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Besuch aus dem Patenland

 
     
 
Es ist an der Zeit, daß wir uns des historischen Reichtums der Deutschen im Osten bewußt werden. Es ist unsere gemeinsame Vergangenheit, weil wir gemeinsam vom Vorrat dieser jahrhundertealten kulturellen Kraftfelder zehren", schrieb Bayerns Arbeits- und Sozialministerin Christa Stewens als Schirmherrin der zweiten Ostdeutschlandreise der oberbayerischen CSU und CSA (Christlich-Soziale Arbeitnehmer
schaft) in einem Grußwort. Sieben Tage reiste die 54köpfige Gruppe zur "Perle des Ostens", wie Veranstalter Manfred Wodok Ostdeutschland im Programm nannte.

Studienziel war, die Landschaft mit ihren vielen europaweit bekannten Sakral- und Profanbauten kennenzulernen, der deutschen Volksgruppe zu begegnen und zu erfahren, wie die polnische Bevölkerung mit ihrer neuen EU-Zugehörigkeit zurechtkommt. Für die Oberbayern war es neu, wie unkompliziert die polnische Reiseleiterin Lydia mit dem Begriff "Ostdeutschland" umging, wie sie die deutschen Städtenamen gebrauchte und sich ohne Vorbehalte zur deutschen Vergangenheit des Landes bekannte: "Das deutsche Erbe wurde von den Polen gut aufgenommen."

Deutlich wurde das zuerst bei der Führung durch die Marienburg. Die Burgführerin nannte sogar den Namen des derzeitigen Deutschordenshochmeisters Bruno Platter in Wien und stellte die Ordensgeschichte so dar, wie es ein Deutscher nicht besser hätte tun können. Der Blick in die Annenkapelle mit den bisher nur drei Hochmeistersarkophagen und in die Burgkapelle zeigte, was in baulicher Hinsicht noch zu tun ist. Die acht Meter hohe Marienstatue am Chor soll als letztes wiederhergestellt werden. Können und Leistung der Burgrestauratoren jedoch fanden nichtsdestoweniger ungeschmälerte Anerkennung.

"Unserer lieben Frauen schönstes Haus", wie Agnes Miegel den Dom zu Frauenburg nannte, zeigt an den Innenwänden Nässe, das schon vor dem letzten Weltkrieg immer wiederkehrende Übel. Neu sind rechts vom Hochaltar eine überlebensgroße Statue von Kardinal Hosius, dem ermländischen Bischof des 16. Jahrhunderts, der das Bistum rekatholisierte und vergeblich versuchte, Herzog Albrecht von Brandenburg für den katholischen Glauben zurückzugewinnen. In diesem Jahr beging man in Münster und Allenstein seinen 500. Geburtstag mit wissenschaftlichen Kongressen.

Die Büste des letzten deutschen ermländischen und ersten Vertriebenenbischofs Maximilian Kaller ist ein Beweis für das gute Einvernehmen zwischen deutschem und polnischem Klerus. Erzbischof Pieszcz von Allenstein hatte eine Überführung Kallers von Königstein im Taunus in seine heimatliche Kathedrale in Frauenburg angeboten. Ostdeutsche Geistliche glauben zu wissen, daß sich Kaller vor der Gruft in Frauenburg gefürchtet habe. So blieb der Leichnam im Taunus. Die Oberbayern hörten, daß der Seligsprechungsprozeß für Kaller, der nach der Flucht nicht anders als die übrigen Ostdeutschland unter einfachsten Umständen in Frankfurt lebte und im kalten Winter selbst seine Handschuhe an Vertriebene verschenkte, eröffnet worden ist.

Herrlich der Blick vom nach Nicolaus Copernicus benannten Turm auf das Haff und die weiten Wiesen mit ihren Störchen. Im Osten Königsberg, dessen Besuch den CSA/CSU-Mitgliedern wegen anhaltender Spannungen zwischen Warschau und Moskau verwehrt wurde. Beim späteren Besuch im Warschauer Parlament hieß es: "Das ist ein Visaproblem zwischen Moskau und Brüssel."

Schweigend verharrten die Reisenden vor dem zweisprachigen Gedenkstein für die 450.000 Ostdeutschland, die im Winter 1945 die Flucht über das Haff wagten. Viele von ihnen erfroren, ertranken oder wurden ein Opfer der sowjetischen Tiefflieger. Eine niedersächsische Gruppe betete auf Anregung ihres polnischen Reiseleiters das "Vaterunser".

Der Stein wurde unter Mitwirkung der Kreisgemeinschaft Braunsberg errichtet. Ihr unermüdlicher Einsatz unter den Vorsitzenden Gerhard Steffen und Manfred Ruhnau wurde auch in der Kirche St. Katharinen in Braunsberg deutlich. Dort liegen zweisprachige Informationsblätter zur Geschichte der heutigen Basilika minor aus. Fotos zeigen das Früher und die Zerstörung. Ohne deutsche Hilfe hätte der Wiederaufbau dieses gewaltigen Bauwerks im Jahre 1979 nicht beginnen können. Wer wie der Verfasser dieses Artikels in dieser Kirche getauft worden ist, kann nur glück-

lich sein, über die gelungene Wiederherstellung. Die "Totenklage über St. Katharina", ein literarisches Kunstwerk, das der ostdeutsche Priester Laws einst schrieb, ist gottlob Vergangenheit. Vor der Kirche steht seit wenigen Jahren die Statue der Braunsberger Ordensstifterin Regina Prothmann. Sie gründete eine Frauenkongregation, deren Mutterhaus weiterhin in Braunsberg steht und deren Schwestern bis Togo und Lateinamerika im Einsatz sind. Das Mutterhaus für die deutschen Schwestern steht jetzt in Münster. Eine sich zufällig in der Katharinenkirche aufhaltende Katharinenschwester sprach zur Freude aller ein unverfälschtes Ostpreußisch. Zur Statue von Regina Prothmann meinte eine Mitreisende treffend: "Endlich mal eine Frau vor der Kirche."

In der einstigen Hindenburgstraße wird gegenüber der Neustädtschen Kirche gebaut. Einige Häuser, um die es nicht schade ist, da sie heruntergekommen waren, sind abgerissen worden. An ihrer Stelle scheint man einen Neubau vorzuhaben, die Baukräne stehen bereits. Vorbei geht es am Rochusfriedhof. Der Kundige weiß, daß dort ebenfalls die deutsche Kreisgemeinschaft am Werk ist. Nach langem Gezerre zwischen Stadtverwaltung und Kirche ist jetzt Pfarrer Brandys von St. Katharina für die Rochuskapelle zuständig. Ihre Renovierung mit deutschem Geld steht bevor.

Von der einstigen Hauptstadt des Ermlandes ging es in die heutige Hauptstadt der Woiwodschaft Ermland und Masuren, Allenstein. Ziel war das "Haus Kopernikus", das vom Bayerischen Staat und der Freundeskreis Ostdeutschland erworben und zusammen mit anderer Hilfe aus der Bundesrepublik Deutschland von unten bis oben bestens renoviert worden ist. Es ist der Sitz der deutschen Volksgruppe. Alles ist gepflegt. Die reich bestückte

Bibliothek, das Kinderzimmer und die Fotoausstellungen finden aufmerksames Interesse. Darunter sind auch Bilder von den "Ermis", der Allensteiner Gruppe des deutschen "Jungen Ermland".

Christine Plochavski, die sich als Verwalterin des Hauses vorstellte, berichtete von der täglichen Arbeit, den Deutschkursen, den Musik-, Tanz,- und Handarbeitsgruppen, den Kinderfreizeiten, dem jährlichen Auftritt am "Tag der nationalen Minderheiten" sowie der wirtschaftlichen Lage. Die Vermietung des ersten Stockwerks an eine Umweltschutzbank hilft beim finanziellen Unter-

halt. Ohne das deutsche Generalkonsulat in Danzig und die Freundeskreis Ostdeutschland allerdings ginge es nicht. Im Haus arbeitet auch Joanna Felis, die für die Herstellung deutsch-polnischer Wirtschaftskontakte zuständig ist. Wenn wieder Geld zur Verfügung steht, müßte der Hof hinter dem Haus, das unter Denkmalschutz steht, hergerichtet werden. Die jetzigen Baracken stören und könnten Platz machen für einen gemütlichen Garten.

Beim Mittagessen in der deutsch-polnischen Begegnungsstätte neben dem Schloß war von jungen Leuten nichts zu sehen. Das Haus ist ein gutes, nicht billiges Hotel, hat aber seinen ursprünglichen Zweck total verfehlt. Es ist ein Musterbeispiel dafür, was geschieht, wenn jemand - wie in diesem Fall die frühere Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth - glaubt, ohne den Rat der deutschen Heimatvertriebenen, die sich vor Ort auskennen, ein Projekt anfassen zu können.

Allenstein ist sein neuer Status als Universitätsstadt mit drei Fakultäten gut bekommen. Das Zentrum ist durch viele gute Geschäfte und Restaurants neu belebt. Die kommunistische Tristesse ist verschwunden. Das Hohe Tor zeigt seit wenigen Monaten - wie bis zu den 40er Jahren - wieder eine farbiges Muttergottesbild. Geschaffen wurde es nach einem Vorbild aus dem Kloster Springborn, in dem in den 50er Jahren der polnische Primas Kardinal Wyszinski interniert worden war. Er verließ seinen ostdeutschen Verbannungsort erst nach der Zusicherung, daß mit ihm auch der einstige deutsche Bishof von Danzig Karl Maria Splett freigelassen würde. In der Jakobuskathedrale steht wieder eine Büste von Maximilian Kaller. In Allenstein, der Heimat des Berliner Kardinals Sterzinsky, gab es die ersten regelmäßigen deutschen Gottesdienste. Der Erzbischof sprach Deutsch, sein Generalvikar lernte es.

Die Fahrt mit dem Schiff nach Nikolaiken auf dem Nikolaiker- und Spirdingsee, läßt genug Zeit für einen erneuten Blick in die Landschaft. Die Vorgärten blühen, aber den Häusern täte Farbe und Renovierung gut. Ostdeutschland leidet unter der größten Arbeitslosigkeit in der Republik Polen. Zutreffend merkte die Reiseleiterin Lydia an: "Die Kolchosen brachen zusammen und niemand kümmerte sich um die Menschen, sie mußten sehen, wie sie durchkamen." Dann erschienen jüngst Landwirtschaftsberater aus Brüssel. Die polnischen Kleinbauern, die größtenteils nie Landwirtschaft gelernt haben, begegneten ihnen mit Mißtrauen: "Die wollen nur unser Land." Viel davon allerdings ist nicht bestellt, liegt brach. Wieviel das südliche Ostdeutschland von den 1.700.000.000 Euro Subventionen bekommt, welche die EU unlängst zur Unterstützung der polnischen Landwirtschaft und Ernährungsindustrie versprochen hat, steht noch in den Sternen. Die Oberbayern vermißten Pferde auf den Koppeln. Nur selten waren welche zu sehen. Und das im Pferdeland Ostdeutschland! Schon auf der Fahrt von Elbing nach Frauenburg war aufgefallen, daß das Gestüt in Cadinen mit dem schönen Hotel wie tot wirkte. Statt dessen daneben der Neubau eines Mafiosi mit Pferdezucht. Der Busfahrer stöhnt über die Straßenverhältnisse. Seit Jahren sei nichts ausgebessert.

Letzte Station in Ostdeutschland vor der Weiterfahrt nach Warschau und Breslau war Lötzen. Vorbei ging die Fahrt am See mit fröhlichem Strandleben zum etwas außerhalb des Ortes liegenden Hotel Gajewo. Auch hier wieder ein freundlicher Empfang und ein bemühtes Personal. Die Oberbayern sind allerdings die einzigen Gäste - und das in der Hauptsaison! Neben dem Hotel ein Reiterhof.

Das Fazit der Bayern nach 3.400 Kilometern: Ostdeutschland sei schöner als erwartet. Imposant seien die Bauwerke von europäischem Rang - wer wisse in der Bundesrepublik schon davon. Die Landschaft sei anheimelnd, Natur pur. Krieg und Kommunismus hätten viel zerstört. Es sei richtig, daß sich ihr Freistaat, Patenland Ostdeutschlands, in Allenstein engagiert habe.

Im Remter der Marienburg: Teilnehmer der CSU/CSA-Fahrt Foto: Matern

 
     
     
 
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