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Wie viele Elche hast du eigentlich gesehen, du da in deinem Ostdeutschland, von dem du immer so schwärmst?" Das fragen inzwischen die schon großen Enkelkinder und raten oder bitten sogar darum, das alles nun endlich mal aufzuschreiben. Vieles war natürlich eindrucksvoll, manches aber auch sehr lustig.
Den ersten Elch sah ich in dem besonders kalten Winter 1929 in der Damerau bei Heiligenbeil. Mit meinem Großvater und einem Kutscher auf dem Pferde schlitten vom Wirtschaftshof der Ostdeutschen Maschinenfabrik ging es zum Forsthaus dieses herrlichen Winterwaldes. Dort wurden die Eichenstämme für die Dreschmaschinen gekauft, und diesmal sollte auch ein besonders gut gewachsener Weihnachtsbaum besorgt werden. Der Weg am Anfang des Waldes war einspurig geräumt, und nach wenigen Metern stand plötzlich ein Elch vor uns. Unserem Pferd sträubten sich die Haare - umdrehen war unmöglich. Also hieß es abwarten. Angewidert von unserem Geruch wandte sich dieses urweltlich ausschauende Tier sehr langsam ab und gab den Weg wieder frei. Er kannte dort wohl keine Feinde. Wir aber waren erleichtert, und ich träumte davon, daß der Elch hinter unserem Weihnachtsbaum hervorlugen würde.
Erst viele Jahre später bei einer Fahrt zur Kurischen Nehrung sahen wir an einem Abend einen Elch schwimmend an das Ufer des Haffs kommen. Er verschwand im nahen Kiefernwald ruhig und gelassen. "Geht nicht zu nahe ran", hatte man uns geraten, denn in der Brunft werden sie angriffslustig. Sie steigen hoch und schlagen mit den Hufen. Wenn man ihnen gegenübersteht und ihre Augen sehen kann, ist es, als ob man in einen Bergsee hineinschaut.
Als wir wiederum nach vielen Jahren das Baltikum besuchen durften, fuhren wir beim Morgengrauen mit einem Bus von Reval (Tallin) nach St. Petersburg, als plötzlich zwei Elche von einer Wiese neben der Straße in unseren Bus hineinschauten. So groß hatte ich sie nicht in Erinnerung behalten und empfand sie als einen heimatlichen Gruß, denn zu dieser Zeit durften wir noch nicht nach Ostdeutschland reisen. Dafür konnten wir in Richtung Westen bis zum anderen Ende der Welt fahren.
So nahmen wir eine Einladung meiner Verwandten nach Kanada an und lernten das bezaubernde British Columbia kennen. Mein jagdbegeisterter Cousin besaß eine beachtliche Trophäensammlung in seinem rustikalen Haus. Mir hatte es besonders ein Elk angetan, der im Bast, zwar nicht ganz waidgerecht nach unseren Jagdregeln, aber als Fleischvorrat dort erlegt werden durfte. Er hing mit Geweih, Haupt, Träger und einer wunderschönen Decke sehr gut präpariert über dem Kamin. Aus seinen Glasaugen quoll noch eine Träne, und ich war überwältigt, obwohl der "Elk" kein Elch, sondern ein Karibu ist.
Nachdem bei der Abschiedsparty die Familie mit uns die alten deutschen Lieder gesungen hatte, überreichte uns mein Cousin diese stolze Trophäe als Gastgeschenk zur Erinnerung. Ich sah mich schon mit dem Elk auf dem Schoß im Jumbo-Jet sitzen und überschlug schnell noch den Rest unserer Dollars für die Transportkosten. Der große Karton, in dem der Elk verpackt wurde, paßte aber nicht in die Passagiermaschine. Nach Wochen erhielten wir daheim in Friedrichshafen einen Anruf aus Vancouver, daß der Elk mit einem Frachtflugzeug um 11 Uhr in Frankfurt landete. Es war 9 Uhr an einem Sonntag vormittag. Wir konnten unseren Sohn verständigen, der damals in Mainz studierte und der zum Zoll in Frankfurt fuhr, um den Weitertransport per Bahn an den Bodensee zu organisieren. Doch wohin mit dem beachtlichen Exemplar? Als Bahnfracht angeliefert, wurde der Elk zur Freude der Kinder aus der Nachbarschaft vor der Haustür ausgepackt. So ließ er sich leichter in das zweite Stockwerk tragen. Gern hätten wir ihn im Wohnzimmer gehabt, aber in der Eßecke fraß er mit vom Tisch und über der Couch konnte er auch nicht bleiben, weil man nur in gebück-ter Haltung sitzen und aufstehen konnte, da das Geweih an der Decke anstieß und der Äser zwischen den Gästen hing. So richteten wir ein Zimmer neu ein, kauften einen halbhohen Jagdschrank und hingen die eigenen Jagdtrophäen um das Prachtexemplar auf. Jedenfalls erhielt unser "Kanadier" so den würdigen Rahmen.
Endlich wurde es uns 1989 erlaubt, die Heimat zu besuchen. Am ersten Tage unseres Aufenthalts in Königsberg, wo wir im Hotel übernachteten, ging es in den seit Kindheitstagen so beliebten Tiergarten. Das Wiedersehen war eine große Enttäuschung. Die wenigen verbliebenen Tiere standen in verschmutzten Gehegen und waren in einem bedauernswerten Zustand. In der Ecke des Parkes sahen wir plötzlich die große, aus Bronze gegossene Skulptur des Elches aus Gumbinnen. Auch ihm war eine Schaufel abgeschlagen worden. Doch er war den Schnappschuß wert.
Natürlich waren wir beim ersten Besuch in der Heimat nicht ohne Spenden erschienen. Alle Gaben, die so dringend von dem Krankenhaus in Heiligenbeil benötigt wurden, nahmen die Ärzte mit großem Dank an. Als Gegengabe erhielten wir eine prächtige, langhaarige, dunkelfarbige Elchdecke. Diesen Elch hatte der Oberarzt Dr. Gurow in der Damerau mit einem Flintenlaufgeschoß erlegt, da das Führen von Gewehren mit gezogenen Läufen auch für Jäger dort verboten ist. Rotwild kann damit nur auf kurze Entfernungen erlegt werden, wobei das Geschoß einen Handteller großen Ausschuß verursacht, bei einem Blattschuß demnach in der Flanke der Decke. Für alle Jagdtrophäen sollte man doch eine Eingangshalle mit Kamin besitzen. Nach einigen Überlegungen entschlossen wir uns, die Elch-Decke unserem Heimatmuseum in Burgdorf als Leihgabe zu überlassen. So konnten viele Ostdeutschland nochmals über diese Elchdecke streicheln, denn sie hing als Blickfang gleich an der Wand.
Zum darauffolgenden Weih-nachtsfest schnitzte mein Mann für mich zum Trost "noch n Elch". Der erfreut uns und viele unserer Gäste immer wieder. Zu seinen Läufen wurden noch einige Bern-steinbrocken als Steinersatz gelegt. Trotzdem - im nächsten Urlaub bin ich wieder auf den Spuren unserer Wappentiere. Vielleicht gelingt mir ein Schnappschuß mit dem Fotoapparat, wie ein Elch in die Ewigkeit schaut.
Aus Lindenholz geschnitzt: Das Tier der Heimat erfreut auch viele Besucher |
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