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Innerhalb eines Jahres hätten die Königsberger Schüler 500 000 Mannschaftskilometer gerudert und damit die Hälfte der Ruderleistungen der gesamten Provinz erbracht, schrieb um 1938 die "Königsberger Allgemeine Zeitung". Nun, ich glaube, mich täuscht die Erinnerung an diese Meldung nicht, Kenner mögen darüber nachsinnen.
Der Rudersport-Almanach 1939 gab für Ostdeutschland 33 Rudervereine mit 3742 Mitgliedern an, allein für Königsberg sieben mit 1087 Ruderinnen und Ruderern. Außer diesen Vereinen bestanden noch die Reichsbahnsportgemeinschaft sowie die Schülerrudervereine; letztere umfaßten gewiß mehrere hundert Ruderbegeisterte. Der Jüdische Ruderverein, mit zuletzt 35 Mitgliedern, bestand bis 1938. Seine Boote soll er auf den Haffinseln demoliert haben, einer der kleineren Vereine holte sie sich und arbeitete sie wieder auf.
In unserer Stadt verfügten außer der Oberschule in Metgethen alle höheren und wohl auch Mittelschulen über Ruderriegen, auch die Mädchengewerbeschule wurde genannt. Das wären zusammen 26, wonach von der oben angegebenen Strecke in jeder Ruderregatta im Durchschnitt gut 19 000 Mannschaftskilometer zurückgelegt worden wären, jedenfalls eine im Bereich der Möglichkeit liegende Zahl. Die Regatta meiner zahlenmäßig kleineren Schule erbrachte im Jahr 1937/38 zwischen 17 000 und 18 000 km.
Am 5. August 1903 wurde der Primaner-Ruderverein des Friedrichskollegiums gegründet; 1904 soll der Schülerruderverein von Wilhelmsgymnasium, Kneiphöfschem Gymnasium, Löbenichtschem Realgymnasium und der Oberrealschule auf der Burg gegründet worden sein. Als letzte Riege entstand dann um 1938 die des Hufenlyzeums, die sich sogleich kräftig entwickelte.
Den Angelpunkt der Schülerruderei stellte die Bastion Litauen dar mit den dort angesiedelten und 11 Riegen der höheren Schulen umfassenden beiden Schülerrudervereinen und denjenigen beim ARV Alania. Ich meinte 1938, es handele sich um städtische Einrichtungen, weil die Bastion Litauen, zu der die beiden Bootshäuser gehörten, Eigentum der Stadt war und diese die Baulichkeiten zur Verfügung stellte. Spiritus rector war der sehr tatkräftige Mittelschullehrer Paul Budnick, wenn auch nicht immer zur Freude aller. Gleichwohl steht sein immenser und erfolgreicher Einsatz außer jedem Zweifel. Ganze "Generationen" hat er ausgebildet und sich auch in allen anderen Sparten außerordentlich tatkräftig und erfolgreich für seinen/unseren Sport eingesetzt.
Die rechtliche Ausgestaltung der Riegen der einzelnen Schulen wechselte. War alles zusammen anfangs wohl vereinsähnlich, traten später politische Einflüsse hinzu, die daraus Rudersportliche Arbeitsgemeinschaften werden ließen, von denen gewiß auch die beiden Dachvereine beeinflußt wurden. Als während des Krieges die Hitlerjugend versucht haben soll, sich der Boote der Riegen zu bemächtigen oder die Riegen verboten wurden, zogen sie unter die Obhut der Rudervereine. Nur die Riege der Königin-Luise-Schule gründete einen eigenen Verein, die "Rudergemeinschaft 1942". Gleichwie verblieben wohl alle Boote an der Bastion Litauen. Welche Folgen diese Entwicklung noch hatte und ob es noch andere Gründe für die Veränderungen gab, muß dahingestellt bleiben.
Ein vielgestaltiges Bild boten diese Gemeinschaften. Beide Schülerrudervereine führten ihre besonderen Embleme, die Schülerinnen eine weiße "Flagge" mit blauem senkrechtem Mittelstrich, rechts davon drei blaue Wellenlinien und links die Buchstaben K. Sch. R. V., die Schüler eine weiße "Flagge" mit dem dreifachen schwarz-weißen Balkenkreuz. Diese Farben sah man auf den Ruderblättern der Vereinsboote in Form von Schrägstreifen, während die riegeneigenen Boote auf die gleiche Art die Schulfarben zeigten.
An der Bastion Litauen lagen vier von dem dort wohnenden Bootsmeister, Herrn Klein, betreute Bootshäuser, und zwar von West nach Ost diejenigen des Hochschulinstituts für Leibesübungen (1932 erbaut), des Schülerinnenrudervereins, des ARV Alania und, jenseits des Wallgrabens, das des Schülerrudervereins. Nur das letzte war ein eigenständiges Gebäude nebst der an der Ostseite angebauten Werkstatt, die Räume der anderen (mit je zwei Hallen) ragten in das Untergeschoß des Bastionsgebäudes hinein. Das Schülerbootshaus brannte um 1924 ab, für den Neubau fand eine Sammlung statt. Dr. Gause meint, die uns bekannte Anlage sei 1931 zeitgleich mit dem Bau des Schwimmstadions am Kupferteich entstanden. Die Umkleideräume der Schüler befanden sich in dem Rundbau der Bastion, deren nach außen drei Meter dicke Wände so hart waren, daß sich nicht einmal in die Fugen ein Nagel einschlagen ließ. Von dort führte ein schmaler Tunnel zu einer stählernen, gewendelten Treppe, an die sich eine einige Meter lange Brücke über den Wallgraben anschloß.
Das Bootshaus des Schülerrudervereins, eine Holzkonstruktion auf massivem Fundament, war das bei weitem größte; in drei geräumigen Hallen wies es 32 Plätze für Mannschaftsboote auf. Untergebracht waren hier teils die sogenannten Vereinsboote, die jeder Schule alle an einem festgelegten Wochentag zur Verfügung standen, und im übrigen die den Riegen gehörigen, die im wesentlichen von den Elternvereinen finanziert worden waren. An Vereinsbooten waren vorhanden: 2 Gig-Achter ("Tannenberg" <vermutlich 1927 angeschafft>, "Hindenburg" oder "Ludendorff"), 1 Gig-Sechser ("Professor Joachim"), 3 Vierer ("Dennoch", "Königsberg", "Heimatbund Ostdeutschland"), 2 Klinkerskiffs ("Stürmer" und ?); außerdem gab es die von allen Riegen an der Bastion benutzte "Arche", vermutlich städtisches Eigentum, ein prahmähnliches Schulboot zum Riemen und Skullen, das im Wasser blieb, sowie an Booten der Riegen 1 Gig-Achter, 16 Vierer, 8 Zweier, 1 Renngigvierer (soweit nichts anderes angeführt Gigriemenvierer A und Gigdoppelzweier m. St. A).
Der reichliche Bestand an Vereinsbooten ermöglichte jedenfalls meiner Schule 1938 für die Obertertia anstatt Spielturnerns Rudern anzusetzen, für das die Grundlage während des vorangegangenen Winters im Ruderbecken des KRC gelegt worden war. Die Schülerinnen verfügten über wenigstens 13 Riegenboote, dazu vielleicht über ein oder zwei dem Verein gehörige Klinker-Skiffs.
Zumindest bis zum Sommer 1939 war das meist jüngere Bootsmaterial dank der unermüdlichen Arbeit des vielfältig geplagten Bootsmeisters Klein (nebst Familie) und seiner Helferin, Frl. Krause, in allerbestem Zustand. Nur die dem Verein gehörenden Vierer und der auslegerlose Sechser mit verschränkten Sitzen waren älter, recht schwer aus Eichenholz und von der Werft der Unionsgießerei vermutlich bald nach dem Brand erbaut worden.
Ordnung und Sauberkeit waren mustergültig, wie wohl auch in den anderen drei Unterkünften. Nachteilig war das leichte Pappdach, das sommers große Hitze zuließ, wodurch häufig Risse in den Booten entstanden (die zunächst mit Leukoplast überklebt wurden), wie ich es in anderen Bootshäusern nie bemerkt habe. Bootsplatz, Stege und Floß waren großzügig angelegt; eine Saug/Druckpumpe ermöglichte die Reinigung der Boote. Der lebhafte Ruderbetrieb spielte sich gewöhnlich nachmittags ab.
Der alltägliche Ruderverkehr vollzog sich auf einer Strecke von rund 20 Kilometern zwischen Arnau und Holstein, wo ab Klein Friedrichsberg die Regattastrecke lag. Wie viele Erinnerungen hängen doch, nicht nur für Wassersportler, an Arnau, diesem einstmals so idyllischen Ort mit zwei Gastwirtschaften am Wasser und seiner sehenswerten Ordenskirche. Von Arnau konnte man durch das "Mägdeloch" in den Alten Pregel gelangen, dessen im Gegensatz zu seinem nördlichen Bruder kristallklares Wasser die genaue Betrachtung der Wasserpflanzen bis auf den Grund ermöglichte. Etwas flußabwärts gab es für Wassersportler wohl eine kleine Gaststätte mit Steg und etwas weiter die Schanze von Jerusalem. Wer nicht an den vielen Flößen der holzverarbeitenden Betriebe und durch die Stadt zurück wollte, hatte die Möglichkeit, einen kürzeren Weg etwas mühselig durch den Pfingstgraben zu wählen. Dieser, hieß es, habe seinen Namen, weil er nach Pfingsten wegen starker Verkrautung nicht mehr passierbar sei.
Flußabwärts der Schülerbootshäuser gab es bis zu dem Engpaß in Höhe etwa von "Gebrüder Siebert" keine Probleme. Dort allerdings zwischen den Dalben bei nur etwa 20 Metern Fahrwasser für die Berufsschiffahrt konnte es höchst ungemütlich sein, wenn gerade ein großes Seeschiff mit Schleppern vorn und hinten passierte. Auch unterhalb des Zusammenflusses der Flußarme war wegen des Verkehrs zahlreicher Barkassen und Schlepper mit beachtlichen Wellen bis etwa zum Hafenbecken IV Vorsicht geboten.
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