|
Nach dem Rausschmiß von Verteidigungsminister Rudolf Scharping geht Erleichterung durch die Bundeswehr. Denn der Minister hatte schon lange das Vertrauen seiner Soldaten verloren. Zum Schluß war er sogar fast zur Lachnummer verkommen.
Dabei hatte seine Amtszeit trotz vieler Unkenrufe durchaus hoffnungsvoll begonnen. Als die Entscheidung Gerhard Schröder s, den bedächtigen Pfälzer zum Verteidigungsminister zu machen, bekannt wurde, erflehte mancher General noch himmlischen Beistand. Kaum einer konnte sich vorstellen, daß dieser Mann je mit den Militärs zurechtkommen oder als "Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt" eine gute Figur machen könnte. Zudem hatte Scharping selbst keinen Hehl daraus gemacht, daß er lieber Fraktionsvorsitzender geblieben wäre, statt dem als schwierig geltenden Wehrressort vorzustehen.
Doch Rudolf Scharping sollte die Zweifler schnell eines Besseren belehren. Von Beginn an gab er den Soldaten das Gefühl, sie als Individuen mit eigenen Wünschen und Sorgen zu betrachten und zu achten. Regelmäßig ließ er sich bei der Truppe blicken, setzte sich zu den Soldaten ans Lagerfeuer und redete mit ihnen. Dieser Mann konnte zuhören, er war verständnisvoll, nett und offen für Kritik. Das war man bei der Bundeswehr gar nicht mehr gewohnt. Denn unter seinem Vorgänger Volker Rühe herrschte ein anderer Ton. "Volker Rüpel", so sein Spitzname im Ministerium, hatte keinen Zweifel daran gelassen, wer der Boß war. Ganz anders dagegen Scharping. Der hörte auf die Militärs und pflegte einen umgänglichen Ton.
Deshalb war Scharping bei Generalen und Rekruten schnell gleichermaßen beliebt. Seit Georg "Schorsch" Leber hatte es keinen solchen "Soldatenvater" mehr gegeben. So verziehen ihm die Soldaten auch manchen Patzer. Mit dem militärischen Zeremoniell nicht vertraut, trat Scharping zunächst in viele kleine Fettnäpfchen. Doch mit Humor und einem gesunden Maß an ironisch formulierter Selbstkritik gelang es ihm, gelegentliche Peinlichkeiten auszubügeln. Dies nötigte selbst schneidigen Militärs Achtung ab. Durch harte Arbeit und kollegiales Verhalten verschaffte sich der dröge, bedächtige und detailversessene Sozialdemokrat als Chef der Bundeswehr allgemeinen Respekt. Nach den bitteren Niederlagen der vorangegangenen Jahre befand er sich jetzt auf dem Gipfel seiner Popularität.
Doch der erste Fleck auf des Ministers weißer Weste kam mit der Kosovo-Krise. Scharping präsentierte Fotos, die angeblich Menschenmassen auf dem Weg in ein Konzentrationslager im Stadion von Pristina zeigten. Und er berichtete von einem Plan, nach dem die Serben die Albaner aus der Krisenprovinz jagen wollten. Damit wollte Scharping das Eingreifen der Nato rechtfertigen. Doch an der Sache war nichts dran, der Minister war übereifrigen Analysten aus dem eigenen Haus auf den Leim gegangen. Es hagelte Kritik, auch aus den Reihen der Regierung.
Scharpings nächster Fehltritt war eine unpopuläre Personalentscheidung. Weil er glaubte, der Generalinspekteur Hans-Peter v. Kirchbach sei ihm bei seiner Bundeswehrreform im Wege, setzte er den überaus beliebten und einst von den Medien umjubelten "Helden vom Oderbruch" kurzerhand an die Luft. Der als "politiknah" geltende Fliegergeneral Harald Kujat schien dem Minister geeigneter, die Bundeswehr "von Grund auf" zu erneuern.
Doch die von Scharping vorgelegten Pläne zur Bundeswehrreform ruhten finanziell auf tönernen Füßen. Der Minister aber wollte nichts davon hören. Außerdem brüskierte er die von ihm selbst ins Leben gerufene Weizsäcker-Kommission. Denn kaum hatte die ihren Bericht zur Umstrukturierung der Streitkräfte vorgelegt, kam Scharping trotz der Bedenken seiner Berater mit einem eigenen Papier auf den Markt. Seitdem galt er als beratungsresistent.
Das größte Eigentor schoß Scharping im Sommer 2001, als er sich mit seiner Freundin, der Gräfin Kristina Pilati-Borggreve, beim zärtlichen Geplätscher im Schwimmbecken auf Mallorca für eine Illustrierte ablichten ließ. Als verliebter Trottel gab sich der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt so der Lächerlichkeit preis. Und das zur gleichen Zeit, als Bundeswehrsoldaten in einen lebensgefährlichen Einsatz nach Mazedonien geschickt wurden. Dann benutzte Scharping auch noch die Maschinen der Flugbereitschaft, um von seinen Stippvisiten an der "Front" gleich wieder in die Arme seiner Holden zu eilen. Die Generalität kochte vor Wut, und die Soldaten sparten nicht mit deftigen Witzen über den von ihnen als "Durchlauchterhitzer" verspotteten Dienstherren. Scharpings Ansehen in der Truppe war dahin.
Auf den Fluren der Stäbe wurde gescherzt, dem Minister sei offensichtlich der Verstand in die Hose gerutscht. Anders war es auch nicht zu erklären, daß Scharping während einer Pressekonferenz den Aufmarschplan der Bundeswehr für den Einsatz in Mazedonien ausplauderte. Nur mit größter Mühe konnte die riesige Marschkolonne in letzter Minute angehalten und über eine gefährliche Ausweichstrecke umgeleitet werden. Jetzt forderte nicht nur die Opposition seinen Kopf. Auch der Kanzler mochte nicht mehr zu ihm stehen. Damit schienen die Tage des Ministers Scharping gezählt.
Doch dann kam Scharpings unverhoffte Rettung: der Terrorschlag vom 11. September. Der Kanzler hatte jetzt anderes im Kopf, als seinen Verteidigungsminister loszuwerden. In den Stäben wurde gewitzelt, "Rudi bin baden" Scharping müsse den Taliban-Führern eigentlich einen Orden verleihen, denn er sei der erste Mensch, dem sie geholfen hätten, den Kopf aus der Schlinge zu bekommen. Scharping blieb im Amt, wirkte fortan aber oft desinteressiert und realitätsfern.
Derweil pfiff die Bundeswehr finanziell und materiell bereits aus dem allerletzten Loch. Ihre von Scharping geplante Reform erwies sich als nicht realisierbar. Die Militärs nutzten deshalb die Kommandeurtagung im April diesen Jahres, um offene Kritik an ihrer politischen Führung zu üben - ein in dieser Form bisher einmaliger Vorgang. Doch der Minister nahm diese scharfen Attacken auf seine Person geistig abwesend und kommentarlos hin. Damit hatte er das letzte Quentchen Vertrauen verspielt, das die Truppe noch in ihn gesetzt hatte.
Daß das Bundesverfassungsgericht dem Verteidigungsminister im Frühjahr bescheinigte, sich bei der beabsichtigten Beschaffung von 73 Militär-Airbussen A 400 M zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben, war dann ebenso nur noch eine Marginalie wie der Beschaffungsstop des Schützenpanzers "Panther". Nur die kurz bevorstehende Bundestagswahl hielt Scharping noch im Amt. Nachdem schließlich dessen Beziehungen zu dem dubiosen PR-Berater Moritz Hunzinger bekannt geworden waren, ging der latente Absturz des Verteidigungsminister in den freien Fall über. Und der Bundeskanzler, der nicht mit in die Tiefe gerissen werden wollte, zog die Reißleine und feuerte den Verteidigungsminister - am Vorabend der Bundestagswahl ein kaum glaubwürdiger Schritt, sondern nur ein durchsichtiges politisches Manöver.
Friedrich der Große hat einmal festgestellt, daß man einen General ohne Fortune nicht gebrauchen könne. Dies gilt sicherlich auch für einen Verteidigungsminister. Rudolf Scharping hat aber nicht nur das Glück, sondern schließlich auch der gesunde Menschenverstand verlasse |
|