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Von der Realität eingeholt

 
     
 
Nicht zu Unrecht reagierten die Deutschen empört über Franz Müntefering flapsigen Hinweis, daß man seine Rente ja durch Balalaika- oder Lotto-Spielen aufbessern könnte. Wie schon sein umstrittener Amtsvorgänger Norbert Blüm kann Müntefering als mit üppigen Pensionsansprüchen begüterter Minister aus einer sehr ruhigen Position heraus argumentieren.

Während derzeit eine Hiobsbotschaft in Sachen Rente die nächste übertrumpft, sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, daß die Deutschen schließlich von einem sehr hohen Niveau fallen. Der heutigen Rentnergeneration soll es nach aktuellen Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft
Köln besser gehen als je zuvor. So waren 2002 nur 1,3 Prozent der über 65jährigen auf Sozialhilfe angewiesen - selbst 1980 waren es 1,8 Prozent. (Bei den unter 18jährigen waren es hingegen 6,6 Prozent.) Denn auch wenn gut eine Million alleinstehende und gut 900000 verheiratete Renterinnen in den alten Bundesländern zu den sogenannten "Mini-Renterinnen" zählten - also gerade mal 275 Euro eigene Rente vom Staat erhielten - konnten sie durch die Ansprüche ihres Ehemannes beziehungsweise Witwenrente über ein höheres Einkommen verfügen, so daß ein monatliches Nettoeinkommen von 1000 Euro beziehungsweise 1900 Euro (Verheiratete) vorhanden war. Somit hatten Rentnerhaushalte netto mehr Geld für den eigenen Verbrauch als junge Arbeitnehmer und Familien, die nebenbei inzwischen auch noch privat für ihre Rente vorsorgen müssen.

Die Klagen der heutigen Rentner über Nullrunden dürfte die arbeitende Bevölkerung eher mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Wenn es nur Nullrunden wären - die sie ja heute schon häufig genug auch als Arbeitnehmer hinnehmen müssen -, die sie zu befürchten hätten. "Das Sicherungsniveau wird sinken und im Jahr 2019 nur noch 46,3 Prozent des durchschnittlichen Bruttogesamteinkommens betragen (statt heute 52,7 Prozent)." Derartig nüchterne Äußerungen von Staatsseite überraschen allerdings wenig, da "Die Rente ist sicher"-Beteuerungen von Norbert Blüm vom politisch und wirtschaftlich interessierten Bürger längst nicht mehr geglaubt wurden. Die Politik setzt sich jetzt erst offen mit der Realität auseinander.

Aber auch, wenn die Lebenserwartung, sprich die Rentenbezugszeit, immer länger wird, zugleich aber immer weniger Menschen aufgrund der negativen demographischen Entwicklung und hoher Arbeitslosigkeit in die Sozialkassen einzahlen, schwören Finanzexperten auf das deutsche Umlagesystem in Sachen Rente.

So könne nur sie gewährleisten, daß sich alle für einheitliche Beitragssätze ein Anrecht auf Altersversorgung erwerben könnten. So würden auch jene abgesichert, die es allein nicht könnten, denn bei einer privaten Versicherung müßten Ältere, Kranke oder Risikogruppen höhere Beiträge zahlen. Andernfalls würden sie gar nicht erst aufgenommen.

Außerdem herrschten auf dem Kapitalmarkt höhere Risiken. In Deutschland habe jeder Versicherte über das Umlageverfahren ein Konto, auf dem seine ganz persönlichen Rentenansprüche gesammelt würden. Er habe damit ein Eigentumsrecht, das durch das Grundgesetz vor politischer Manipulation geschützt sei. In den USA gelte das deutsche Modell der individuellen Konten sogar als Reformvorbild.

Als weiterer Vorteil wird stets betont, daß die Verwaltungskosten bei privaten Rentenversicherern bei bis zu vier Prozent der eingezahlten Beträge lägen, während die Rechnungshöfe belegen, daß die staatlichen Rentenkassen nur Verwaltungskosten in Höhe von 1,6 Prozent veranschlagen und im Gegensatz zu ihrem privaten Pendant keine Provisionen einbehalten würden.

Trotz jener Lobeshymnen ist das Umlagesystem als einzige Säule für die Alterssicherung nicht mehr haltbar. Einfach abschaffen kann man sie jedoch auch nicht, da die Alten auf die Beiträge der Jungen angewiesen sind, man aber aus Gründen der Generationengerechtigkeit auch nicht die Jungen für die Alten der Gegenwart ohne Gegenleistungen zahlen lassen kann und sie gleichzeitig dazu zwingen, vollständig privat für sich vorzusorgen.

Doch selbst wenn man den Rentnern der Zukunft verspricht, daß aus dem Umlagesystem für sie eines Tages auch noch etwas herrauskommt, dann ist es doch fraglich wieviel. Hohe Arbeitslosigkeit, Rente mit 67, weniger Kinder, hohe Staatsschulden und alles andere als rosige Zukunftsaussichten sind ihr Erbe.

Im Rahmen seiner Negativmeldungen in Sachen Rente hat Franz Müntefering auch beklagt, daß nur rund 5,8 Millionen Deutsche die staatliche Förderung der Riester-Rente nutzen. Angesichts der hohen Abgabenlast an den Staat, steigender Kosten für den Lebensunterhalt bei stagnierenden, wenn nicht sogar sinkenden Löhnen ist dies jedoch nicht weiter verwunderlich. Außerdem wird die Notwendigkeit vielen vom Staat mit falschen Beteuerungen eingelullten Bürgern erst jetzt im Rahmen der radikalen Äußerungen Münteferings bewußt - so hatten sie also doch ein Gutes!

Aus heutiger Sicht reinster Hohn: Norbert Blüm 1986 und seine Versicherung "Die Rente ist sicher"
 
     
     
 
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