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Am 12. Juli drehte sich in der Region Nahost die Eskalationsschraube weiter; womöglich in Richtung eines Flächenbrandes, der die ganze Region erfassen könnte. An diesem Tag verschleppten Angehörige der Hisbollah („Partei Gottes“) im Grenzgebiet zwischen dem Libanon und Israel zwei israelische Soldaten, mit denen wohl Hisbollah-Kämpfer, die sich in israelischer Gefangenschaft befinden, freigepreßt werden sollen. Möglicherweise muß diese Entführung aber auch als Akt der Solidarisierung mit den bedrängten Palästinensern gedeutet werden.
Israelische Truppen betraten bei der Verfolgung der Entführer libanesischen Boden. Bereits am folgenden Tag begann die israelische Luftwaffe („Operation Gerechter Lohn“) mit der Bombardierung von Zielen im Süden des Libanons sowie der Hauptstadt Beirut; gleichzeitig erfolgte eine vollständige Blockade des Landes zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Am 13. Juli schlugen Raketen, die auf libanesischem Gebiet abgeschossen wurden, erstmals auch in der Stadt Haifa ein. Die Hisbollah dementierte allerdings umgehend, daß der Beschuß von ihr ausging.
Gegenüber den Vereinten Nationen betont Israels Ministerpräsident Olmert, daß mit der Offensive im Libanon vor allem drei Ziele verfolgt würden: einmal die Freilassung der beiden entführten israelischen Soldaten, zweitens die Beendigung der Raketenangriffe und drittens die Erzwingung der Umsetzung der UN-Resolution 1559, die die Auflösung der paramilitärischen Verbände im Libanon vorsieht, seitens der libanesischen Regierung.
Dieser wirft Olmert vor, ihren Verpflichtungen aufgrund der UN-Resolution nicht nachzukommen. Die libanesische Regierung trage deshalb die Verantwortung für die Militäraktionen Israels.
Deren Reaktion fällt uneinheitlich aus; wohl auch deshalb, weil ihr Parteigänger der Hisbollah angehören. Dennoch ringt sie sich doch zu einer Distanzierung von der Hisbollah durch. Der Führer der islamischen Sekte der Drusen, Walid Dschumblat, greift den Iran und Syrien an, die er beschuldigt, mittels der Angriffe der Hisbollah den Libanon destabilisieren zu wollen.
Hintergrund für diese Beschuldigung könnte ein Besuch von Ali Larijani, des iranischen Beauftragten für die nationale Sicherheit, gewesen sein, der am 12. Juli in Damaskus zu Beratungen eintraf. Von iranischer Seite wurde eine „scharfe Reaktion“ für den Fall angekündigt, daß Israel seine Angriffe auf Syrien ausweiten sollte. Nicht wenige Experten mutmaßen, daß der Iran den Konflikt nutzen könnte, um seinen Status als Mittelmacht in der Region zu festigen. Dafür spricht unter anderem die Geschichte der Hisbollah, die 1982, kurz nach dem damaligen Einmarsch der Israelis im Südlibanon, in der iranischen Botschaft gegründet wurde und sich in einen „militärischen“ und „politischen Arm“ gliedert. Die Ausrichtung der Hisbollah, die an die Vorstellungen des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeni anknüpft, ist dezidiert „antizionistisch“. Darüber hinaus gehört die uneingeschränkte Solidarität mit den Palästinensern zu den Grundsätzen der Hisbollah. Laut CIA besitzt die Hisbollah, die im Westen fast ausschließlich als „Terrororganisation“ wahrgenommen wird, schwere Waffen, wie zum Beispiel Katjuscha-Raketen. Zu den expliziten Zielen der Hisbollah gehört die weitgehende Rückeroberung von Gebieten, die aus ihrer Sicht von Israel besetzt sind. Dazu gehören auch Jerusalem und Palästina.
Weniger bekannt ist im Westen die karitative Seite der Hisbollah, die die Schiiten im Libanon vertritt. Sie betreibt soziale Einrichtungen, macht sich um die Infrastruktur verdient und ist deshalb, und zwar nicht nur bei den Schiiten, in der Bevölkerung, vor allem aber bei den Armen, populär.
Die israelische Offensive, falls sie längere Zeit andauern sollte, könnte eine direkte Verwicklung des Irans heraufbeschwören, der den Libanon möglicherweise als Ersatzkriegsschauplatz nutzen könnte, um offene Rechnungen mit Israel zu begleichen. Jedenfalls deutet derzeit wenig auf eine vorzeitige Waffenruhe hin, hat doch Israel klar zu erkennen gegeben, daß es von der libanesischen Regierung die Herausgabe seiner entführten Soldaten erwartet sowie einen Rückzug der Hisbollah-Miliz von der gemeinsamen Grenze. Diese Forderungen Israels wird Libanons Ministerpräsident Fouad Siniora den Hisbollah-Angehörigen in seiner Regierung wohl kaum schmackhaft machen können. |
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