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Versteckspiel geht weiter

 
     
 
"Verheugen für ,besondere Beziehungen‘ der EU zu Königsberg", betitelte "Die Welt" vergangene Woche einen Beitrag über die 8. Außenministerkonferenz des Ostseerates. Der sozialdemokratische Staatsminister im Außenamt habe im litauischen Polangen erklärt, er wolle differenzieren zwischen der russischen Enklave Königsberg und Rußland. Besonders Litauen, das in den vergangenen zwölf Monaten die Ostseeratspräsidentschaft innehatte, habe auf eine Einbeziehung Königsbergs gedrungen.

Wenn die Meldung stimmt, hat Günter Verheugen
, fernab der eingefahrenen Bonner Gleise, einen visionären Durchbruch vollzogen. Das war wohl auch seine Absicht. Der Mann, der 1982 eine scheinbar dem Untergang geweihte FDP Richtung SPD verließ, gilt als ausgeprägt karrierebewußt. Solche Leute sind immer gern die ersten.

Indes kam der Verheugen-Vorstoß auch einem krassen Tabubruch gleich. Und ob der beabsichtigt war, darf inzwischen bezweifelt werden.

Unter der Kohl-Regierung galt die ebenso knallharte wie ignorante Losung: Das Königsberger Gebiet ist eine russische Provinz wie alle anderen. "Differenziert" wurde offiziell ganz bewußt nicht und in der Praxis nur insoweit, als daß das nördliche Ostdeutschland von allen "russischen Provinzen" ganz besonders weit links liegen gelassen wurde.

Und jetzt also Verheugen mit dem öffentlich vorgetragenen Wunsch, jenes absurde Versteckspiel wenigstens verbal zu korrigieren. Das hat einige Einflußreiche in Berlin und Bonn offenbar wie ein Blitz getroffen. Tags nach der Meldung in der "Welt" jedenfalls ruderte das Büro des Staatsministers hektisch zurück: Der "Welt"-Journalist habe alles falsch verstanden, von besonderen Beziehungen sei nicht die Rede gewesen, so ein Sprecher Verheugens zum . Der Minister habe lediglich erklärt, daß sich "im Rahmen der EU-Osterweiterung" Veränderungen für die gesamte Region ergäben, somit auch für "Kaliningrad". Was für welche, ließ er offen.

Insgesamt war dem Sprecher die Angelegenheit jedenfalls alles andere als willkommen: "Wir wollen da jetzt auch keine große Sache draus machen." Auf eine Entgegnung zum angeblich so verunglückten "Welt"-Beitrag möchte der Minister jedoch verzichten.

Spätestens an dieser Stelle könnte man den Vorfall als eine der zahlreichen Arabesken zu den Akten legen, mit denen die schlingernde Koalition ihren Deutschen seit Jahresbeginn allwöchentlich auf die Nerven geht.

Aber das wäre zu kurz gegriffen. Offenbart sich hier doch beispielhaft das ganze Dilemma der bundesdeutschen Königsbergpolitik seit 1990 und besonders seit dem Ende der Sowjetunion. Im Grunde ist jedem Verantwortlichen klar, daß es so, wie es ist, nicht bleiben kann im nördlichen Ostdeutschland. Und daß Deutschland hier aus verschiedenen, nicht zu ignorierenden Gründen eine besondere Verantwortung zuwächst, wird ernsthaft ebenfalls niemand bestreiten.

Angestachelt von "Nie wieder Deutschland"-Eiferern aber wurde es zur Gewohnheit, jedes deutsche Engagement im nördlichen Ostdeutschland als "Regermanisierungsversuch" und Schlimmeres zu brandmarken. Stets berief man sich auf die "Ängste" der Russen, ja des gesamten Auslands, die man indes (wenn es sie überhaupt gibt) selbst hervorgerufen hat durch absurdes "Revanchismus"-Gerede.

Jetzt sitzt Bonn in der Falle, die es sich in jahrelanger Propagandaarbeit selbst gestellt hat. Kein Politiker kann von Königsberg auch nur reden, ohne sogleich von seinen eigenen wüsten Verdächtigungen eingeholt zu werden. Günter Verheugen bekam dies vermutlich prompt zu spüren.

Jene Lähmung der Bonn/Berliner Politik mutet natürlich umso bizarrer an, je mehr Bewegung auf privater, kultureller und wirtschaftlicher Ebene zu beobachten ist. Die vertriebenen Ostdeutschland knüpfen seit Jahren zunehmend engere Kontakte zu den russischen Bewohnern ihrer Heimat, feiern dort schon offizielle Kreistreffen, leisten humanitäre Hilfe und vermitteln den Russen ein Bild von Kultur und Geschichte ihres neuen Zuhauses.

Auch auf wirtschaftlichem Gebiet tut sich mehr als nur etwas. Vorerst letzter Höhepunkt wird die noch in diesem Jahr vorgesehene Fertigstellung eines BMW-Werks auf dem Gelände der alten Königsberger Schichau-Werft sein. Bis zum Jahresende sollen hier 1000 BMW-Wagen der 5er Reihe vom Band laufen, später 10 000 im Jahr.

Interessant ist, daß die Bayern ganz Rußland nach einem geeigneten Standort abgesucht hatten, bis sie schließlich am Pregel landeten. Damit wird unterstrichen, daß gerade Ostdeutschland der ideale Ort für deutsch-russische Kooperationen ist. Das Beispiel BMW könnte Schule machen.

Der deutsche Staatsminister mußte möglicherweise erst vom litauischen Ostseeratspräsidenten auf das Problem aufmerksam gemacht werden, damit ihm wenigstens mal irgend etwas zu Königsberg einfällt. Doch kaum ist dieser zurück in Bonn, war alles nur ein Mißverständnis.

 
     
     
 
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