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Vom 20. November an wird Prof. Guido Knopp seine neueste Geschichtsreihe zur besten Sendezeit (20.15 Uhr) im ZDF präsentieren. Diesmal hat er sich des Schicksals der Vertriebenen angenommen. „Die große Flucht“ heißt die Reihe und bringt das Thema der Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten während und nach dem Zweiten Weltkrieg der breiten Öffentlichkeit generationsübergreifend näher.
Natürlich gibt es auch zu dieser Reihe wieder ein Buch, und böse Zungen mögen vielleicht behaupten, Knopp nutze eben jede sich bietende Möglichkeit zur kommerziellen Ausbeutung der Geschichte. Selbst wenn dem so wäre, so würde das auch nichts am hohen Wert der Sendereihe und des dazugehörigen Buches ändern.
Nimmt man den Band in die Hand, fällt erst einmal ganz banal das Gewicht auf, was daran liegt, daß dieses Werk auf qualitativ hochwertigem (und entsprechend schwerem) Papier gedruckt ist. Dies hebt wiederum die vielen eindrucksvollen Fotos zusätzlich hervor. Immer wieder blickt man in ausgemergelte, vom Schicksal gezeichnete, in sich gekehrte Gesichter von Menschen in extremen Situationen; dem Leser wird ein tiefer Eindruck vom damaligem grausigen Geschehen vermittelt.
„Der große Treck“, „Der Untergang der Gustloff“, „Die Festung Breslau“, „Die verlorenen Kinder“, „Die Stunde der Frauen“ und „Die verlorene Heimat“ heißen die sechs Kapitel. Fünf von ihnen sind identisch mit den Titeln der Sendereihe, die das ZDF jeweils dienstags ausstrahlt.
Im Buch (wie auch in den Filmen) stehen die Berichte von Zeitzeugen im Mittelpunkt, von denen übrigens viele mit Hilfe des es gefunden wurden. Besonders interessante und informative Aussagen sind in bordeauxrot kenntlich gemacht, neben dem fortlaufenden Text gedruckt und mit Hinweisen auf Name, Stellung und möglicherweise auch Alter der zitierten Personen versehen. Ein Beispiel: „Es sind so viele gestorben. Am Anfang des Transports waren wir 1.200. Ein paar Monate später zählten wir noch 800,“ erzählt Ursula Retschkowski, Jahrgang 1917. Sie war als Mutter einer kleinen Tochter in ein Arbeitslager verschleppt worden.
Dargestellt werden auch die Ereignisse in Nemmersdorf, die für die Ostdeutschland ja eine ganz besondere emotionale Symbolkraft haben. Hier wird auf neue Dokumente und Zeugenaussagen verwiesen, die möglicherweise auch zu einer neuen Bewertung führen. Im Gespräch mit dem warnte Prof. Knopp aber eindringlich davor, dies im Sinne einer Verharmlosung der Taten oder gar einer Entschuldigung der Täter mißzudeuten. Das hat in dieser Sache eigene Recherchen aufgenommen und wird vor einer abschließenden Bewertung deren Ergebnisse abwarten.
„Die große Flucht - Das Schick-sal der Vertriebenen“ ist ein Buch, das sich, wie auch die Fernsehserie, vor allem an jene wendet, die selber nicht das Schicksal der Vertreibung erlitten haben. Es ist äußerst ansprechend gestaltet, zugleich informativ und erschüt- ternd, und leistet so einen wichtigen Beitrag, dieses traurige Kapitel unserer Geschichte vor allem jüngeren Menschen näherzubringen, die meist in der Schule nichts davon zu hören kriegen.
Nicht ohne Stolz verweist Knopp darauf, daß es vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen sei, das Thema „Flucht und Vertreibung“ in dieser Form einem breiten Publikum zu präsentieren. Nun gelte es, diese „Gunst der Stunde“ zu nutzen, zumal es für diese Ereignisse bald keine Zeitzeugen mehr geben wird. Auch vor diesem Hintergrund sind Buch und TV-Serie zu begrüßen, auch wenn ältere Leser das eine oder andere Detail vielleicht in anderer Erinnerung haben mögen.
Guido Knopp: „Die große Flucht - Das Schicksal der Vertriebenen“, 416 Seiten, Econ Verlag München, ISBN 3 430 15505 3, 48,90 Mark (25 Euro)
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