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Ein politisches Erdbeben ohnegleichen hat die Parteienlandschaft der Europäischen Union bis in ihre Grundfesten hinein erschüttert: Am 13. Juni um 21.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit endete nach einem Wahldebakel die Dominanz der sozialdemokratisch-sozialistischen Parteien im Straßburger Parlament. Deren Erfolg in Frankreich konnte den Absturz in den anderen EU-Staaten, insbesondere in Großbritannien und in Deutschland nicht ausgleichen. Seit der ersten Direktwahl vor zwanzig Jahren gaben sie in der Stadt an der Ill den Ton an, mußten sich die in der Europäischen Volkspartei (EVP) vereinten christlich-demokratischen und konservativen Parteien mit dem zweiten Platz begnügen mit allen Konsequenzen für die praktische Politik des Europa-Parlaments.
Daß sich die machtpolitische Wende in Straßburg gerade jetzt ereignete, ist für die in fast allen EU-Staaten regierenden oder mitregierenden Sozialdemokraten besonders bitter, denn das neue Parlament ist mit mehr Rechten ausgestattet als alle seine Vorgänger. Es spricht nicht nur das letzte Wort über den Milliardenhaushalt, sondern auch über die Zusammensetzung der Kommission, der in hohem Maße die Initiative für die europäische Gesetzgebung obliegt.
Der neue Kommissionspräsident Romano Prodi hat schon deutlich zu verstehen gegeben, daß er an seinem Kabinettstisch keine skandalumwitterten Mittelmäßigkeiten versammeln wird, sondern nur Spitzenleute, die auch die Wählermehrheit der Mitgliedsstaaten repräsentieren. Das kommt Kanzler Schröder hart an, der sich durch den Koalitionsvertrag verpflichtet hat, Prodi einen grünen Kommissar aufzudrängen. Und nun dieses Wahlergebnis: die Grünen auf die Hälfte ihrer bisherigen Europa-Mandate reduziert, die SPD fürchterlich gerupft und die Unionsparteien mit mehr Mandaten ausgestattet als SPD, Grüne und PDS zusammen. Keine beneidenswerte Situation für den Medienkanzler ("Regieren macht Spaß!"), der die Wahlkampfpropaganda seiner Partei wie im vergangenen Jahr ganz auf seine Person zugeschnitten hatte und nun nur noch ganze 14 Prozent aller Wahlberechtigten hinter sich versammeln konnte. Die Wähler haben sich nicht ein zweites Mal vom "Schröder-Charme" verführen lassen. Sie kamen zum Schluß: Gewogen und zu leicht befunden.
Da mutet es wie eine Demonstration der Realitätsblindheit an, wenn der SPD-Spitzenkandidat Klaus Hänsch am Wahlabend, als es für Rotgrün an Katastrophenmeldungen nur so hagelte, ungerührt verkündete, das Wahlergebnis sei keineswegs auf Unzufriedenheit der Deutschen mit der Politik der rotgrünen Bundesregierung zurückzuführen, und angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung sei die Europa-Wahl "ein Test für gar nichts". Als ob Wahlenthaltung nicht auch eine Meinungsäußerung sein kann. Die Unionswähler sind zu den Urnen gegangen, SPD- und Grünen-Anhänger mieden sie in zorniger Passivität. Und das soll ein "Test für gar nichts" sein?
Mögen auch bei Kommunalwahlen lokale und regionale Besonderheiten eine Rolle spielen, doch wenn durchgängig in sechs Bundesländern Rotgrün zusätzlich zum EP-Wahlergebnis ein Debakel erlebt, kann das nicht mit Unmut über einige unsinnige Verkehrsschilder zusammenhängen. Dörfer, Städte und Landkreise fielen reihenweise an die Union. In Lafontaines Saarland nur noch zweiter Platz für die SPD, in Mecklenburg-Vorpommern sogar nur dritter hinter der PDS und im rotregierten Sachsen-Anhalt: sämtliche Stadt- und Landkreise für die CDU und so weiter und so fort. Kein Test?
Schröder hat verloren, aber er hat auch eine Chance gewonnen, wenn er jetzt seine Partei und die Grünen zu einem Kurswechsel zwingt, der die Wirtschaft aufblühen läßt und nicht zum Eintrocknen verdammt. Er muß jetzt handeln, solange noch die Genossen voller Verzweiflung nach Rettung suchen. In einigen Wochen kann die Chance vertan sein, wenn die innerparteilichen Querelen bei SPD und Grünen der Union im Herbst bei den Landtagswahlen volle Scheuern bescheren.
Bei allem begründeten Jubel sollte aber auch die Union auf dem Teppich bleiben: Ihr derzeit einzig möglicher Partner die FDP hängt über dem Abgrund der Bedeutungslosigkeit. Die Union muß dem politischen Wirrwarr von Rotgrün ein klares Alternativkonzept entgegensetzen, das die enttäuschten Koalitionsanhänger anspricht. Am 13. Juni haben sie nämlich nicht die CDU gewählt sie blieben nur zu Hause. Und die Union muß auch nach einem Partner Ausschau halten, wenn die FDP dahinscheiden sollte. Schäuble und Stoiber sind als Strategen gefordert.
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