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Jahrzehntelang galten Islamwissenschaftler als Exoten. Nach dem 11. September 2001 und dem befürchteten Zusammenprall der Kulturen war der Islam plötzlich in aller Mund. Die Nachfrage nach kompetentem Rat stieg sprunghaft. Doch die Universitäten schienen vielfach überfordert. Es gibt kaum ein Dutzend Lehrstühle zum Fach Islamkunde, darüber hinaus einige wenige Privatgelehrte, gespalten in eher unkritische und eher kritische Forscher.
Udo Steinbach, Direktor des in Hamburg ansässigen Deutschen Orient-Instituts, sowie der Kulturanthropologe Werner Schiffauer von der Universität Frankfurt / Oder gehören zu jenen Wissenschaftlern, die ungeachtet des "11. September" den friedlichen Charakter des Islam hervorheben. Sogar die umstrittene türkisch e Organisation Milli Görüs ("National-Religiöse Weltsicht") mit rund 26.500 Mitgliedern in Deutschland, die vom Verfassungsschutz als islamistisch beobachtet wird, nehmen sie in Schutz. Schiffauer, der selbst auf eine Vergangenheit im linksextremen Milieu zurückblicken kann, engagiert sich als Fürsprecher und betont eine angebliche Wandlung der Organisation zu mehr Integrationsbereitschaft. Beide fordern mehr öffentlichen Einfluß für Muslime.
Eine kritische Auffassung vertreten die Marburger Professorin Ursula Spuler-Stegemann, Tilman Nagel von der Universität Göttingen oder der Orientalist Hans-Peter Raddatz. Spuler-Stegemann hat die Situation von Frauen in muslimischen Ländern wie Saudi-Arabien, Pakistan und Nigeria untersucht. Sie kommt zu katastrophalen Ergebnissen und möchte verhindern, daß die islamische Scharia in Deutschland Fuß faßt. Raddatz trat nach dem Amsterdamer Mord an Theo van Gogh mit der provokanten These an die Öffentlichkeit, "im Zentrum des islamischen Rechts" stünde die "Pflicht zur Gewalt". Regelmäßig tritt er im Fernsehen auf und fordert verstärkte Wachsamkeit gegen Islamisten. Auch vor Kritik am Islamrat, der von Milli Görüs dominiert wird, oder dem Zentralrat der Muslime schreckt Raddatz nicht zurück.
Nun bekommt die Forschergemeinde Zuwachs. Mehrere deutsche Universitäten richten Lehrstühle für Islamwissenschaft ein. Allerdings stoßen die Umstände auf Kritik: Der neue Studiengang Islamische Religionswissenschaft an der Frankfurter Goethe-Universität wurde in direkter Kooperation mit dem staatlich-türkischen "Präsidium für Religionsangelegenheiten" (Diyanet) eingerichtet, ein bisher einzigartiger Vorgang. Mit dem Stiftungsvertrag akzeptiert die Universität, daß das Religionsministerium in Ankara, vermittelt vom
DITIB, dem Kölner Ableger des Diyanet, als Geldgeber für eine deutsche Professur auftritt. Im Stiftungsrat sitzen neben Vertretern der Universität auch ein DITIB-Funktionär und ein Gesandter des Diyanet aus der Türkei. Kritiker wie Spuler-Stegemann sehen darin die Gefahr doppelter Loyalität. Ihr Kollege Raddatz moniert seit Jahren, das Diyanet lasse keine Religionsfreiheit zu und unterlaufe die Trennung von Islam und Staat. Wie auch ein 2004 veröffentlichter Bericht des EU-Parlaments (Dokument A5-0204/2004) bestätigt, kontrolliert das Diyanet die Belange des sunnitischen Islam. Dagegen werden Nicht-Sunniten mit offizieller Billigung der Regierung diskriminiert.
Erster Stiftungsprofessor in Frankfurt wird Mehmet Emin Köktasch, der bis vor zwei Jahren an der Universität Izmir lehrte und nur über beschränkte Deutschkenntnisse verfügt. Sein Lehrstuhl in Frankfurt ist am Fachbereich Evangelische Religionswissenschaft angesiedelt. Bedenken wegen der Diyanet-Finanzierung tritt der muslimische Soziologe und Theologe entgegen: "Ich bin unabhängiger Wissenschaftler. Solche Ängste haben keine Basis". Er legt Wert darauf, daß Deutsche und Türken zusammen forschen. Seine Mitarbeiter bis hinunter zur Sekretärin sind alle türkischstämmig. Köktaschs Seminar soll nicht speziell der Schulung muslimischer Geistlicher dienen, sondern offen sein für alle Studenten. Langfristiges Ziel der hessischen Regierung, die die Kooperation gutheißt, ist aber, mehr Imame in Deutschland auszubilden.
In Bayern laufen ähnliche Vorbereitungen. Die Universität Erlangen plant in Kooperation mit der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE) noch für dieses Jahr eine Professur für Islamische Religionskunde, die muslimische Religionslehrer für Grund-, Haupt- und Realschulen, später auch Gymnasien aus- bildet. Bewerber, heißt es bei der Universitätsleitung, müßten "Akzeptanz in muslimischen Kreisen" haben. Islam-Kritiker sind also kaum erwünscht. "Erlangen ist ein Pilotprojekt", erklärte eine Sprecherin des Kultusministeriums in München. Bislang gibt es an 21 bayerischen Grund- und Hauptschulen Islamkunde. Die Lehrer, die nicht bloß Wissen vermitteln, sondern auch zum muslimischen Glauben erziehen sollen, wurden bislang nur in der Türkei ausgebildet. Sie erhielten ihre Lehrpläne vom Diyanet aus Ankara. |
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