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Wer die Pflicht zur Integration nicht erfüllt, muß auch mit Sanktionen rechnen.“ Auch wenn der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber zu jenen gehört, die sich am intensivsten zum Thema Integration von Ausländern in die Diskussion einbringen, so haben inzwischen durchaus auch andere Politiker das Thema erkannt. Vor allem in den letzten Monaten ist deutlich geworden, daß es so nicht weitergehen kann. Vorfälle wie die an der Berliner Rütli-Schule offenbaren die Folgen der über Jahrzehnte von Politik und Gesellschaft tolerierten Parallelgesellschaften im Land. Hier ist es Pflicht der Politik, endlich zu handeln und Richtlinien festzulegen, sonst kommt es zur Katastrophe. Wer in Deutschland wohnen will, muß sich mit der dort lebenden Gesellschaft auseinandersetzen und sich ihr anpassen. Damit dies geschieht, werden zwar immer große Forderungen gestellt und Wünsche geäußert, doch was wird derzeit eigentlich getan, um jene Menschen, die sich entschieden haben, dauerhaft in Deutschland zu leben, mit diesem Land vertraut zu machen?
Neben 600 Stunden Deutschunterricht, zu dem Zuwanderer seit 2005 per Gesetz verpflichtet sind, gibt es auch einen 30stündigen Orientierungskurs. In dem sollen laut „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF) neben Alltagswissen auch „Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands“ vermittelt werden. Hier hat das BAMF Richtlinien erarbeitet, die es an die Schulbuchverlage weitergeleitet hat, die wiederum daraus Lehrmaterial erstellen sollten.
Doch was gut gemeint ist, wird gleich diffamiert. „Die Lehrbücher für die Integrationskurse machen Migranten eher mit kulturellen Vorurteilen vertraut als mit dem Alltagsleben in Deutschland“, klagt die linke „taz“. Ein Blick in „30 Stunden Deutschland“ vom Klett-Verlag und „Zur Orientierung – Deutschland in 30 Stunden“ vom Hueber-Verlag offenbart allerdings, daß schon wieder einmal irgendwo Verschwörungen vermutet werden, wo keine sind. So wird kritisiert, daß eigentlich selbstverständliche Dinge wie „Nicht auf die Straße spucken“, Pünktlichkeit und „Kinder nicht schlagen“ vermittelt werden. In einer Bildergeschichte macht die Figur Jacek lauter Fehler: Sie wirft eine Banane in den Papiermüll, kommt zu spät, versucht einen Beamten mit Pralinen zu bestechen und stellt sein Fahrrad falsch ab. Tatsächlich simplifiziert dieser Komik ziemlich und ist auch klischeehaft. In Deutschland muß man den Müll trennen und pünktlich sein, so die Aussage. Betrachtet man allerdings diesen Ratschlag im Kontext des Buches, so fällt auf, daß den Machern gar nichts anderes bleibt, als auch mit Klischees zu arbeiten. Die Übungshefte sind für Migranten, die nur mäßig die deutsche Sprache beherrschen und häufig aus einem anderen Kulturkreis stammen. In den Kursen sind Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Herkunftsgebieten zusammengewürfelt. Das müssen die Verlage bedenken, die immer wieder darauf hinweisen, daß man im Gruppengespräch das Erlernte mit seiner Heimat vergleichen soll.
Schwerpunktmäßig wird den Zuwanderern nur ein für ihr Alltagsleben wichtiger Überblick über Deutschland vermittelt. Was will man in 30 Stunden auch mehr machen? Wie viele Bundesländer hat Deutschland, was für ein Schulsystem, welche Parteien gibt es, welche Behörden sind wofür da, Religionszugehörigkeiten, welche zwischenmenschliche Lebensformen gibt es, wer waren Goethe und Schiller; das war es fast schon. „1914: Der Thronfolger von Österreich wird in Sarajewo ermordet. Die beiden Partner Österreich und Deutschland beginnen den Krieg. Zum ersten Mal wird im Krieg mit Gas gekämpft. Ein Krieg mit allen Mitteln: Zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Auch Zivilisten müssen in den Krieg ziehen. Immer mehr Länder machten beim Krieg mit. 1917 war fast die ganze Welt im Kampf.“ So sieht der Erste Weltkrieg für Lernende mit dem Klett-Buch aus. Die Sprache verdeutlicht schon, auf welch einfachem Niveau das Lehrbuch gehalten ist – wobei mancher Absolvent des Kurses am Ende in vielen Dingen möglicherweise mehr weiß als ein pisa-geschädigter deutscher Schüler.
Die „taz“ kritisierte übrigens beim Hueber-Verlag, daß er erst bei der Gründung der Bundesrepublik anfängt (inzwischen überarbeitet). Grund: Nationalsozialismus und Holocaust kommen nicht vor. Ein anderes Werk würde sogar falsche Opfer zeigen: gefallene deutsche Soldaten, deutsche Kriegsgefangene und deutsche Trümmerfrauen.
Ein abschließender Blick in die Bücher zeigt, daß die Verlage souverän in kurzen Hauptsätzen mit vielen bunten Bildern und Übungsaufgaben Themen wie Grundgesetz, Staatsaufbau und Wahlen vermitteln, dort aber, wo sich die Deutschen selber nicht ganz sicher sind, wie bei Religion, Werten und Geschichte, werden sie schwammig oder gehen zu sehr ins Klischee – doch das ist keine Schuld der Verlage, denn die bilden nur die Gesellschaft ab.
Der Integrationskurs
Seit dem 1. Januar 2005 müssen Ausländer ohne ausreichende Deutschkenntnisse einen Integrationskurs besuchen. In gut 600 Unterrichtstunden (je nach Vorwissen, da die Klientel von der kurdischen Analphabetin bis zum russischen Arzt reichen) lernen sie die deutsche Sprache so weit, daß sie sich selbständig in Wort und Schrift auf mittlerem Niveau verständigen können. Laut „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF) waren Anfang 2005 rund 215000 Personen für den Kurs eingeplant. Gut 170000 sollen ihn inzwischen absolviert haben, wobei immer wieder neue zu Schulende hinzukommen. Zusätzlich gibt es einen 30stündigen Orientierungskurs über das Alltagsleben in Deutschland, in denen „Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands“ vermittelt werden. Die Kurse werden flächendeckend von 1700 teils öffentlichen (wie Volkshochschulen), teils privaten Trägern angeboten. Im Unterricht wird mit Lehrmaterialen gearbeitet, die nach Richtlinien des BAMF erarbeitet sind und verschiedene Schwierigkeitsgrade aufweisen. Der Bund zahlt 2,05 Euro pro Unterrichtsstunde, von denen der Kursteilnehmer wenn möglich, 1 Euro dazugeben muß. |
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