Teufelskreis der Unwissenheit

Eigentlich sind es nur knapp über 200 Seiten, aber der Inhalt ist ganz schön schwere Kost: Die aus Somalia stammende niederländische Politikerin Ayaan Hirsi Ali, die durch den Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh, der an ihrer statt sterben mußte, international bekannt wurde, hält ein Plädoyer für die Befreiung der muslim

ischen Frau. In der Aufsatzsammlung "Ich klage an" berichtet die als Muslimin erzogene Frau aus ihrer eigenen Erfahrungen heraus, welche verheerenden Folgen die Unterdrückung der Frau im Islam hat. Während sie selbst sich einer Zwangsverheiratung durch Flucht in die Niederlande entzog, mußte sie als Dolmetscherin für Asylantenheime, Sozialämter und Ärzte zahlreiche Frauen kennenlernen, die unaufgeklärt und ungebildet an einen nahen Anverwandten in den Niederlanden verheiratet wurden und dort ausgenutzt, vergewaltigt und für ihre Kinder ohne jegliche Vorbildfunktion ihr Dasein fristeten.

Die Autorin betont auch, welchen Nachteil dies für die Männer hat: Diesen würde die Verantwortung für ein völlig hilfloses Wesen aufgedrückt. Auch könne man als Sohn von einer sich nur als "Söhnefabrik" betrachteten Frau nicht viel lernen. "Da den meisten Frauen in der islamischen Welt der Zugang zum Bildungsbereich verwehrt ist, hält man sie auf diese Weise dumm. Doch diese Frauen bringen nicht nur Kinder zur Welt, sondern sie erziehen sie auch. Sie geben ihr beschränktes Wissen an ihre Kinder weiter - und damit auch an die Männer. So entsteht ein Teufelskreis der Unwissenheit, der sich von einer Generation zur nächsten fortpflanzt."

Vor allem unterdrücke die überholte Sexualmoral die Frau. Während der Mann seine Wünsche frei ausleben könne, würden noch heute zahlreiche Frauen beschnitten und zugenäht, damit sie ihre Jungfräulichkeit bewahrten. Selbst in den Niederlanden lebten viele muslimische Frauen wie Gefangene. Schuld daran sei, so die Autorin, die übertriebene kulturelle Toleranz in ihrer Wahlheimat. Anstatt eine islamische Aufklärung hervorzubringen, würde der Westen mit seinem Verhalten die Rückständigkeit des Islam noch fördern.

Ayaan Hirsi Ali schreibt emotional und logisch pointiert zugleich. Ihr brennt das Thema auf der Seele und sie ist voller Wut. Obwohl sie mehrfach bedroht wurde, kämpft sie für die Rechte der muslimischen Frau. Ein harter Kampf, denn selbst viele multikulturell geprägte Europäer halten die beherzte 38jährige für zu radikal in ihren Mitteln. Fritz Hegelmann

Ayaan Hirsi Ali: "Ich klage an - Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen", Piper, München 2005, brosch., 212 Seiten, 13,90 Euro