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Jetzt auch noch der Papst: Für Spaniens Ministerpräsident José Maria Aznar kommt es derzeit knüppeldick. Empört waren seine Landsleute schon wegen seines ignoranten Verhaltens während der Tankerkatastrophe der "Prestige" vor der galizischen Küste. Dann folgte der Irak-Krieg : In kaum einem europäischen Land wandte sich eine derart deutliche Mehrheit des Volkes so scharf gegen den US-Angriff wie in Spanien. Über 90 Prozent lehnen nach Umfragen die Intervention der US-Amerikaner und Briten ab. Aznar hingegen unterstützte die Politik von George Bush bedingungslos.
Alles wäre nicht so schlimm für den als eitel verrufenen Regierungschef, hinge da nicht ein Datum über ihm wie ein Damokles-Schwert: Am 25. Mai werden in ganz Spanien die Regional- und Kommunalparlamente neu gewählt. Da konnte der Besuch des Papstes, eines erklärten Gegners des Irak-Kriegs, in dem tief-katholischen Land für Aznar kaum ungelegener kommen.
Es gibt bereits böse Vorzeichen: Englands Tony Blair wurde gerade von seinem Volk bei Wahlen der unteren Ebene abgestraft. Auslöser war auch hier der Unmut über die Irak-Politik. Seine Labour-Partei erlitt die schlimmste Niederlage seit dem Beginn der Ära Thatcher vor 24 Jahren. Kollege Aznar schwant: Am 25. Mai geht es um seine politische Zukunft - und um das Schicksal seiner regierenden konservativen "Volkspartei" (Partido Popular, kurz: PP). Um ein Desaster abzuwenden, hat der Premier am vergangenen Donnerstag einen Wahlkampfmarathon gestartet, der ihn in nur 14 Tagen zu 22 Großveranstaltungen in ebenso viele Großstädte führen wird.
Selbst unter den PP-Anhängern konnte der Regierungschef nur eine Minderheit hinter seinen Irak-Kurs bringen. Schon während des Krieges hofften die PP-Strategen daher, daß die Kampfhandlungen "wenigstens fünf Wochen" vor dem Urnengang beendet sein würden, um noch etwas Zeit zu haben, den Rückhalt der Bürger wiederzugewinnen.
Jetzt wird sich Mut gemacht. Einer spanischen Zeitung sagte ein führender PP-Politiker, die eigenen Anhänger seien gar nicht verloren, sondern nur "verdeckt unter dem Tisch" gewesen aufgrund der starken Anti-Kriegs-Stimmung im Lande. Am 25. Mai, so verbreitet das PP-Hauptquartier, kämen sie alle zurück. Bei den vergangenen Regional- und Kommunalwahlen 1999 lagen PP und Sozialisten mit jeweils rund 34 Prozent nahezu gleichauf.
Die Frage, die viele Spanier in die Verzweiflung treibt, lautet: Warum hat uns Aznar in diese Koalition mit Bush und Blair getrieben, die wir nicht wollten? Manche vermuten, ein Attentat der baskischen Terrorgruppe Eta vor zwei Jahren auf Aznar habe den Premier derart aufgewühlt, daß schon die bloße Behauptung, vom Irak gehe eine "terroristische Gefahr" aus, gleichsam hypnotisch gewirkt haben könnte. Eine weitere, auch in Berlin gehandelte Theorie meint hingegen, daß der prestigebewußte Aznar sich an den "großen" EU-Mächten Deutschland und Frankreich rächen wollte für deren Dominanz und deren Sonderverhältnis sowie den Eindruck, die beiden Schwergewichte maßten sich immer mal wieder an, für ganz Europa zu sprechen, ohne Madrid zu fragen.
Sollte dies wirklich sein Motiv gewesen sein? Dann hätte Aznar, ganz auf europäische Eifersüchteleien fixiert, einen Aspekt der spanischen Außenpolitik übersehen, dem auf der iberischen Halbinsel mindestens soviel Bedeutung beigemessen wird wie den Beziehungen zu den EU-Partnern und den USA: Die besonderen Bande Madrids zu den spanischsprachigen Ländern Lateinamerikas. Über Jahrzehnte zählten einige dieser Nationen zu den reichsten der Welt. Spanien war vergleichsweise ein armer Schlucker. Dieses Verhältnis hat sich durch den parallelen Niedergang der meisten hispano-amerikanischen Volkswirtschaften und den steilen Aufstieg Spaniens - besonders seit dem EU-Beitritt 1986 - praktisch umgekehrt. Seit über einem Jahrzehnt sind nun die ehemaligen spanischen Kolonien und das Mutterland bemüht, ihre Beziehungen wieder enger zu knüpfen. Die jährlich wiederkehrenden "Ibero-amerikanischen Gipfel" (unter Einschluß Portugals und Brasiliens) sind manifester Ausdruck dieses Bestrebens.
Die Hispano-Amerikaner versprechen sich über Spanien auch eine engere Anbindung an die EU. All dies geschieht vor dem Hintergrund, daß die "Latinos" den massiven Einfluß der USA auf ihre Region als historisch verhängnisvollen Albdruck erfahren. Die Washingtoner Politik, die des öfteren auch die Mittel der militärischen Intervention oder des gesteuerten Umsturzes nicht scheute, machen sie mitverantwortlich für den fatalen Niedergang ihrer einst stolzen Länder. Die Annäherung an Spanien und ergo die EU sollte die Unentrinnbarkeit der US-amerikanischen Vorherrschaft eindämmen, wenn schon nicht aufheben.
Washingtons direkte Eingriffe in anderen Teilen der Welt, wie jetzt im Irak, quittieren die Latinos nach den eigenen Erfahrungen mit schroffer Ablehnung. Mexiko und Chile, wie Deutschland befristet Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, stellten sich, so gut sie konnten, gegen die US-Position. Washington reagierte, wie man es südlich des Rio Grande, der mexikanisch-nordamerikanischen Gren- ze, von den "Gringos" (Schimpfwort für US-Amerikaner) erwartet hatte: erst mit Überredungsversuchen, dann mit heftigem Druck samt Drohungen.
Von Spanien hätten sich die Lateinamerikaner in dieser prekären Lage Unterstützung erhofft. Statt dessen stellte sich Madrid auf die Seite der USA. Ein Schock. Aznar verschlimmerte die Lage noch durch einen Besuch in Mexiko-Stadt, wo er den mexikanischen Präsidenten Fox allen Ernstes auf die US-Seite ziehen wollte. Dieser demonstrierte, wie die spanischen Medien später berichteten, bis hin zur Kleidung (Aznar kam im dunklen Anzug, Mexikos Staatschef stellte sich im Trainingsanzug daneben) seine Verärgerung und Distanz. Mexikanische Zeitungen schäumten, Aznar solle seine billigen Geschenke wieder mitnehmen und sich zu seinem Freund nach Washington scheren.
Washington? Es sollte schlimmer kommen. Aznar traf sich tags darauf mit Bush in Texas. Selbst der Lateinamerika-Experte des Madrider "Elcano"-Instituts für Internationale Politik, Carlos Malamud, bezeichnete diesen Fehltritt seines Premiers in einer relativ wohlwollenden Analyse von Aznars Politik als "reichlich" (El País vom 26. April). Texas, so gibt Malamud zu bedenken, sei schließlich einmal eine Provinz Mexikos gewesen (knapp bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts). Der Besuch dort müsse als besondere Kränkung aufgefaßt worden sein. Der Anti-Nordamerikanismus der Hispano-Amerikaner sei, so der Experte weiter, "mit Worten nicht zu fassen". Die- se Ablehnung treffe nun auch Spanien.
Hat Aznars kühnes Spiel Spanien in die Sackgasse geführt? Was als Weg zu neuer Weltgeltung gedacht war, droht als diplomatischer Scherbenhaufen zu enden. Madrids Ziel war es, als (Halb-)Schwergewicht in der EU zur europäischen Macht höheren Ranges aufzusteigen und gleichzeitig als neu erblühtes "Mutterland" über den Atlantik hinweg Weltpolitik zu betreiben - vielleicht ein bißchen so wie die Franzosen in Schwarzafrika und der Arabischen Welt. Jetzt sieht man sich in Europa an der Seite britischer Abweichler, eines windigen Berlusconi und einer Reihe opportunistischer Osteuropäer - der Kern der EU um Deutschland und Frankreich hingegen ist auf Spanien derzeit nicht gut zu sprechen. Bei den alten Brüdern südwestlich des Atlantiks wiederum herrscht blanke Wut.
Lateinamerika-Spezialist Carlos Malamud schlägt nun vor, das Beste daraus zu machen und sich als "Brückenbauer" zwischen Europa, Nordamerika und Lateinamerika eine neue Rolle zu verschaffen. Es klingt wie das Pfeifen im Walde, nachdem man sich gründlich verrannt hat: Wie soll Spanien die alten, abgrundtiefen Gräben zwischen den USA und den Hispano-Amerikanern überbrücken - ausgerechnet jetzt, da es in den Augen der Süd- und Mittelamerikaner angesichts der jüngsten Nagelprobe des "ibero-amerikanischen" Bündnisses versagt, ja Verrat begangen hat? Auf der anderen Seite: Warum sollten Berlin oder Paris einen Neuanfang im Verhältnis zu den USA über das "treulose" Madrid suchen?
Malamud hofft darauf, daß aus der Entfremdung zwischen seinem Land und Lateinamerika wenigstens keine Hinwendung dieser Region zu Frankreich und Deutschland - an Spanien vorbei - erwächst. Da gibt er sich zuversichtlich: Schließlich sei es Frankreich, das mit seinem Bestehen auf dem EU-Agrar-Protektionismus Mittel- und Südamerika schädige. Hier unterschlägt der Madrider Stratege indes, daß Spanien im Agrar-Dauerklinsch ganz ähnliche Interessen verfolgt wie Frankreich, während es die Deutschen waren, die sich erst unlängst für das Offenhalten des EU-Marktes für lateinamerikanische Erzeugnisse (siehe "Bananenstreit") starkgemacht hatten.
In der spanischen Presse wurde bereits kurz vor Ostern von PP-internen Diskussionen über eine mögliche Ablösung von Ministerpräsident Aznar berichtet. Der Premier habe sogar bedeutet, er wolle im Falle eines Wahldebakels "die volle Verantwortung übernehmen". Also Rücktritt? Dann wäre dies der erste Fall, daß ein Regierungschef wegen seiner Unterstützung für George Bush untergegangen ist. Keine gute Nachricht für Washingtons übrige Golfkriegs-Alliierte.
Der Besuch des Papstes, eines erklärten Irak-Krieg-Gegners, konnte kaum ungelegener kommen: Spaniens Premier José María Aznar begrüßte Johannis Paul II. in Madrid mit dem traditionellen Handkuß. |
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