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In den letzten Wochen häufen sich Meldungen, nach denen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Antisemitismus virulent werde. So konnte man soeben in der Frankfurter Rundschau lesen von einem jüngst erschienenen Buch des kanadisch-britischen Philosophen Ted Honderich (nach Jürgen Habermas ein "alter Sozialdemokrat") mit dem Titel "Nach dem Terror. Ein Traktat". Der pensionierte Philosoph hat an verschiedenen Universitäten in Großbritannien und den USA gelehrt. Jetzt hat er, wie man der Auseinandersetzung entnehmen kann, ein "hemdsärmeliges Pamphlet" über die Frage verfaßt, wie sich gutes von schlechtem Leben unterscheidet. Dabei habe das Attentat vom 11. September 2001 eine besondere Bedeutung. Indem er darauf eingeht, kommt der Philosoph Honderich auf den Palästina-Krieg zu sprechen.
Was den Direktor des "Fritz-Bauer-Instituts zur Geschichte des Holocaust", Micha Brumlik, zur Empörung treibt, sind die kritischen Anmerkungen des britischen Autors zu den militärischen Maßnahmen des Staates Israel und zum Zionismus allgemein. Diese "Auslassungen", so Brumlik, überträfen bei weitem alles, "was der inzwischen zu Tode gekommene Jürgen Möllemann von sich gegeben hat." So habe Honderich gemeint und sich damit der Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen angeschlossen, daß "der Zionismus von den UN zu Recht als rassistisch verurteilt worden" sei. Tatsächlich hat die Uno eine solche Erklärung mit Mehrheit beschlossen. Honderich spricht auch Palästinensern "das moralische Recht" zu, mit terroristischen Aktionen gegen die Politik in Palästina vorzugehen. Darin sieht Brumlik den Ansatz zu einem neuen Auschwitz und verlangt daher, der Suhrkamp-Verlag habe "das Buch von Ted Honderich unverzüglich vom Markt zu nehmen." Erschwerend kommt für ihn dazu, daß dieses, wie er meint, antisemitische Buch im selben Verlag herauskommt, das im vorigen Jahr "mit Martin Walsers ,Tod eines Kritikers einen antisemitischen Roman publiziert hat". Walser hatte seinerzeit einen satirischen Roman geschrieben um einen sich allmächtig dünkenden Literaturkritiker, in dem viele Marcel Reich-Ranicki wiedererkannt zu haben glaubten.
Pikant an der Geschichte: Das Honderich-Buch war dem Suhrkamp-Verlag von Prof. Dr. Jürgen Habermas warm empfohlen worden, dem Urheber des Historiker-Streits, gelegentlich auch wohl "Staatsphilosoph der BRD" genannt, der sich jetzt in einer gewundenen Erklärung exkulpiert und beteuert, es tue ihm leid, die gebotene Rücksichtnahme versäumt zu haben.
Nach Brumliks Attacke erklärte der Suhrkamp-Verlag flugs, er ziehe das Buch zurück. Man habe gar nicht bemerkt, daß es antisemitisch sei, so etwa die Erklärung.
Wenige Tage vorher erfuhr man von einem heftigen Angriff gegen einen Film, mit dem Vorwurf, er sei antisemitisch. Es geht dabei um den bereits in der englischsprachigen Welt aufgeführten Film "The Passion" über die Leidensgeschichte Christi. Der Film wurde produziert von dem mehrfachen Oscar-Preisträger Mel Gibson und stellt den Weg zur Kreuzigung Jesu Christi dar. Gibsons Quelle ist verständlicherweise die Bibel, und hier sind es speziell die Berichte der Evangelisten über Christi Kreuzestod. Ob Matthäus oder Markus, ob Lukas oder Johannes - sie alle berichten, Juden hätten Christus gefangen genommen, da er behauptet hatte, der Juden König zu sein, ihn zum Hohepriester Kaiphas geführt, der dann gemeinsam mit Schriftgelehrten und Ältesten den Gefangenen zum römischen Statthalter Pontius Pilatus brachte und von ihm verlangte, Christus solle hingerichtet werden. Der Römer, dem an einer Verurteilung nichts lag, fragte das Volk, das, wie in der Bibel zu lesen, lautstark forderte: "Kreuzige ihn!" Pilatus wusch seine Hände in Unschuld und ließ Christus hinrichten.
Diese Darstellung in dem Film aber, so eine militante jüdische Organisation mit dem Namen Anti-Defamation League, wärme die alten Juden-Stereotypen der Passionsspiele auf, die schon auf Hitlers Vernichtungspolitik vorausdeuteten, wie die FAZ berichtete. Daher sei der Film antisemitisch.
Das Vorkommnis erinnert an die wilde Attacke eines Heinz-Klaus Metzger in der Frankfurter Allgemeinen vom 27. März 1997 gegen zwei der größten Werke deutscher Musik, nämlich gegen die Matthäus-Passion und die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach. Er beschimpft sie als antisemitisch, weil die Texte sich auf die Berichte der Evangelisten bezogen, nach denen Juden von Pilatus die Hinrichtung Christi forderten, der allerdings selbst Jude war. Als besonders niederträchtig bezeichnete Metzger Bachs Verwendung des Zitats aus dem Matthäus-Evangelium, die Juden hätten, als Pilatus zögerte, Christus zum Tode zu verurteilen, gerufen: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!" So sei Bach ein "gewaltiger Gestalter Lutherischer Judenpolemik" gewesen, und dieser Luther wiederum habe "erschreckend das nationalsozialistische Judenvernichtungsprogramm vorweggenommen".
Ein kanadisch-britischer Philosoph ein Antisemit? Ein US-amerikanischer Oscar-Preisträger ein Antisemit? Ein ehemaliger Bundesminister ein Antisemit? Die Kritiker von Michel Friedman Antisemiten? Johann Sebastian Bach ein Antisemit? Und gar der Staatsphilosoph der BRD ein solcher? Der Beobachter wundert sich. Dr. Hübner |
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