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Es paßt zum letzten Frühlingsbeginn des ausgehenden Jahrtausends, wenn Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen euphorisch verkündet, die Stadt biete die Kulisse für ein großartiges Fest zum Jahrtausendwechsel und bedeute eine Art Freilichtmuseum für moderne Architektur. Von Mai an, so heißt es weiter, bis zum 1. Januar 2001 gebe es eine 20monatige Milleniumsfeier unter dem Motto "Das neue Berlin", bei der die Stadt zu einer "dauerhaft bespielten Bühne" werde.
Diepgen sagt das alles im Hinblick auf die neue, alte Hauptstadt Deutschlands (ohne den abgetrennten Osten), als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Allein, es liegt noch nicht einmal eine Dekade zurück, daß dort, wo heute beispielsweise in Berlin-Mitte Pflastersteine merkwürdige Linien ziehen, noch bittere Realität in Gestalt der verabscheuungswürdigen Berliner Mauer vorhanden war.
Wohlverstanden: Es ist gut, daß der Regierende heute, und dies stellvertretend für Deutschland, so sprechen kann. Es ist gut, daß der Deutsche Bundestag in der Mitte dieser Dekade, wenn auch mit knapper Mehrheit, beschloß, in Berlin zu residieren und daß im Herbst die Mehrzahl der Ministerien und alle Bundestagsabgeordneten in der Stadt an der Spree untergebracht sein werden.
Anerkennenswert ist auch das tatsächlich realisierte Vorhaben, den Bundestag im sowohl restaurierten als auch neu gestalteten Reichstagsgebäude tagen zu lassen. Der Wallot-Bau mit moderner Kuppel hat alle Chancen, ein Stück Identitätsbeweis für die Deutschen zu werden. Nicht von ungefähr kommen deshalb die hohen Besucherzahlen bei einer dieser Tage veranstalteten ersten öffentlichen Besichtigung.
Die Hauptstadt Deutschlands beginnt, wie einst auch in der Gründerzeit am Ende des letzten Jahrhunderts, aus allen Nähten zu platzen. Sie ist, zusammengefaßt, auf dem besten Wege, wieder eine der großen geistigen Metropolen Europas, ja der Welt zu werden. Das wird aber auch bewirken, daß die aus Bonn übersiedelnden Politiker in einer solchen Metropole auf das normale Maß ihrer Bedeutung gebracht sein werden.
Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist indes, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die nationale und die internationale Presse an der Spree bewegt und berichtet, so als hätte sie das immer gemacht. Den altgewohnten "Bericht aus Bonn" beispielsweise erhalten die TV-Zuschauer als "Bericht aus Berlin". So als sei er immer schon in Berlin gewesen und so als habe er als eine Art Vorkämpfer für diesen Standort gewirkt, präsentierte sich zum Beispiel Studiochef Ulrich Deppendorf mit der ersten dieser Sendungen aus Berlin.
Solcherlei überraschende Anpassungsfähigkeit mag den einen oder die andere allerdings auch nachdenklich stimmen. Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere an einen Mitte der siebziger Jahre erschienenen Band mit dem Titel "Keine Nacht dauert ewig", in dem ein bekannter Journalist mit gesammelten Beiträgen zur Überwindung der Teilung Deutschlands Mut zu machen versucht. Es ist dies nur ein kleines Beispiel, aber auch dabei war keifende Anfechtung das Resultat, auch und vor allem in Berlin.
Die Selbstverständlichkeit, mit der heute oft selbsternannte Berlin-Analytiker über die Stadt berichten, schmerzt zumindest; Nirgendwo wird auch nur ein Wort verloren über jene, die lange, lange vor dem Fall der Mauer über die wahren Zusammenhänge in der DDR messerscharf berichteten und dies unter dem Motto taten, daß eine Nacht tatsächlich nicht endlos sei.
Ob es sich damals beispielsweise um den Axel-Springer-Inlanddienst in Berlin oder das ZDF-Magazin in Wiesbaden handelte, die dort arbeitenden Journalisten und Publizisten wurden, ging es um die Frage der Teilung Deutschlands, zumeist verlacht oder bestenfalls als Utopisten bezeichnet, welche die Beständigkeit des als unumstürzbar geltenden Kommunismus bezweifelten. Zwar haben diese Protagonisten den Sturz des SED-Regimes letztendlich nicht bewirkt. Sie haben aber, ganz im Gegensatz zu vielen anderen, zumindest lautstark daran erinnert, daß die Bäume einer jeden Diktatur nicht in den Himmel wachsen. Wenn auch spät und ungeachtet aller Euphorie stünde es an, ihnen dafür zu danken.
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