkeiten zügig voran, vorbildlich in den baltischen Staaten, zunehmend auch in Polen, der Ukraine und Rußland, seit kurzem in Weißrußland und auch auf dem Balkan.
Schwierigkeiten bereitet aber immer noch die Tschechische Republik. So ist es bis heute nicht gelungen - was im Verkehr mit anderen Ländern selbstverständlich war -, mit der Tschechei ein Kriegsgräberabkommen zu schließen. Ungeachtet dessen hat zwar der Volksbund zehn Friedhöfe bereits anlegen und ausbauen können, doch fehlt die Anlage eines Sammelfriedhofs in Prag. Hier schien bereits alles unter Dach und Fach zu sein: Es war der verfallene deutsche evangelische Friedhof angeboten und vom Volksbund akzeptiert worden. Dann aber verlangten die Tschechen extrem hohe Preise für den angeblichen Denkmalschutz des alten Friedhofes. Das hätte bedeutete, daß der Volksbund allein für diesen Friedhof über 2,5 Millionen Euro hätte aufbringen müssen, einen Betrag, den der private Verein nicht zahlen kann.
Er wandte sich an die Bundesregierung um Hilfe, doch die zuckte mit den Schultern. Nun sucht der Volksbund seit Jahren in der Tschechischen Republik einen geeigneten Platz für den Sammelfriedhof bei Prag, hatte aber schon die Gebeine der verstreut begrabenen deutschen Toten geborgen, weil man davon ausgehen konnte, sie bald auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof beerdigen zu können. Daher mußte man sie in dem ehemaligen Fabrikgebäude in Aussig aufbewahren. Das ist der Tatbestand, auf den die "Bild"-Zeitung jetzt von tschechischer Seite aufmerksam gemacht wurde.
Gefragt, warum sie denn diese 4000 Gefallenen nicht auf den bereits eingerichteten zehn Friedhöfen auf tschechischem Boden begraben haben, erfährt man, daß diese Friedhöfe entweder voll belegt sind oder daß die tschechischen Kommunen sich weigerten, weitere Zubettungen zu gestatten.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat im vergangenen Jahr 2005 für die Fürsorge für Ruhestätten deutscher Gefallener 20600000 Euro ausgegeben. Für Wahrung und Pflege des Gedenkens wurden weitere zwölf Millionen aufgewendet. Hinzu kommen für die umfangreichen Arbeiten des Verbandes 6,5 Millionen. Insgesamt gab der Volksbund für seine lobenswerten Arbeiten über 39 Millionen Euro aus. Wenn man sich dann erkundigt, wieviel davon die Bundesrepublik Deutschland beitrug, dann erfährt man, daß es sich dabei um ganze 3,57 Millionen Euro handelt. Der Bund gibt also sage und schreibe nicht mehr als neun Prozent der Kosten für die Bergung gefallener Soldaten und die Pflege der Grabstätten aus. Damit steht er unter allen Staaten, die am Zweiten Weltkrieg beteiligt waren, an schäbigster Stelle, denn überall sonst ist die Pflege von Kriegsgräberstätten Aufgabe der Regierungen. Nur in Deutschland überläßt man es einem privaten Verein und kann sich nur wenige Prozent der Kosten abringen!
Wenn man dann noch erfährt, daß die Bundesrepublik pro Jahr Millionen Euro ausgibt, um die Denkmäler, die Stalins Armeen auf deutschem Boden hinterlassen haben, zu erhalten und zu pflegen, dann fragt man sich, wessen Interessen die Bundesregierung vorrangig vertritt.
Das Problem um die 4000 Gebeine deutscher Gefallener in der Tschechei wäre längst gelöst, wenn entweder die Bundesrepublik den politischen Einfluß Deutschlands gegenüber der tschechischen Regierung geltend gemacht hätte oder wenn sie dem Volksbund einen erheblich größeren Zuschuß gewährte.
Umbettung: Die Gebeine von Aussig sind zwar geborgen, doch es fehlt das Geld für einen zentralen Gedenkplatz bei Prag. |
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