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Vom Leben zwischen islamischer und westlicher Kultur

 
     
 
Der Anschlag vom 11. September 2001 hat nicht nur das Leben vieler Amerikaner geändert - wenn nicht vernichtet -, er hat die Welt auch in zwei Lager aufgeteilt. Der Islam wurde für viele zum Schreckensbild schlechthin, ohne daß die ärgsten Kritiker versuchten, die Fundamentalisten von den gemäßigten Moslems zu unterscheiden. Die Vorwürfe trafen beide Seiten gleichermaßen. Für Menschen, die beide Kulturen, die westliche und die islamisch
e, kennen und in ihnen zu leben versuchen, ist das schmerzlich, zumal gemäßigte Moslems den Anschlag ebenso vehement verurteilen wie Christen, Juden oder Atheisten. Einer, der "mittendrin" lebt, ist Tamim Ansary, ein Amerikaner afghanischer Herkunft. Im Kabul der 40er und 50er Jahre als Sohn eines Afghanen aus einer angesehenen Familie und einer Finnin mit amerikanischem Paß aufgewachsen, erlebt er die Vor- und Nachteile einer Großfamilie, lernt die Tradition kennen, aber auch die strengen sittlichen Vorschriften, die er als Schüler einer afghanischen Schule erfahren muß. Zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern emigriert er im Alter von 16 Jahren in die USA; der Vater bleibt zurück.

In den Vereinigten Staaten von Amerika entwickeln sich die Geschwister sehr unterschiedlich: Schwester Rebecca bricht mit der afghanischen Kultur, während der jüngere Bruder Riaz von einer Reise nach Pakistan als Fundamentalist zurückkehrt. Tamim versucht mit beiden Kulturen zu leben - als begeisterter Hippie, der Jugendbewegung der 60er Jahre, sucht er die Gemeinschaft und Geborgenheit, die er in Afghanistan in der Großfamilie kennengelernt hat.

Eine Reise führt Tamim Ansary, der sich als Autor und Schriftsteller seinen Lebensunterhalt verdient, 1979 nach Nordafrika und in die Türkei. Er will bis in den Iran, um dort über die Revolution zu berichten, vielleicht auch bis nach Afghanistan, das er seit seiner Emigration nicht mehr gesehen hat. Auf dieser Reise begegnet er vielen interessanten Menschen, liebenswürdigen und hilfsbereiten, aber auch Schurken und Fanatikern.

Als Tamim Ansary in die USA zurückkehrt, ist er um vieles schlauer: Diese islamische Welt ist nicht die seine, er ist Amerikaner. Dennoch schließt er sich dort einer Gruppe Afghanen an, die ihren Landsleuten in dem mittlerweile von den Sowjets besetzten Land helfen wollen. Später sind es die menschenverachtenden Taliban, die Afghanistan unter ihrer Knute halten. Ansary, der Amerikaner, der sich nicht von Kabul lossagen kann und will, fühlt gerade in dieser Zwiespältigkeit eine Chance, sie für einen besonderen Zweck nutzen zu können.

Dann kommt der 11. September. Große Teile der Welt wollen Afghanistan, wo der Drahtzieher des Attentats Unterschlupf gefunden hat, in die Steinzeit "zurückbomben". Nur: das ist gar nicht so einfach, denn das Land am Hindukusch ist schon längst vernichtet. Die Menschen hungern, ihre Häuser sind zerstört, die Schulen liegen in Schutt und Asche - von den Sowjets, den Freiheitskämpfern und schließlich den Taliban "meisterhaft" erledigt. Ansary wehrt sich gegen diese Vorwürfe und schickt am 12. September eine E-Mail an einige wenige Freunde, ruft auf zur Besonnenheit und warnt davor, die Welt in eine westliche und eine islamische zu spalten. Seine Botschaft verbreitet sich schnell, er wird zu Talkshows und Diskussionsrunden eingeladen - und schreibt schließlich das Buch "Kabul - New York", in dem er eindrucksvoll und spannend sein Leben zwischen den Kulturen beschreibt. Ein Buch, das viel erzählt vom alten Afghanistan, das aber auch Einblick gibt in die fundamentalistische Gedankenwelt.

Tamim Ansary: "Kabul - New York. Ein Leben zwischen den Kulturen", Artemis & Winkler, Düsseldorf 2003, geb., 240 Seiten, 19,90 Euro
 
     
     
 
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