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Angesichts der täglichen Bilder, die uns von der Vertreibung der Kosovo-Albaner übermittelt werden, wird bei vielen Deutschen die Erinnerung an das eigene Schicksal, die eigene Vertreibung aus der Heimat wieder lebendig. Die überfüllten Flüchtlingszüge, die Angriffe auf wehrlose Menschen in den Flüchtlingstrecks durch serbische Banden, die Entkräftung der Älteren, die vor Schwäche sterben, alles, was jetzt in den täglichen Fernsehbildern gezeigt wird, haben die deutschen Vertriebenen am eigenen Leib erfahren. Was bei vielen schon verdrängt war, wird jetzt wieder in Erinnerung gerufen.
Auch die deutschen Vertriebenen wurden wie jetzt die Kosovo-Albaner in Flüchtlingslager gesteckt und wußten nicht, wie es weitergehen sollte. Genau wie die Kosovaren zunächst bei ihren albanische n Landsleuten Hilfe finden, konnten sich die deutschen Vertriebenen einer teils mehr, teils weniger starken Solidarität ihrer Landsleute sicher sein. Kein deutscher Heimatvertriebener wollte auf Dauer im Westen bleiben. Alle wollten wieder zurück in ihre Heimat. Auch die meisten Kosovo-Albaner wollen nicht in die Türkei oder nach Kuba ausgeflogen werden. Sie wollen bei der ersten Gelegenheit in den Kosovo zurück. Andere bestimmen jetzt über ihr Schicksal, wie auch andere damals über das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen bestimmt haben.
Allerdings gibt es heute einen Unterschied zur politischen Lage 1945/46. Heute sind diejenigen, die bestimmen können, sich darüber einig, daß die Vertriebenen wieder in ihre Heimatgebiete zurückkehren sollen. Damals war das anders. Damals hat man die Heimatgebiete der deutschen Vertriebenen bewußt vom Mutterland abgetrennt und andere Menschen dort angesiedelt. Im Kosovo will man das nach bisherigem Informationsstand nicht mehr wiederholen, um dem serbischen Vertreiberstaat deutlich zu zeigen, daß Vertreibung niemals erfolgreiches Mittel der Politik werden darf. Dennoch soll der Kosovo nach Schätzungen von Experten in Kürze von Albanern entvölkert sein.
BdV-Präsidentin Erika Steinbach MdB hat in ihren Reden und Erklärungen immer wieder darauf hingewiesen, daß sich Vertreibungen nicht lohnen dürfen. Vertreibungen dürfen niemals Mittel der Politik werden, schon gar nicht als erfolgreiches Modell zur Lösung ethnischer Fragen.
Es ist bei allem Elend der Betroffenen erfreulich, daß die Politik jetzt in diesen Fragen eine entschlossene Haltung zeigt. Man kann Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Außenminister Joseph Fischer, deren Ressorts die Hauptlast der politischen Verantwortung tragen, nur in ihrer klaren Auffassung bestärken, den Vertreibungsgreueln und dem Morden entgegentreten zu wollen.
In einer wohltuenden Deutlichkeit spricht Verteidigungsminister Scharping öffentlich aus, was die Tatsachen sind. Scharping redet von Vertreibung und Mord. Er verwendet nicht irgendeine Umschreibung oder einen beschönigenden Ausdruck. Er scheut sich auch nicht, Kritikern der gegenwärtigen Nato-Politik zu sagen, wo die Prioritäten gesetzt werden: "die entsetzliche Situation der Menschen, die aus dem Kosovo gejagt werden, zu beenden."
Die Vertreibung von ganzen Volksgruppen wird uns seit dem Bosnienkrieg immer wieder deutlich vor Augen geführt. Mit der Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo haben diese Verbrechen einen traurigen Höhepunkt erreicht.
Alle beteiligten Nationen standen dem unvorbereitet gegenüber. Die Hilfsmaßnahmen laufen jetzt erst richtig an. Aber die europäischen Völker und die USA waren nicht nur in materieller Hinsicht unvorbereitet. Sie alle wissen auch nicht, was Vertreibung wirklich bedeutet. Wir Deutschen, die es als Volk erlebt haben, haben es zum großen Teil schon vergessen. In den Schulen wird es nicht mehr vermittelt. Eine zentrale Informationsstelle über die Vertreibung der Deutschen insgesamt gibt es in unserem Lande nicht.
Da ist es höchste Zeit, daß BdV-Präsidentin Steinbach die Einrichtung einer solchen Dokumentationsstätte an einem geeigneten Ort einfordert. Bundesvorstand und Präsidium des BdV haben einstimmig ihren Willen erklärt, dieses Projekt auf den Weg zu bringen. Wenn es mehr Aufklärung darüber gäbe, würde man Vertreibungsabsichten vielleicht schon im Ansatz erkennen, wären andere Völker mental auch besser darauf vorbereitet.
Vor drei Jahren richtete der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte eine Botschaft an den Bund der Vertriebenen, in der er u.a. schrieb:
"Ich bin der Auffassung, daß, hätten die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Implikationen der Flucht, der Vertreibung und der Umsiedlung der Deutschen nachgedacht, die heutigen demographischen Katastrophen, die vor allem als ethnische Säuberungen bezeichnet werden, vielleicht nicht in diesem Ausmaß vorgekommen wären ..."
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